Hamburg. Der HSV verspielte schon 15 Punkte nach einem 1:0. Die Abstiegszone rückt jetzt wieder näher. Nicht nur Labbadia macht sich Gedanken.
Viel geschlafen hatte Bruno Labbadia nicht. Daran konnte auch das spät angesetzte Auslaufen am Tag nach der 2:3-Niederlage beim FC Schalke 04 nichts ändern. Zu sehr war der HSV-Trainer mit der Aufarbeitung der zehnten Saisonniederlage beschäftigt. Schon die nächtliche Busfahrt von Gelsenkirchen nach Hamburg hatte Labbadia genutzt, um die Partie zu analysieren. Seine Erkenntnis: „Wir haben nach dem 1:0 nicht genug dagegen gehalten.“ Und so ging es für die Mannschaft am Donnerstag erst 45 Minuten nach dem angedachten Trainingsbeginn auf den Platz. Labbadia hatte in der ersten Videoanalyse offenbar einiges angesprochen.
Was den Trainer besonders ärgerte: Wieder einmal hatte seine Mannschaft eine Führung verspielt. Wie schon vier Tage zuvor gegen Ingolstadt. Wie schon in vier Spielen der Hinrunde. In Köln. In Darmstadt. Gegen Hannover. In Wolfsburg. Immer 1:0 geführt. Immer den Ausgleich kassiert. „Wir machen uns Gedanken, warum wir so ein Erfolgserlebnis zu Beginn nicht besser umsetzen können, warum uns das keinen Auftrieb gibt“, sagte Labbadia. Von den 18 möglichen Punkten aus diesen sechs Spielen holte der HSV am Ende nur drei. 43 Punkte hätten die Hamburger haben können und ständen möglicherweise da, wo jetzt der kommende Gegner steht. Hertha BSC, Dritter, 42 Punkte. „Die Berliner machen einen sehr guten Job. Sie haben sich gefunden und funktionieren als Mannschaft. Da müssen wir auch wieder hinkommen“, sagte Labbadia.
Adler begrüßt den Druck
Während Hertha, am Ende der Vorsaison noch punktgleich mit dem HSV, um die direkte Champions-League-Qualifikation spielt, steht der HSV mit 28 Punkten etwa da, wo er vor einem Jahr stand. Der Club droht erneut in die altbekannten Tabellenregionen zu rutschen. Nur fünf Punkte beträgt der Vorsprung auf Relegationsplatz 16. Legt die Konkurrenz am Wochenende gemeinschaftlich vor, wären es vor dem Heimspiel gegen die Hertha am Sonntag (17.30 Uhr) möglicherweise nur noch zwei. „Ein bisschen Druck tut uns als Mannschaft immer gut“, sagte HSV-Torhüter René Adler, der nach der Pleite auf Schalke deutliche Worte wählte. „Wir sind keine Mannschaft, die es einfach laufen lassen kann und ein paar Prozentpunkte weniger reinlegt. Jeder von uns muss an oder über die 100 Prozent gehen, nur dann sind wir konkurrenzfähig. Heute haben wenige Spieler 100 Prozent gebracht“, sagte Adler, der sein Team mit mehreren Paraden vor einer höhere Niederlage bewahrte.
Der HSV aber ließ es nach dem 1:0 mal wieder laufen und lief den Schalkern in der Folge nur noch hinterher. Was sagt es aus über die Mannschaft, dass sie sich nach Führungen zurückzieht und die passive Beobachterrolle einnimmt? „Ich weiß es nicht. Das hat viele Faktoren“, sagte Nicolai Müller, der mit einem Tor und einer Vorlage als einer der wenigen ansatzweise die 100-Prozent-Marke erreichte. Der entscheidende Faktor war die „fehlende Leidenschaft“, sagte Adler. „Nach so einer Führung muss ein Ruck durch die Mannschaft gehen. Daran muss man sich aufgeilen, das muss Auftrieb geben. Wir haben uns nicht angestachelt, der eine war nicht für den anderen da.“
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Labbadia muss Sturmproblem lösen
Ein weiterer Faktor des Hamburger Abwärtstrends ist die offensichtlich fehlende Offensivgefahr. Labbadia beobachtete zwar viele Balleroberungen, doch die wenigen Angriffsversuche endeten abrupt. „Wir haben den Ball im vorderen Bereich nicht gut gehalten“, sagte Rechtsverteidiger Gotoku Sakai und adressierte seine Kritik damit indirekt auch an Pierre-Michel Lasogga, der im Sturm den Vorzug vor Artjoms Rudnevs erhalten hatte. Seine Bilanz: 37 Prozent gewonnene Zweikämpfe, kein Torschuss und der entscheidende Ballverlust vor dem 1:1. Nach 63 Minuten war sein Startelfcomeback schon wieder beendet. „Pierre hat nicht so reingefunden. Er muss aber auch eingesetzt werden“, sagte Labbadia, der das Sturmproblem schnell lösen muss. Erst neun Tore hat der HSV-Angriff in dieser Saison erzielt. Nur Schlusslicht Hannover (8) und Augsburg (5) sind im Sturm harmloser. Hinzu kommen vermehrt individuelle Aussetzer in der Abwehr wie beim Platzverweis von Kapitän Johan Djourou nach einem unnötigen Foul an der Seitenlinie.
Der Knackpunkt sei das aber nicht gewesen, meinte Adler. „Knackpunkt war, dass wir als Mannschaft zu wenig investiert haben.“ Und das nicht zum ersten Mal. Nur ein Sieg gelang in den vergangenen zehn Spielen. Steckt der HSV wieder mitten im Abstiegskampf? „Wir sind schon seit dem ersten Spieltag dabei“, sagte Torschütze Gojko Kacar. Angst will man sich im Volkspark aber nicht einreden lassen. „Im Fußball geht alles ganz schnell“, sagt Kacar. „Wir müssen einfach als Mannschaft wieder geschlossener arbeiten. Dann werden wir auch punkten.“
Viel Zeit sollte sich der HSV nicht lassen. Helfen würde es bereits, eine Führung einfach mal zu verteidigen.