Hamburg. St. Paulis Marc Rzatkowski und Lewis Holtby vom HSV haben mehr Gemeinsamkeiten als sie ahnen. Ein Doppel-Porträt.
Viel besser hätte das Jahr 2016 nicht starten können. Miami Heat gegen die Dallas Mavericks. In der American Airlines Arena. Am Neujahrsabend. Natürlich ausverkauft. Und mittendrin statt nur dabei: Lewis Holtby vom HSV. Und Marc Rzatkowski vom FC St. Pauli. Zwei Hamburger in Miami. Verrückt. Noch verrückter: Holtby und Rzatkowski waren beide im Florida-Urlaub – haben sich aber weder getroffen noch wussten sie etwas von ihrer gemeinsamen NBA-Leidenschaft. „Ich kenne Marc persönlich gar nicht“, sagt Holtby. Miami, die NBA, die beiden Hamburger Fußballprofis in der Arena. Alles nur ein Zufall, sagt Holtby.
Alles wirklich nur ein Zufall? Genauso wie die anderen Gemeinsamkeiten. Beide blond, beide nicht wirklich groß, beide 25 Jahre alt. Alles Zufälle. Beide kreative Mittelfeldspieler, beides ehemalige Regisseure, mittlerweile sogenannte Verbindungsspieler, im Fußballjargon auch „Achter“ genannt. Auch das ein Zufall. Ebenso die Tatsache, dass die beiden Linksfüßler ihr erstes Profitor für den VfL Bochum geschossen haben. Der eine am 13. März 2010. Holtby. Der andere am 26. November 2010. Rzatkowski. Das alles selbstverständlich – nur ein Zufall.
Beide sind schussfreudige Leistungsträger
Definitiv kein Zufall ist es allerdings, dass Holtby und Rzatkowski in dieser Saison zu den Leistungsträgern ihrer Mannschaften zählen. „Lewis hat den Konkurrenzkampf im Sommer sehr gut angenommen. Er hat sich so richtig reingespielt“, sagte Bruno Labbadia am Tag nach dem 1:1 gegen den FC Ingolstadt.
11,77 Kilometer, mehr als jeder andere auf dem Platz, war Holtby in dem Spiel gegen den Aufsteiger aus Bayern gelaufen. Immerhin zweimal schoss er auf das Tor – kein Hamburger hatte mehr Torschüsse. Und wie es der viel beschworene Zufall so wollte, traf das Gleiche beim 2:0 in Duisburg auch auf Marc Rzatkowski zu. Der Kiezkicker schoss sogar viermal aufs und einmal entscheidend ins Tor. Es war sein sechster Saisontreffer, schon in den beiden vorangegangenen Partien hatte er getroffen. „Ich versuche zum Abschluss zu kommen, ich weiß auch, dass ich ganz gut schießen kann“, sagte St. Paulis Nummer Elf, „durch die Tore gewinne ich auch an Selbstvertrauen, es öfter zu versuchen“.
HSV spielt nur 1:1 gegen Ingolstadt
Rzatkowski wurde von Lienen umgeschult
Der gebürtige Bochumer wurde im Sommer von Trainer Ewald Lienen und Sportchef Thomas Meggle umgeschult. Als er zwei Jahre zuvor ablösefrei aus Bochum ans Millerntor kam, war er ein offensiver Mittelfeldspieler, der auch öfter auf den Außenbahnen eingesetzt wurde. Er spielte regelmäßig, aber nicht regelmäßig herausragend. Und als es im Abstiegskampf der letzten Spielzeit physisch wurde, Zweikampfhärte und Durchsetzungsvermögen gefragt waren, da spielte Rzatkowski nur noch selten. „Mit seiner Größe muss er bei jedem Zweikampf mit vollem Körpereinsatz spielen“, sagt Lienen.
Das tut er nun im defensiven Mittelfeld. Er grätscht, fängt Bälle ab und baut Angriffe auf. Und wenn es passt, sucht er auch noch den Weg in die Spitze. „Ich bin schon immer gerne viel gelaufen, ich weiß, dass ich eine gute Ausdauer habe“, sagt Rzatkowski, dem diese Spielweise offenbar richtig Spaß macht , „vielleicht mache ich sogar den einen oder anderen Weg zu viel.“
Rzatkowskis Leistungen haben sich herumgesprochen – auch bei seinem HSV-Pendant. „Obwohl wir in der Jugend gegeneinandergespielt haben, kenne ich ihn nicht. Aber er spielt eine klasse Saison“, sagt Holtby, der Ähnliches über sich selbst sagen könnte.
St. Pauli beim MSV Duisburg
Holtby spielt konstant wie lange nicht
Doch zwei Tage vor der Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte auf Schalke will Holtby lieber nicht allzu viel reden. Der Rheinländer, gebürtig aus Erkelenz, trägt sein Herz auf der Zunge, was ihm nicht immer nur positiv ausgelegt wird. Als Holtby nach der dürftigen Partie gegen Ingolstadt selbstkritisch zu Protokoll gab, dass er und seine Kollegen schwach gespielt hätten, und dass sich der HSV das Spiel von den defensivstarken Ingolstädtern habe diktieren lassen, blieben am Ende bundesweit nur zwei Sätze hängen: „Ingolstadt ist eine ekelhafte Mannschaft.“ Und: „Die Ingolstädter waren nur am Labern, nur am Rumblöken, nur am Hinfallen.“
Was erlauben Holtby? Sei’s drum. Tatsächlich spielt der 25 Jahre alte Mittelfeldmann in dieser Saison so konstant am Limit wie seit seiner Zeit auf Schalke nicht mehr. Die wenig erfolgreichen Intermezzi in England bei Tottenham und Fulham? Längst vergessen. „Lewis ist körperlich und mental so stark wie schon lange nicht mehr“, sagt HSV-U-17-Trainer Christian Titz, der schon lange nebenbei als Holtbys Personalcoach arbeitet. „Viele Dinge, die Lewis beschäftigt haben, hat er abgeschüttelt“, sagt Titz.
Holtby war in dieser Spielzeit in allen Partien von Anfang an dabei, hatte 1583 Ballkontakte, 78 Prozent seiner Pässe kamen an, an 58 Torschüssen war er beteiligt. Kein Wunder also, dass er nach dreieinhalb Jahren DFB-Pause sogar wieder ein wenig von einer Rückkehr in die Nationalmannschaft träumt. „Ich arbeite jeden Tag daran, wieder mehr in den Fokus zu gelangen“, sagte Holtby in der vergangenen Woche dem Onlineportal „Transfermarkt.de“.
Stuttgart an Rzatkowski interessiert
Längst im Fokus ist auch Rzatkowski. Nicht bei der Nationalmannschaft. Aber in der Bundesliga. Werder Bremens Verantwortliche, die Qualität made by St. Pauli schon aus Tradition zu schätzen wissen, haben bereits nachgefragt. Und auch der VfB Stuttgart hat den Blondschopf nach Abendblatt-Informationen auf dem Zettel.
Bis der 1,70 Meter kleine Hamburger ein Großer wird, muss er sich aber noch ein wenig gedulden. Oder sich das eine oder andere beim 1,76 Meter kleinen HSV-Bruder im Geiste abschauen.
Ein kleiner Tipp zum Schluss. Vielleicht sollten sich die beiden einfach mal über ihren gemeinsamen Bekannten Matthias Ostrzolek verabreden. Der mit beiden befreundete HSV-Profi ist selbstverständlich blond, 25 Jahre alt, nicht allzu groß, ein ehemaliger Bochumer, Linksfüßler – und soll sogar ein echter Basketballfan sein. Das alles ist dann aber wirklich nichts anderes als – reiner Zufall.