Hamburg. Frank Wettstein stellte sich den Fragen der Fans in der Tankstelle. Ein Abend mit guten Einblicken und einer menschlichen Seite.

Dienstagabend, kurz nach 19 Uhr auf dem Hans-Albers-Platz. Es ist kalt, die Wege sind glatt. Bis auf eine leicht bekleidete Frau, die nach einem gemeinsamen Spieleabend fragt, sind kaum Menschen draußen unterwegs. Frank Wettstein, 42, ist einer von ihnen. Gemütlichen Schrittes geht der Finanzvorstand des HSV vorbei an den vielen Kiezlokalen und kehrt schließlich gegenüber der Herbertstraße in der Tankstelle ein. So heißt die Stammkneipe der HSV-Fans mitten auf St. Pauli. Ein Ort, an dem man Wirtschaftsprüfer Wettstein nicht unbedingt erwarten würde. Was macht der Hüter der HSV-Finanzen hier?

Vereinspolitik vor dem Supporters-Tresen: Frank Wettstein (v. l.), Fanny Boyn, Moderator Jan Möller, Axel Formeseyn und Michael Wendt diskutieren in der Tankstelle über HSV-Themen
Vereinspolitik vor dem Supporters-Tresen: Frank Wettstein (v. l.), Fanny Boyn, Moderator Jan Möller, Axel Formeseyn und Michael Wendt diskutieren in der Tankstelle über HSV-Themen © HA | Till Müller

In der Tankstelle sitzt eine Gruppe Männer und spielt Roulette. An der Bar wird Hermanns Fitmacher getrunken, der hauseigene HSV-Schnaps, ein Erdbeerlikör. Alle Wände sind dekoriert mit Bildern und Erinnerungen der erfolgreichen Vereinsjahre der 80er. Im hinteren Raum der Kneipe sitzen 25 weitere HSV-Fans. Sie warten auf Wettstein und die dritte Ausgabe des Tankstellen-Talks. Jan Möller, HSV-Supporter und Initiator der Veranstaltung, hat neben Wettstein auch Fanny Boyn, Fan-Beauftragte für Inklusion, Ex-Aufsichtsrat Axel Formeseyn sowie Abschlach-Sänger Michael Wendt eingeladen. Die Idee des Formats: den Vorstand der HSV Fußball AG und die infolge der Ausgliederung zerstrittene Fanszene in den Dialog zu bringen.

Wettstein, seit etwas mehr als einem Jahr HSV-Finanzvorstand, gilt als eine der entscheidenden Figuren im Verein. Er ist es, der zuletzt das Rekordminus von 16,9 Millionen Euro errechnete. Er ist es, der den HSV wieder finanziell auf solide Füße stellen soll, der den sportlichen Verantwortlichen einen strikten Sparkurs diktieren muss. In der Öffentlichkeit sieht man Wettstein nur selten, als Sprachrohr für vereinspolitische Themen sind andere zuständig. An diesem Abend aber bietet sich den HSV-Fans die Möglichkeit, den Vorstand von seiner menschlichen Seite kennenzulernen.

Wettstein hatte schon den BVB aus der Insolvenz gerettet

Dass Wettstein nicht nur ein spröder Zahlenmensch ist, der zur Basis eines Fußballclubs keinen Zugang hat, wird schnell deutlich, als er von seinen Relegationserinnerungen aus Karlsruhe erzählt. „Das war wie bei Winnetou“, sagt Wettstein. „Du liegst angeschossen auf der Pritsche, das Leben zieht an dir vorbei.“ Dann der Freistoßpfiff des Schiedsrichters. Alle Augen auf Rafael van der Vaart. „Ich habe zu meinen Kollegen auf der Tribüne gesagt: Wenn Rafael uns einen Gefallen tut, schießt er nicht.“ Lautes Lachen in der Tankstelle. Das Ende der Szene ist bekannt.

Es wären spannende Wochen geworden für Wettstein, hätte Marcelo Díaz den Freistoß nicht verwandelt. So fiel das Arbeiten etwas leichter, auch wenn der HSV noch einen schweren Weg vor sich hat. Doch Wettstein, das lässt er im Gespräch mit den Fans durchblicken, hat schon schwierigere Fälle gelöst. Insbesondere bei Borussia Dortmund. Den BVB rettete er vor einigen Jahren im Team von Fachmännern vor der Insolvenz. „Der Club war mausetot“, sagt Wettstein. In Hamburg sei er die Aufgabe der Restrukturierung ähnlich angegangen – auch wenn er hier Einzelkämpfer ist. „Ich hätte es schlimmer erwartet“, sagt Wettstein.

Über Details spricht der Mann mit dem rheinischen Dialekt zwar nicht – auch wenn die Gäste in der Tankstelle noch mehr erfahren wollen. Aber darum geht es an diesem Abend auch nicht. Die Fans sollen über Themen sprechen, die sie bewegen.

Talk in der Tankstelle soll Fan-Kultur der HSV-Anhänger unterstützen

Auf der jüngsten Mitgliederversammlung nahmen diese Möglichkeit nur wenige Fans wahr. In der Kneipenatmosphäre fällt das vielen offenbar leichter. Supporters-Chef Timo Horn beobachtet das mit Freude. „Die Vorstände der AG sind sich nicht zu schade, in einer Kneipe mit den Fans zu diskutieren. Sie sind bemüht, an der Basis zu arbeiten. Es wächst wieder etwas zusammen“, sagt Horn.

Im Zuge der Ausgliederung hätte die Kultur unter den HSV-Anhängern stark gelitten. „Die Diskussionen in der Fanszene waren unter der Gürtellinie. Da sind Freundschaften zerbrochen. Es musste wieder etwas passieren“, sagt Horn. Der Talk in der Tankstelle, den auch Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer besuchte und der im Mai in die nächste Runde geht, sei ein Anfang.

Hitzig diskutiert wird an diesem Abend vor allem über die Ehrenkarten, die von den Inhabern seit dieser Saison selbst versteuert werden müssen. Wettstein hatte diese Maßnahme als eine der ersten Amtshandlungen verordnet – und damit einen großen Streit ausgelöst. Axel Formeseyn kritisiert den HSV, das Thema nicht gut kommuniziert zu haben. Sänger Michael Wendt, der die HSV-Abteilung Boxen leitet, hält es für wichtig, dass Ehrenämtler in Form von Ehrenkarten auch eine Belohnung erhalten würden. Wettstein erklärt, der HSV sei der letzte Verein, der dieses bei Steuerprüfern sensible Thema ausgeblendet habe, sagt aber auch selbstkritisch: „Wir müssen in Zukunft klare Entscheidungen treffen.“

Wettstein gelingt es an dem Abend eine zwischen Vorstand und Fans aufzubauen

Als Moderator Jan Möller die Diskussion beendet, bestellt sich Wettstein am Supporters-Tresen ein Bier und klönt noch eine Runde mit den Fans. Dabei erfährt man, dass der Finanzvorstand in seiner Heimat als Vereinspräsident des Kreisligisten FC Viktoria Schlich tätig ist. Dass er seine eigene Fußballkarriere aufgrund des überschaubaren Talents schon in der Jugend aufgab. Und dass er eigentlich lieber Kölsch statt Holsten trinkt, sich als bodenständiger Kölner in Hamburg aber trotzdem heimisch fühle.

In jedem Fall gelingt es Wettstein, mit seiner offenen Diskussionskultur eine Nähe zwischen dem Vorstand und der Fanbasis herzustellen. Und das ist in der jüngeren Vergangenheit des Vereins nur wenigen so gut gelungen.