Hamburg. Weil der HSV kein Geld für Millionen-Transfers hat, muss der Club immer mehr den Nachwuchs in seine Planungen einbinden.

Ziemlich genau zwei Stunden dauert ein ausführlicher Besuch in der HSV-Vergangenheit. So lange nahmen sich Sportdirektor Bernhard Peters und Museumsleiter Niko Stövhase am Montagabend Zeit, um die U-17-Junioren des HSV durch das Volkspark-Museum und die eigene Clubgeschichte zu geleiten. Ein Modell des Rothenbaums wurde bestaunt, eine alte Sitzbank und der Pokal der Landesmeister von 1983. Das Ziel: Die Jungen sollten während des Rundgangs durch die HSV-Historie lernen, was dieser Verein war, ist – und im besten Fall auch wieder sein wird.

Für einen Besuch in der HSV-Zukunft, da ist sich Sportdirektor Peters sicher, reichen zwei Stunden nicht aus.

Wohl kein Fachthema begeistert Bernhard Peters in der Gegenwart derart wie die Zukunft. Der 55 Jahre alte Sportdirektor bestellt sich ein Mineralwasser, dann legt er los. Beim gebürtigen Münsterländer würde man auf den ersten Blick kein Entertainer-Talent vermuten, doch wenn er über das Thema Nachwuchs referieren soll, dann ist er nicht zu halten. „Wir wollen eine Identität mit einer klaren Orientierung schaffen“, sagt er. Der Nachwuchs des Clubs, so Peters, sei die Zukunft des Clubs. Nicht mehr, aber in Zeiten von fehlenden Mitteln für Neuzugänge eben auch nicht weniger.

Im Februar soll der erste Spatenstich für den HSV-Campus erfolgen. Doch wie die HSV-Zukunft in der Gegenwart aussieht, das konnten aufmerksame Beobachter am Freitagabend in den Katakomben des Volksparkstadions kurz vor dem Rückrundenauftakt des HSV gegen Bayern München bereits beobachten.

Auf der einen Seite unterhielten sich die Weltmeister Manuel Neuer und Thomas Müller. Und auf der anderen Seite standen U-23-Innenverteidiger Kerem Carolus und ein 1,79 Meter großer und 68 Kilogramm leichter Junge, der ein wenig schüchtern zur Seite schaute. „Guck mal, da hat sich ein Balljunge verlaufen“, rief einer. Der Balljunge hieß Finn, Finn Porath.

„Finns Potenzial ist groß“, lobt Peters das derzeit wahrscheinlich größte HSV-Talent: Finn Porath, 18 Jahre jung, genau wie Nachwuchsverteidiger Carolus ausgerechnet gegen Bayern erstmals im Kader. „Finn hat eine sehr schnelle Auffassungsgabe und kann auch problematische Situationen auf dem Platz lösen“, sagt Peters, dem die Lobhudelei allgemein nicht besonders liegt. Doch auf Porath angesprochen, gerät der eher zurückhaltende Westfale fast ins Schwärmen: „Er hat gute Karten, schon jetzt häufiger bei der Bundesligamannschaft zu trainieren.“

Doch Peters geht es nicht um Porath, Peters geht es ums Prinzip. Um das Prinzip Porath, wenn man so will. „Unser Ziel muss es sein, dass wir einen vollwertigen Bundesligaspieler wertsteigernd entwickeln“, beschreibt er die Ausrichtung im Nachwuchsbereich, den er nach seinen Vorstellungen seit anderthalb Jahren reformiert. Der Diplom-Sportlehrer klingt jetzt wie ein Diplom-Sportlehrer. „Wir wollen die Persönlichkeit jedes Einzelnen weiterentwickeln“, sagt er, und erklärt: „Alles mündet in den fünf Werten, die wir festgelegt haben: Teamgeist, Siegeswille, Bescheidenheit, Leistungsbereitschaft und Kritikfähigkeit.“

Fünf Schlagwörter, mehr nicht. „Doch“, widerspricht Peters. Noch ein großer Schluck Mineralwasser. Dann fängt er an zu skizzieren, wie man diese fünf Schlagwörter mit Leben füllen kann. „Wir haben für alle Perspektivspieler einen genauen Plan“, sagt der frühere Hockeynationaltrainer und erklärt: Jahrgangsübergreifend gebe es 16 bis 18 Perspektivspieler, die mit gezieltem Individual-, Team-, Positions- und Athletiktraining innerhalb des Clubs gefördert werden. Alle zwei Wochen würden die Perspektivspieler gemeinsam mit Labbadia-Assistent Bernhard Trares ein Sondertraining absolvieren. Der Kreis der Auserwählten sei „eine Drehtür“, sagt Peters. Man sei schnell drin, aber auch schnell wieder draußen.

Der HSV bietet Workshops an und unterstützt Fernstudiummodule

Drin sei man vor allem, wenn man verstehe, dass Fußballtraining nicht nur auf dem Rasen stattfindet. „Wir wollen auch einen Plan über den Trainingsplatz hinaus verfolgen“, sagt Peters. Es gehe darum, nicht nur die Füße, sondern auch den Kopf zu fördern. Finn Porath absolviere beispielsweise gerade im Rahmen seiner Fachhochschulreife ein Praktikumsjahr in der HSV-Abteilung Spielanalyse.

Zudem biete der HSV seinen Nachwuchsspielern gezielt Weiterbildungen wie ein Bewerbungstraining oder einen New-Media-Workshop an, auch Fernstudiummodule vom Institut für Sportmanagement (IST) werden unterstützt. „Wir wollen das Bewusstsein für die eigene Persönlichkeit schärfen“, erklärt Peters.

Der frühere Profi-Teammanager Marinus Bester stellt für alle Talente zwischen U16 und U19 einen individuellen Wochenplan zusammen. „Mich treibt um, dass unsere Jungs bewusst trainieren“, sagt Peters. „Man muss ihnen erklären, was Training eigentlich bedeutet. Das hat etwas mit der Reflexionsfähigkeit zu tun.“ Erst vor Kurzem wurde den Youngsters nach dem Training ein Video von der „Alinghi“ gezeigt. Die Segelyacht gewann 2003 als erstes europäisches Schiff den renommierten America’s Cup, gilt seitdem als Beispiel für gelebtes Teamwork.

Doch Fußball ist ein Egogeschäft. Und kein Markt ist so sehr umkämpft wie das Geschäft um die Talente. Umtriebige Clubs wie Wolfsburg, Leipzig und Leverkusen sollen längst am HSV vorbeigezogen sein, und selbst dem Lokalrivalen wird eine bessere Talentförderung nachgesagt. Gerade erst hat
St. Paulis U-17-Nationalspieler Sam Schreck seinen Wechsel nach Leverkusen verkündet.

„Es gibt ja einen Grund, warum so einer, der vor der eigenen Haustür spielt, lieber in die Ferne zieht“, sagt einer, der sich auskennt, aber lieber nicht namentlich genannt werden will. Ähnliches galt für die Ex-HSV-Talente Vitali Jannelt (Leipzig), Tore Jacobsen und Melvin Krol (beide Bremen), die alle nicht in Hamburg bleiben wollten. Und auch U-17-Nationalspieler Mats Köhlert, ein potenzieller „Star“ von morgen, soll auf dem Sprung sein.

Peters kennt das Geraune der Szene – doch es interessiert ihn nicht. „Kennen Sie die Nowitzki-Doku ,Der perfekte Wurf‘?“, fragt er. Gerade erst hätten sie einen Videoclip aus Sequenzen des Films zusammengestellt und in größerer Runde gezeigt. In einer Szene sagt Dirk Nowitzki: „Ich habe mich nie als Star gefühlt.“ Jetzt strahlen Peters’ Augen. „Ein starker Satz für einen der erfolgreichsten Sportler Deutschlands. Wir haben die Jungen gefragt, was Nowitzki mit diesem Satz wohl meint.“

Nur die Antworten, die wollte Peters nicht verraten.