Hamburg. Reservisten tragen ihre Abschiedswünsche offensiv vor. Trainer Labbadia und Sportdirektor Knäbel passt das gar nicht.

Ein paar Wochen ist es nun schon her, als Beobachter des HSV eine für diesen Club etwas merkwürdige Diskussion initiierten. Nach dem zweifachen Fast-Abstieg in den Vorjahren hatte das Team von Bruno Labbadia einen überraschend ordentlichen Saisonstart hingelegt. Der HSV hatte ein paar Mal gewonnen, ein paar Mal verloren. Und als folglich die Sorgen vor einem dritten Überlebenskampf in Serie immer kleiner wurden, sollte eine andere Sorge parallel dazu immer größer werden: Der traditionell höchst unterhaltsame Verein, so die Befürchtung, drohe langweilig zu werden.

Die gute Nachricht nach dem schlechten Auftritt beim 1:3 gegen Mainz 05: Die Angst davor, dass der HSV tatsächlich langweilig wird, ist definitiv unbegründet. Und den größten Verdienst daran hat ausgerechnet der Kleinste: Marcelo Díaz hatte während der unglücklichen Niederlage gegen Mainz als Einwechselspieler zwar erneut nur eine Nebenrolle übernommen, nach der Partie wuchs der 1,66 Meter große Mittelfeldästhet in der sonst oft sinnfreien Mixedzone allerdings regelrecht über sich hinaus.

„Ich bin sehr unzufrieden“, hatte der 28 Jahre alte Südamerikaner das rund siebenminütige Gespräch mit der „Welt“ noch sehr moderat begonnen, ehe er dann doch sehr deutliche Worte für seine Unzufriedenheit fand. Er habe weniger als 40 Prozent der möglichen Einsatzminuten bekommen, rechnete er vor, „das kann man mit einem Kind machen, aber nicht mit mir“. Anders als zuletzt auf dem Platz war der Chilene nun gar nicht mehr zu stoppen. „Es kommt mir vor, dass nicht die besten Spieler spielen“, sagte er, und legte nach: „Die Entscheidung ist gefallen. Egal, was sie mir sagen: Ich möchte im Winter gehen.“

Bitterer Rückschlag für den HSV gegen Mainz

Michael Gregoritsch hätte einen Treffer bei der 1:3-Pleite gegen Mainz erzielen müssen
Michael Gregoritsch hätte einen Treffer bei der 1:3-Pleite gegen Mainz erzielen müssen © dpa | Axel Heimken
Marcelo Díaz ist mit seiner Rolle als Reservist unzufrieden und sprach nach dem Spiel offen über seinen Wechselwunsch
Marcelo Díaz ist mit seiner Rolle als Reservist unzufrieden und sprach nach dem Spiel offen über seinen Wechselwunsch © WITTERS | TimGroothuis
Florian Niederlechner grätscht Lewis Holtby den Ball vom Fuß
Florian Niederlechner grätscht Lewis Holtby den Ball vom Fuß © WITTERS | ValeriaWitters
Was tun? Michael Gregoritsch schoss achtmal auf das Tor – aber nicht einmal in das Tor
Was tun? Michael Gregoritsch schoss achtmal auf das Tor – aber nicht einmal in das Tor © WITTERS | ValeriaWitters
Nicolai Müller (l.) im Duell mit dem Ex-Hamburger Maximilian Beister
Nicolai Müller (l.) im Duell mit dem Ex-Hamburger Maximilian Beister © WITTERS | TimGroothuis
Torwart Loris Karius hat den Ball sicher
Torwart Loris Karius hat den Ball sicher © WITTERS | ValeriaWitters
Hamburgs Ivo Ilicevic (l-r) und Sven Schipplock nehmen dem Mainzer Julian Baumgartlinger den Ball ab
Hamburgs Ivo Ilicevic (l-r) und Sven Schipplock nehmen dem Mainzer Julian Baumgartlinger den Ball ab © dpa | Axel Heimken
Der Mainzer Pablo De Blasis (l.) und Hamburgs Lewis Holtby schauen auf den Ball
Der Mainzer Pablo De Blasis (l.) und Hamburgs Lewis Holtby schauen auf den Ball © dpa | Axel Heimken
Die Mainzer Spieler feiern neben Hamburgs Gideon Jung den Treffer zum 0:1
Die Mainzer Spieler feiern neben Hamburgs Gideon Jung den Treffer zum 0:1 © dpa | Axel Heimken
Hamburgs Matthias Ostrzolek ärgert sich
Hamburgs Matthias Ostrzolek ärgert sich © dpa | Axel Heimken
Hamburgs Michael Gregoritsch (r.) ärgert sich neben dem Mainzer Torwart Loris Karius über eine vergebene Chance
Hamburgs Michael Gregoritsch (r.) ärgert sich neben dem Mainzer Torwart Loris Karius über eine vergebene Chance © dpa | Axel Heimken
Die Mainzer Alexander Hack (l.) und Pierre Bengtson (r.) schauen Hamburgs Michael Gregoritsch beim Schuss zu
Die Mainzer Alexander Hack (l.) und Pierre Bengtson (r.) schauen Hamburgs Michael Gregoritsch beim Schuss zu © dpa | Axel Heimken
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Díaz und Olic droht Beisters Schicksal

Mit diesem Wunsch ist der „Tomorrow, my friend“-Held aus der Relegation, der den HSV im Sommer mit seinem anarchistischen Freistoßtor gegen den KSC in der Nachspielzeit vom nahezu perfekten Abstieg bewahrte, nicht allein. Auch die Reservisten Ivica Olic, der wie Díaz für gut zwei Millionen Euro im vergangenen Winter verpflichtet wurde, und Zoltan Stieber haben proaktiv angekündigt, den HSV zum Jahreswechsel verlassen zu wollen. „Es gibt immer Leute, die unzufrieden sind. Entscheidend ist aber, dass diese Leute ihre Chance nutzen, wenn sie diese bekommen“, konterte Trainer Bruno Labbadia den öffentlichen Wunsch des Trios, und konkretisierte: „Es nützt nichts, öffentlich zu sagen, dass man den Verein verlassen will. Die Spieler werden ja vom Verein bezahlt.“

Kommentar: Nagelprobe für den HSV-Frieden

Er habe auch einen sehr deutlichen Gedankenaustausch mit Olic und Díaz gehabt und den beiden dabei seinen Standpunkt nahegelegt: „Das Schlechteste ist, wenn Spieler resignieren oder aufgeben. Das können wir uns nicht erlauben. Ich werde nicht zulassen, dass sich einzelne Spieler über die Mannschaft stellen. Das hatten wir oft genug, und das funktioniert nicht.“

Dass Labbadia, der nicht müde wird, den Wert der Gemeinschaft zu betonen, nicht nur kuscheln kann, hat er bereits unmittelbar nach seiner Verpflichtung im vergangenen April bewiesen. Damals war es Publikumsliebling Maxi Beister, der das sehr deutlich zu spüren bekam. Seine zur Show gestellte Unlust im Training in Kombination mit der öffentlichen Forderung seines Beraters, dass der Dauerreservist endlich mehr Spielzeit bekommen müsse, konterte Labbadia mit: weniger Spielzeit. So kam Beister unter Labbadia insgesamt nur noch zu drei (!) Einsatzminuten, ehe er im Sommer aussortiert und nach Mainz verschenkt wurde. „Ich wusste, als Labbadia in die Kabine kam, dass meine Zeit beim HSV abgelaufen ist“, soll Beister später der „Lünepost“ gesagt haben, was Beister selbst allerdings unmittelbar nach Erscheinen des Interviews dementierte.

Weil Labbadia allerdings weniger darauf achtet, was man sagt, als viel mehr darauf, was man tut, dürften nun Díaz und Olic ein ähnliches Schicksal wie Beister drohen. „Einige sehen jetzt ihre Felle davonschwimmen. Wir müssen aber aufpassen und uns daran erinnern, dass immer das große Ganze, nämlich die Mannschaft, im Vordergrund steht“, sagte der Coach – und weiter: „Bei allem Verständnis müssen die Spieler verstehen, dass wir noch zwei wichtige Spieler haben. Ich erwarte, dass sie das verstehen, sie werden ja auch ganz gut bezahlt.“

Labbadia setzt weiter auf Holtby statt Díaz

Zumindest adäquat bezahlt werden will der chronisch klamme HSV auch im Falle eines drohenden Abgangs von Díaz. Während der Club Topverdiener Olic im Winter wohl keine Steine in den Weg räumt, würde Sportchef Peter Knäbel seinen verärgerten Mittelfeldmann nur bei einer Millionenofferte abgeben. Ein Angebot liegt derzeit nicht vor. Zur Erinnerung: noch im Sommer explodierte Díaz’ Marktwert fast über Nacht, als er Chile in der Heimat zum Sieg der Copa América führte. Der „König der Pässe“ („Der Spiegel“) brachte 91,8 Prozent seiner Abspiele zum Mitspieler, hatte zudem die drittmeisten Ballkontakte aller Teilnehmer nach Bayerns Arturo Vidal und Barcelonas Argentinier Javier Mascherano.

Für einen Stammplatz beim HSV reichte das alles nicht. „Marcelo bildet kein gutes Pärchen mit Lewis Holtby – und Lewis hat sich nun mal in der Vordergrund gespielt. Die beiden harmonieren einfach nicht“, erklärte Labbadia, der Díaz trotzdem gern halten würde. „Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn prinzipiell nicht gehen lassen will. Aber wenn ein Spieler unbedingt weg will, dann müssen wir schauen, ob es einen Verein gibt, der das entsprechende Geld für ihn bezahlt.“

Im Winter werde man sich noch einmal zusammensetzen, kündigte Labbadia an. Bis dahin könne noch viel passieren. Nur eines nicht: Langeweile.