Lübeck. Ex-Manager plaudert in Autobiografie des früheren HSV-Kapitäns aus dem Nähkästchen. Hrubeschs Buchvorstellung geriet zu Klassentreffen.
Sorry, Herr Hrubesch, aber die Geschichte über ihren großen Tag muss mit Uwe Seeler anfangen. Der Ehrenbürger Hamburgs saß mit seiner Ehefrau Ilka gestern Vormittag im Auto, um im Michel Abschied von Helmut Schmidt zu nehmen. Entnervt vom Dauerstau auf dem Weg in die Innenstadt gaben die Seelers nach eineinhalb Stunden auf und kehrten um. Was den 79-Jährigen aber nicht daran hinderte, kurz nach 13 Uhr im Lübecker „media Docks“, einem denkmalgeschützten Lagerhaus direkt an der Trave, an der Seite von Willi Schulz aufzutauchen.
Die beiden Torjäger-Legenden des HSV sind nie gemeinsam auf dem Rasen auf die Jagd gegangen, aber dennoch war es für Seeler selbstverständlich, die Einladung seines 64-jährigen Freundes anzunehmen. Die Präsentation von Hrubeschs Biografie geriet so einer Art Klassentreffen mit vielen Weggefährten: Holger Hieronymus, Ditmar Jakobs, Bernd Wehmeyer von der 1983er-Elf, der frühere Mannschaftsarzt Dr. Uli Mann, der Bremer Max Lorenz und vor allem auch Günter Netzer weilten unter den 150 Gästen.
Netzer plaudert aus dem Nähkästchen
Seit dem Bekanntwerden der Affäre rund um die WM 2006 hatte der frühere HSV-Manager und Patenonkel von Hrubeschs Sohn Mike geschwiegen, Fragen hierzu waren gestern unerwünscht – auch, um das Werk über Hrubesch nicht in den Hintergrund treten zu lassen, zu dem Netzer das Vorwort verfasst hat. Darin verrät dieser erstmals, dass der Wechsel Hrubeschs von Rot-Weiß Essen nach Hamburg 1978 schon gescheitert war, da der Mittelstürmer aufgrund des besseren Angebots einen Vertrag bei Eintracht Frankfurt unterzeichnet hatte.
Als jedoch Hrubesch verstimmt war, weil sich die Clubführung der Eintracht nicht an Absprachen gehalten hatte, sagte er zu Netzer: „Ich gehe nicht nach Frankfurt.“ Daraufhin setzte Netzer alles daran, ihn nach Hamburg zu lotsen: „Dettmar Cramer war damals Trainer bei den Hessen. Ich wusste: Wenn er den Horst in die Finger bekommt, habe ich keine Chance mehr. Also habe ich ihn drei Tage im Westerwald versteckt.“ Schließlich ließ die Eintracht Hrubesch für ein Freundschaftsspiel mit einer Garantiesumme in Höhe von 250.000 Mark ziehen. „So sind sie, die Westfalen. Sie haben eben einen gewissen Grad an Sturheit, sind etwas eigenwillig, aber auch sehr verlässlich“, kommentierte Schulz, geboren in Wattenscheid, lächelnd das Vorgehen des gebürtigen Hammers.
Schier begleitete Hrubesch zwei Jahre lang
Der in Hamburg lebende Autor Andreas Schier hat für die Biografie 200 Gespräche mit Familienmitgliedern, Freunden und früheren Kollegen geführt und Hrubesch zwei Jahre regelmäßig begleitet. Herausgekommen ist ein sehr persönliches Werk, das den bodenständigen Menschen Horst Hrubesch besser verstehen lässt und Liebe zum Detail sein Leben „Paroli laufen lässt“. So erfährt der Leser, dass Hrubesch schon mit 13 Jahren Verantwortung übernehmen musste, als der Vater die Familie mit den fünf Kindern verließ. Als Schienbeinschoner funktionierte er Perry-Rhodan-Hefte um. Zu seiner Zeit beim HSV war es für den gelernten Dachdecker selbstverständlich, dem Mannschaftsarzt die Garage zusammen mit Caspar Memering zu reparieren. Während der WM 1982 hatte er nach seinem Zwist mit dem damaligen Bundestrainer Jupp Derwall schon wutentbrannt seine Koffer gepackt.
Hrubesch beschreibt auch, wie es ihm in Rom gelungen ist, eine private Audienz bei Papst Johannes Paul II. zu bekommen. Noch heute ist er sehr gläubig, aber seinen Spielern bei der U21 sagt er: „Ich habe nichts dagegen, wenn ihr zum lieben Gott betet. Aber die Arbeit müsst ihr schon selbst erledigen.“ Ein typischer Hrubesch-Spruch, der seinen kernigen Witz und bedingungslosen Ehrgeiz verrät. Das Perfekte zu perfektionieren, das sei das Motto des Junioren-Nationaltrainers, beschrieb Assistent Thomas Nörenberg gestern Nachmittag seinen Chef. Wobei Hrubesch sofort Wert darauf legte: „Ich sage nie Co-Trainer, sondern Kollege.“
Hrubesch denkt stets an die nächste Aufgabe
Wer eine Biografie herausbringt, gerät schnell in den Verdacht, zu sehr in der Vergangenheit zu leben. Bei Hrubesch ist das unangebracht. Die Rolex, die er zu seinem ersten Meisterschaftstitel mit dem HSV geschenkt bekommen hat, trägt sein Sohn Mike. Ein Macher wie er denkt stets an die nächste Aufgabe. Ausruhen ist nicht, schon gar nicht auf den Erfolgen: „Ich habe eigentlich nichts Besonderes gemacht. Ich habe Fußball gespielt, mein Hobby zum Beruf gemacht und damit Geld verdient.“ Beim Lesen des Buchs staunte er: „Bin das wirklich ich?“
Die Antwort lautet: Ja. Und zwar in viel mehr Facetten als gemeinhin bekannt. Dabei hat Hrubesch seine Gabe, die junge Elite des deutschen Fußballs zu Höchstleistungen zu animieren, hinlänglich bewiesen. Längst sind anfängliche Zweifel an seinen Qualitäten als Trainer der Anerkennung gewichen. „Entscheidend für mich ist, dass es mir gelingt, die Spieler mitzunehmen. Wenn sie sich mit der Sache auseinandersetzen und identifizieren, haben sie auch Spaß daran.“ Seine Linie hat er stets beibehalten: „Ich habe nicht vor, mich zu verändern. Ich komme eben schnell zum Punkt, auch wenn es manchmal weh tut.“
Im kommenden Jahr steht für Hrubesch, der 2008 mit der U19 und 2009 mit der U21 den EM-Titel gewinnen konnte, ein weiterer, womöglich letzter Höhepunkt seiner Trainerkarriere an, wenn er das deutsche U23- Team bei den Olympischen Spielen in Rio betreut. „Wir wollen nicht nur dabei sein, sondern auch gewinnen“, spricht Hrubesch das Ziel Gold offen an. „Es macht keinen Sinn, von sechs Spielen eines zu verlieren.“
Was danach kommt, ist noch offen. „Ich muss langsam sehen, dass ich auf die Bremse komme, das frisst mich irgendwann auf.“ So richtig vollkommen wäre seine Karriere als Trainer erst, wenn er zum Abschluss beim HSV anheuern würde. Früher ließ der Club etliche Chancen verstreichen, den „Langen“ an sich zu binden. „Der HSV hätte seinen Charakter und seine Fußball-Kenntnisse sehr gut gebrauchen können“, so Netzer. Großartig trauern wird Hrubesch aber nicht, schließlich braucht er für eine fruchtbare Arbeit eine Gemeinschaft, die es in den vergangenen HSV-Jahren selten gab.
Neues Zuhause im Kreis Seegeberg
Privat ist alles geregelt. Der Hof in der Lüneburger Heide, wo er mit seiner Ehefrau Angelika Haflinger gezüchtet hatte, ist verkauft, das neue Zuhause im Kreis Segeberg bezogen. Dass aber Hrubesch nur noch seinen Hobbys Angeln und Pferden nachgeht, ist kaum vorstellbar bei so viel Energie. Wie erinnerte sich Ex-HSV-Trainer Michael Oenning doch gleich an die Worte Hrubeschs zu den Junioren-Nationalspielern beim Training? „Noch mal. Da geht noch mehr. Viel mehr.“
Andreas Schier: Horst Hrubesch. Die Biografie. 304 Seiten, Gütersloher Verlagshaus, 19,99 Euro.