Hamburg. Dass der HSV das Spiel gegen 96 trotz Führung aus der Hand gab, bringt den Mittelfeldmann auf die Palme. Auch Schipplock fassungslos.

Es dauerte nur wenige Sekunden nach dem Schlusspfiff, als alles, was es zum Nordderby zwischen dem HSV und Hannover 96 aus Hamburger Sicht zu sagen gab, in nur einem – nicht gerade höflichen – Satz gesagt wurde. „So eine Scheiße“, schrie Lewis Holtby und trommelte wutentbrannt mit den Fäusten an die Plexiglaswand des Spielertunnels. „Wir müssen das 2:0 machen und bekommen stattdessen das direkte Gegentor! Und das auch noch gegen so eine Mannschaft!!“ Und dann noch einmal: „So eine Scheiße!!!“

1:2 hatte der mutmaßlich große HSV (aus Hamburg) gerade gegen den mutmaßlich kleinen HSV (aus Hannover) verloren. Es war eine Niederlage, das zeigte nicht nur Holtbys Verbalentgleisung, die Hamburgs Profis noch sehr lange sehr schmerzhaft in Erinnerung behalten werden. „So ein Spiel habe ich wirklich noch nie erlebt“, sagte Sven Schipplock, der mit 26 Jahren und 104 Bundesligaspielen mit Fug und Recht behaupten durfte, schon einiges in seiner Karriere erlebt zu haben. Dabei wollte der Angreifer, der erstmals gemeinsam mit Pierre-Michel Lasogga von Beginn an stürmen durfte, auch nicht verhehlen, dass ausgerechnet er die Hauptrolle in diesem schier unglaublichen Drama übernommen hatte.

Schipplock übt Selbstkritik

Es waren die 60 Sekunden zwischen der 58. und 59. Minute, die Schipplock später reumütig, aber treffend als „den Knackpunkt des Spiels“ bezeichnen sollte. „Ich muss da einfach das Tor machen. Wenn ich in dieser Situation das 2:0 erzielt hätte, dann wäre Hannover tot gewesen.“ Doch aus dem HSV-Konjunktiv wurde Sekunden später auf der Gegenseite ein 96-Indikativ. Denn als Emir Spahic den zur Pause eingewechselten Uffe Bech ungeschickt von den Beinen holte, entschied Schiedsrichter Sascha Stegemann zum Entsetzen der 54.603 Zuschauer auf Strafstoß. Eine harte, aber wohl vertretbare Entscheidung. „Bech hat die Elfmeter-Chance dankbar angenommen“, kommentierte HSV-Trainer Bruno Labbadia die Szene des Spiels. Hiroshi Kiyotake war es egal gewesen. Der Japaner nutzte Hannovers erste Torchance eiskalt, verwandelte aus elf Metern humorlos rechts unten zum 1:1.

Einzelkritik: Spahic erwischte rabenschwarzen Tag

Wer nach der wahrscheinlich besten ersten HSV-Stunde dieser Saison nun noch einen weiteren Beweis brauchte, wie ungerecht der Fußball doch manchmal sein kann, der wurde wenige Minuten später erneut bedient: Hannovers zweite Torchance, Hannovers zweites Tor. Diesmal war es der 1,96 Meter groß 96-Riese Salif Sané, der sich im Luftduell gegen Johan Djourou und Dennis Diekmeier durchsetzte und zum nicht für möglich gehaltenen 2:1-Siegtreffer einköpfte.

Auch Müller vergab Hochkaräter

„So ein einseitiges Spiel mit so einem verkehrten Ergebnis habe ich noch nie erlebt“, sagte Nicolai Müller, der den frühen 1:0-Führungstreffer durch Michael Gregoritsch (6.) wunderbar aufgelegt, aber im weiteren Verlauf zwei sogenannte Hundertprozentige vergeben hatte. „Wir hätten zwei oder drei Tore nachlegen müssen“, haderte Müller, der sich im Vergeben von besten Torchancen in bester Gesellschaft mit Marcelo Díaz (27.), Gregoritsch (37.), Schipplock (59.), Ilicevic (74.) und Lasogga (80.) befand.

Selbst die Tatsache, dass der HSV nach drei Heimspielen ohne eigenen Treffer endlich mal wieder das Tor getroffen hatte, konnte nach der Partie kaum einen Hamburger trösten. „Nach so einem Spiel fällt es schwer, sich irgendwas Positives herauszuziehen“, sagte Unglücksrabe Schipplock, dem dann aber doch ein kleines Trösterchen einfallen wollte: „Ich denke schon, dass das System mit zwei Stürmern ganz gut geklappt hat. Gerade in der ersten Halbzeit haben wir perfekt gespielt.“

HSV verliert völlig unnötig gegen Hannover 96

Die Szene zum 1:2: Salif Sané überspringt Johan Djourou und Dennis Diekmeier und köpft ins linke Eck
Die Szene zum 1:2: Salif Sané überspringt Johan Djourou und Dennis Diekmeier und köpft ins linke Eck © WITTERS | TimGroothuis
Hängende Gesichter beim HSV nach der unnötigen 1:2-Niederlage gegen Hannover 96
Hängende Gesichter beim HSV nach der unnötigen 1:2-Niederlage gegen Hannover 96 © WITTERS | ValeriaWitters
Hiroshi Kiyotake verwandelte einen Elfmeter zum Ausgleich für Hannover
Hiroshi Kiyotake verwandelte einen Elfmeter zum Ausgleich für Hannover © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Michael Gregoritsch erzielte die Führung für den HSV gegen Hannover
Michael Gregoritsch erzielte die Führung für den HSV gegen Hannover © Witters | TimGroothuis
Die Vorlage kam von Nicolai Müller
Die Vorlage kam von Nicolai Müller © WITTERS | ValeriaWitters
Kollektiver Jubel beim HSV: Die Hamburger führen 1:0 gegen Hannover
Kollektiver Jubel beim HSV: Die Hamburger führen 1:0 gegen Hannover © Witters | ValeriaWitters
Auch René Adler schreite seine Freude über das Führungstor heraus
Auch René Adler schreite seine Freude über das Führungstor heraus © WITTERS | TimGroothuis
Nicolai Müller wurde in der Schlussphase elfmeterwürdig zu Fall gebracht. Doch die Pfeife von Schiri Stegemann blieb stumm
Nicolai Müller wurde in der Schlussphase elfmeterwürdig zu Fall gebracht. Doch die Pfeife von Schiri Stegemann blieb stumm © WITTERS | ValeriaWitters
Sven Schipplock durfte in der Doppelspitze neben Lasogga ran
Sven Schipplock durfte in der Doppelspitze neben Lasogga ran © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Pierre-Michel Lasogga wird rüde gefällt
Pierre-Michel Lasogga wird rüde gefällt © WITTERS | ValeriaWitters
Nach dem Rückstand agierte der bullige Angreifer oftmals zu eigensinnig
Nach dem Rückstand agierte der bullige Angreifer oftmals zu eigensinnig © WITTERS | ValeriaWitters
Matthias Ostrzolek im Luftduell mit Leon Andreasen
Matthias Ostrzolek im Luftduell mit Leon Andreasen © WITTERS | ValeriaWitters
HSV-Torwart René Adler bekam im ersten Durchgang nur wenig zu tun
HSV-Torwart René Adler bekam im ersten Durchgang nur wenig zu tun © WITTERS | TimGroothuis
Lewis Holtby zieht an Hiroshi Kiyotake vorbei
Lewis Holtby zieht an Hiroshi Kiyotake vorbei © Bongarts/Getty Images | Oliver Hardt
Marcelo Díaz geht energisch gegen Felix Klaus zu Werke
Marcelo Díaz geht energisch gegen Felix Klaus zu Werke © WITTERS | TimGroothuis
Dennis Diekmeier setzt Felix Klaus unter Druck
Dennis Diekmeier setzt Felix Klaus unter Druck © WITTERS | TimGroothuis
Pierre-Michel Lasogga geht dahin, wo es weh tut
Pierre-Michel Lasogga geht dahin, wo es weh tut © WITTERS | TimGroothuis
Sven Schipplock zieht an Salif Sané vorbei
Sven Schipplock zieht an Salif Sané vorbei © WITTERS | ValeriaWitters
Michael Gregoritsch lässt sich von Hiroki Sakai nicht aufhalten
Michael Gregoritsch lässt sich von Hiroki Sakai nicht aufhalten © WITTERS | ValeriaWitters
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Frontzeck gesteht Unterlegenheit ein

Da wollte nicht einmal Gästetrainer Michael Frontzeck widersprechen: „Der HSV war die klar bessere Mannschaft“, erkannte der frühere St.-Pauli-Coach an. „Ich weiß nicht, ob wir nach einem 0:2 zurückgekommen wären.“ Ein kurzes Kompliment noch für den Kampfgeist seiner eigenen Mannschaft, dann schaute Frontzeck seinen in sich zusammengesunkenen Trainerkollegen mitleidig an: „Trotzdem wünsche ich noch einen schönen Abend.“

Labbadia bedankte sich artig, schüttelte beim Blick auf dem vor ihm liegenden Statistikzettel aber noch mal demonstrativ den Kopf. 17:5 Torschüsse und 55 zu 45 Prozent Ballbesitz waren auf dem Papier schwarz auf weiß vermerkt. Doch an den wichtigsten Zahlen des Tages sollte all dies nichts ändern: HSV 1, Hannover 2. „Ich kann das einfach nicht in Worte fassen“, sagte Labbadia, der zum Ende der kürzesten Pressekonferenz dieser Saison nur noch einige Sätze des Bedauerns fand. „Ich bin extrem genervt. Es ist unendlich schade, wahnsinnig ärgerlich.“

Das, was Labbadia dachte, dürfte Holtby bereits kurz zuvor gesagt haben.

Statistik

HSV: Adler - Diekmeier, Djourou, Spahic, Ostrzolek - Diaz, Holtby (88. Cleber) - Nicolai Müller, Gregoritsch (73. Ilicevic) - Lasogga, Schipplock (81. Olic). - Trainer: Labbadia

Hannover: Zieler - Hiroki Sakai, Marcelo, Schulz, Albornoz - Schmiedebach (46. Saint-Maximin), Salif Sane - Andreasen, Kiyotake (83. Felipe), Klaus (46. Bech) - Sobiech. - Trainer: Frontzeck

Schiedsrichter: Sascha Stegemann (Niederkassel)

Tore: 1:0 Gregoritsch (6.), 1:1 Kiyotake (59., Foulelfmeter), 1:2 Salif Sane (67.)

Zuschauer: 54.607

Gelne Karten: keine

Torschüsse: 17:5