Hamburg. Am Sonnabend (18.30 Uhr) trifft der HSV mit Bruno Labbadia auf den VfB, bei dem er fast auf den Tag vor zwei Jahren seinen Job verlor.
Am Donnerstagmittag wollen es ein paar Kinderreporter im ersten Stock des Volksparkstadions ganz genau wissen. „Herr Labbadia“, sagt ein Dreikäsehoch, und fragt: „Wie haben Sie das Bayernspiel verkraftet?“ Ein zweiter, etwa neun Jahre alt, will wissen, was Labbadia mit den ausländischen Spielern mache, die ihn so gar nicht verstehen würden. Und ein dritter Nachwuchsjournalist aus dem Feriencamp des HSV traut sich zu fragen, ob Labbadia Lieblingsspieler habe, die immer gesetzt seien. Nachdem sich der HSV-Trainer dann für jede einzelne Antwort viel Zeit nimmt, lächelt und lobt („das ist eine wirklich gute Frage“), folgt ganz am Ende der Kinderpressekonferenz die letzte Frage. Ein Blondschopf, der auch der kleine Bruder von Matthias Ostrzolek sein könnte, meldet sich schüchtern. Als er das Mikrofon in die Hand bekommt, überlegt er kurz, dann legt er zögernd los: „Herr Labbadia, bekommen die Spieler mit, dass nur negativ über sie berichtet wird?“
Wenn es nicht so traurig wäre, dann könnte man es sogar lustig finden. Jenagate, Rucksackgate, T-Shirtgate. Dann die Bayernpleite, der Schuhstreit und zum Wochenanfang auch noch der Wirbel um Emir Spahic, der Sachen gesagt haben soll, die er gar nicht gesagt hat. Vor dem Spiel gegen den VfB Stuttgart (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) geht es beim HSV mal wieder drunter und drüber, obwohl die Saison noch nicht mal richtig angefangen hat. Und mittendrin im Chaos: Bruno Labbadia, der lächelt. „Mit all dem müssen wir wohl leben“, antwortet der Fußballlehrer dem aufgeregten Kinderreporter. „Aber es ist definitiv schöner, das kann ich dir sagen, wenn positiv über einen berichtet wird.“
Doch positive Berichte über den HSV sind lange her. Nur Bruno Labbadia, der bleibt gelassen. Seit er in der vergangenen Spielzeit das Hamburger Himmelfahrtskommando sechs Spieltage vor Saisonende übernommen hatte und das Unmögliche möglich machte, gilt der gebürtige Hesse als letzter Hoffnungsträger beim HSV. Eigentlich verwunderlich, da es fast auf den Tag zwei Jahre her ist, als Labbadia in Stuttgart entlassen wurde. Verbissen sei er gewesen, sagten die Stuttgarter, misstrauisch und beratungsresistent. Labbadias Trainerkarriere schien mehr denn je in der Sackgasse. Sogar ganz ans Aufhören habe er damals gedacht. Doch dann sei ihm klar geworden, dass er so nicht weitermachen konnte. Es war der Moment, als Labbadia entschied, dass er sich die Liebe zum Fußball nicht nehmen lassen wollte. Es war der Moment, der möglicherweise seine Karriere rettete.
Trainervergleich Labbadia Zorniger
Bruno Labbadia, 49, sitzt an der Außenalster und bestellt einen Cappuccino. „Ich bin ein Fußballmaniac“, sagt er. Doch nach der Beurlaubung in Stuttgart habe er eine Auszeit gebraucht, eine Auszeit vom professionellen Fußball. Nach 27 Jahren als Spieler und als Trainer ohne einen längeren Urlaub wollte er einfach mal wieder den Fußball als Fan genießen. Ganz pur, ohne anschließende Pressekonferenz, Kreuzverhör am Spielfeldrand und Krisensitzung nach einer Niederlage. Thomas Tuchel und Pep Guardiola brauchten ein Sabbatjahr ohne Fußball. Labbadia brauchte ein Fußballjahr.
„Nach Hamburg und nach Stuttgart war ich einfach ein bisschen müde vom Tagesgeschäft“, sagt Labbadia, der trotz erneuter HSV-Dauerkrise so frisch wie noch nie wirkt. „Ich war dann in insgesamt vier Ländern auf Fußballbildungsreisen.“ England, Spanien, Italien und die USA. „Ich habe immer wieder Touren gemacht, habe dann pro Wochenende zwei bis drei Spiele gesehen. Es gab sogar Wochen mit vier bis fünf Spielen.“ Meistens habe er die Spiele mit Städtetrips und kleineren Reisen verbunden. In Liverpool habe er beispielsweise die Anfield Road besucht und sei dann auf den Spuren der Beatles gewandelt. Mal habe er seinen Sohn mitgenommen, mal Freunde und mal sei seine Frau mitgekommen. „Mir hat das wahnsinnig Spaß gemacht, derart viele unterschiedliche Impulse zu bekommen. Für mich war das Erholung pur.“
Fußballerisch habe Labbadia vor allem England fasziniert. Von den 20 Premier-League-Clubs habe er 16 Teams live gesehen. Auch Championship-Spiele habe er besucht. „Ich war zum Beispiel beim Aufstiegsspiel Queens Park Rangers gegen Derby County. Das war der Wahnsinn“, sagt Labbadia. „Einfach geil. Man spürt die Tradition an jeder Ecke.“ Er könne sich auch später ein Engagement im Mutterland des Sports vorstellen. „Sportlich würde mich England irgendwann mal sehr reizen. Nimmt man das Gesamtpaket, dann geht im Fußball nichts über Deutschland und England.“
Als Land hätten ihn vor allem die USA beeindruckt. Auch dort könnte er sich vorstellen, eine längere Zeit zu leben. In New York sei er gewesen. Und in Los Angeles. „Ich wollte mal schauen, wie weit der Fußball in den USA ist. Man merkt, dass die Leute immer mehr Bock bekommen.“ Besonders US-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann mache da einen tollen Job. „Ich habe mich mit ihm auch in Los Angeles getroffen. Wir haben uns gemeinsam ein Jugendspiel von seinem Sohn angeschaut. Auch Collegespiele und Zweitligaspiele habe ich ein paar gesehen. Es war total spannend. Ich konnte mich gar nicht sattsehen.“
Seine dritte Station sei Spanien gewesen. Dort habe er sich beispielsweise eine Partie in Valladolid angeschaut. „Das Spiel sollte um 16 Uhr beginnen. Als ich um 15.45 Uhr ankam, war ich fast der Einzige“, erinnert sich Labbadia und schüttelt den Kopf. „Da waren nur ein paar Vogelfutterverkäufer und ein paar Leutchen. Doch Punkt 16 Uhr füllte sich dann das Stadion. Das war schon ein merkwürdiges Szenario.“
Taktisch sei er vor allem in Italien auf den Geschmack gekommen. Spontan falle ihm da das Spiel zwischen dem AS Rom und Cagliari Calcio ein. „Rom war Erster, Cagliari irgendwo im Mittelfeld“, sagt Labbadia. „Doch Cagliari hat unglaublich diszipliniert gespielt. Erst in der 85. Minute fiel das 1:0 für Rom. Trotzdem fand ich beeindruckend, wie Cagliari das defensiv gemacht hat.“
Es war das erste Mal, dass er Albin Ekdal live erlebte. „Albin hat auch sehr diszipliniert gespielt, hat mir gut gefallen“, erinnert sich Labbadia. Einmal habe er sogar zwei Spiele an einem Tag gesehen: „Erst Sampdoria Genua gegen Lazio Rom. Fünf Minuten vor dem Schlusspfiff sind wir gegangen und direkt zum Bahnhof gerannt, damit wir am Abend noch Bologna gegen Inter Mailand live vor Ort sehen konnten.“
Wahrscheinlich könnte Labbadia ewig weitererzählen. Von Entwicklungen in England und in Spanien, von der Begeisterung in den USA und der Disziplin in Italien. Doch im Hier und Jetzt geht es um den HSV. Um seinen krisengeschüttelten HSV, der auf den VfB trifft. Seinen VfB. Alltagsgeschäft eben.
Labbadia lächelt. Wieder. Dann schaut er noch mal den kleinen Ostrzolek an. „Weißt du“, sagt er, „letztendlich liegt es nur an uns, ob wir auch mal wieder für positive Schlagzeilen sorgen.“
Info: Im Anschluss an das VfB-Spiel am Sonnabend gibt es wieder ein "Matz ab"-Live. Für die Spieltagsanalyse begrüßen die Blogger Dieter Matz und Marcus Scholz diesmal die Ex-HSV-Profis Andreas Merkle und Jürgen Stars.