Hamburg. Nur eines wollte der HSV in München verhindern: eine Klatsche. Als es die dann doch setzte, war niemand mehr richtig unzufrieden.
Am Sonnabend war die HSV-Welt wieder in Ordnung. Zumindest direkt nach dem Ende des Vormittagstrainings, als für einen kurzen Moment die Sonne hinter den Regenwolken hervorlugte und die Spieler sich in dem schmalen Korridor zwischen Trainingsplatz und abgesperrtem Bereich von Autogramm zu Selfie hin und her arbeiteten. „Kopf hoch, Lewis“, tröstete ein weiblicher Fan Lewis Holtby und fragte, ob sie auch noch ein schnelles Handyfoto zu dritt machen könnten. „Dicki, das war schon in Ordnung“, rief ein anderer Anhänger Dennis Diekmeier hinterher, der sich auf der Treppe zum Stadion noch einmal kurz umdrehte, grinste und den Daumen hob.
Auch nach dem 0:5 in München am Vorabend ging der Daumen keinesfalls nach unten. „Eine sehr gute erste Halbzeit“ habe der HSV gespielt, stellte Neuzugang Albin Ekdal fest, und Trainer Bruno Labbadia meinte, „gute Ansätze in München“ gesehen zu haben. Irgendwie war es eine merkwürdige Szenerie. Der Relegationsmeister war mit der Minimal-Zielsetzung zum Rekordmeister gereist: Bloß nicht unter die Räder kommen. Und als man dann doch unter die Räder geriet – zwar nicht zweistellig, aber immerhin mit 0:5 – , war das plötzlich gar nicht mehr so schlimm. „Die Mannschaften, gegen die wir punkten können“, stellte René Adler klar, „die kommen ja noch.“
Beim HSV ist man bescheiden geworden. „Man muss sich in Erinnerung rufen, dass diese Mannschaft zwei Jahre in Folge in der Relegation gespielt hat“, sagte Labbadia, der sich im Klaren war, dass er noch einen „absoluten Kraftakt“ vor sich habe. „Dieser Film, dass jetzt wieder alles von vorne losgeht, der geht auch in den Köpfen der Jungs ab. Die Spieler haben da das gleiche Gefühl wie die Fans.“
HSV verliert 0:5 bei den Bayern
Labbadia sucht nach der Basis
Dabei war die Gefühlslage rund um den HSV wenige Tage zuvor noch eine ganz andere. Es gebe ein echtes Gedränge um die Stamm- und Kaderplätze, hatte Sportchef Peter Knäbel noch vor der Abfahrt nach Jena am vorvergangenen Freitag frohlockt: „Von so einer Situation träumt man doch.“ Doch was dann in den gerade mal acht Tagen zwischen dem Abschlusstraining vor der DFB-Pokalpartie in Jena und dem Regenerationstraining nach der Bayern-Pleite zum Start passierte, das erinnerte doch eher an einen ganz bösen Albtraum.
Ein baldiges Aufwachen scheint dabei nur bedingt in Sicht. Die Frage, die sich nun nach dem (unerwarteten) 2:3 in Jena und dem (erwarteten) 0:5 in München unweigerlich stellt, lautet: Reicht die Klasse, oder reicht sie nicht? „Wir müssen schauen, dass wir so schnell wie möglich in der Bundesliga ankommen“ , sagte Labbadia, der mit der Aufarbeitung der Bayern-Blamage bereits auf dem Rückflug am frühen Sonnabend angefangen hatte. Bis zum Trainingsstart hatte der Coach die ersten 60 Minuten analysiert und fühlte sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass dieser Mannschaft vor allem ein solides Grundgerüst fehle: „Wir sind immer noch dabei, die Basis zu bilden.“
Viel Zeit wird Labbadia bei seiner Basisarbeit allerdings nicht haben. Am kommenden Sonnabend erwartet der HSV mit dem VfB Stuttgart bereits den nächsten Gegner. Einen Gegner, mit dem man sich im Gegensatz zu den übermächtigen Bayern auf Augenhöhe wähnt. „Wir wollen gegen den VfB gewinnen“, stellte Labbadia klar.
Das Zutrauen in diese Mission scheint nach der vergangenen Woche und vor allem nach dem 0:5 von München begrenzt. Dort habe die Mannschaft ohne Tempo gespielt, ohne Kombinationen und mit viel zu wenigen Torchancen. So urteilte jedenfalls die „Zeit“ – allerdings nicht über den HSV, sondern über den FCB. Man will sich also gar nicht ausrechnen, was mit dem HSV passiert wäre, wenn die bajuwarische Maschinerie erst auf Hochtouren gekommen wäre. „Diese Bayern sind eine Klasse für sich“, sagte Ekdal. Und das war natürlich bekannt. Doch was, wenn auch der HSV mittlerweile eine Klasse für sich ist? Die Bayern ganz oben, einsam und allein. Und der HSV ganz unten, einsam und allein?
„Wir sollten nicht vergessen, dass wir gerade mal den ersten Spieltag absolviert haben“, relativierte Torhüter Adler – und hatte natürlich recht. Wobei bereits an diesem ersten Spieltag auffiel, dass alle potenziellen Konkurrenten im Kampf um den vorzeitigen Klassenerhalt sehr ernsthafte Ansätze von Fußball zeigten – bis auf den HSV. Darmstadt überraschte beim 2:2 gegen Hannover und 96 glich immerhin aus. Hertha erkämpfte sich einen 1:0-Achtungserfolg in Augsburg, und Ingolstadt bejubelte einen 1:0-Sieg in Mainz. Und der HSV, der nun ein Fabel-Torverhältnis von 3:36 in den vergangenen sechs Spielen gegen die Bayern aufweist? „München ist eine schöne Stadt. Aber zum Fußballspielen komme ich nicht mehr so gerne hierher“, stöhnte Adler, der mit mehreren Paraden sogar noch ein „Supersuperergebnis“ (O-Ton Pep Guardiola) verhindern konnte.
Ein Supersuperergebnis für den HSV wäre es schon, wenn die Mannschaft nach zwei Jahren Dauerkrise zeitnahe den Negativkreis durchbricht. „Bei uns zu Hause ist es in der nächsten Woche ein neues Spiel und Stuttgart ein neuer Gegner. Darauf konzentrieren wir uns jetzt“, sagte Holtby, der sich nach dem Foto-Dreier am Sonnabend nichts mehr wünscht als endlich mal wieder einen Punkte-Dreier. Und das wäre dann wirklich was ganz Neues.