Hamburg. Seit acht Jahren arbeitet Erdinc „Eddy“ Sözer als Assistent vom HSV-Chefcoach. Er selbst bezeichnet sich als „Partner fürs Leben“.
Erdinc Sözer hat ein Faible für Metaphern. Der Mann, den eigentlich alle nur „den Eddy“ nennen, nimmt ein Gefäß mit Blumen, das auf dem Tisch vor ihm steht: „Schauen Sie sich diese Blumen an. Das sind schöne Blumen“, sagt der Eddy. „Aber diese schönen Blumen brauchen auch eine schöne Vase.“ Sözer dreht und wendet die Blumenvase, dann sagt er: „Ohne Vase fällt alles auseinander, da können die Blumen noch so schön sein.“
Beim HSV ist Bruno Labbadia die Blume, „der Eddy“ ist seine Vase. „Bruno ist das Gesicht unserer Arbeit“, sagt Sözer, der mehr als nur Labbadias Co-Trainer ist. „Ich weiß, dass ich einen Teil dieser Arbeit ausmache. Und das ist ein gutes Gefühl.“
Eddy Sözers Weg in die Fußball-Bundesliga war alles andere als vorbestimmt. Der Sohn türkischer Gastarbeiter, der mit drei Jahren aus Istanbul nach Darmstadt kam, war nie ein überragender Fußballer. Nach einer bösen Knöchelverletzung hängte er seine Fußballschuhe bereits mit 16 Jahren an den Nagel. Zum Spaß schlug Sözer die Trainerlaufbahn ein, konzentrierte sich aber zunächst auf einen „soliden Lebenslauf“, wie er sagt. Abitur, ein angefangenes Jurastudium, dann Informatikkaufmann in der IT-Branche.
Nicht viele Trainergespanne pflegen derart enge Zusammenarbeit
Doch so ganz konnte Sözer vom Fußball nicht lassen. Erst übernahm er die SKG Ober-Ramstadt, dann ging er als Co-Trainer der zweiten Mannschaft zu seinem Heimatverein Darmstadt 98. Dort fiel der gelernte Computer-Analyst auch erstmals Labbadia, damals Cheftrainer der ersten Mannschaft, auf. Als Labbadia 2007 ein Angebot aus Fürth erhielt, fragte er Sözer, ob er nicht mitkommen wolle. Und Sözer wollte. „Ich habe Bruno damals gesagt: Solange ich mich mit der Arbeit identifizieren kann und solange ich innerhalb des Jobs einen Entfaltungsspielraum habe, so lange kann ich mir die gemeinsame Arbeit gut vorstellen“, sagt er.
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Acht Jahre ist das nun schon her. Und obwohl es ganz normal ist, dass ein Cheftrainer meist auch seinen Co mitbringt, gibt es in der Bundesliga nicht viele Trainergespanne, die eine derart enge Zusammenarbeit pflegen. Seit 2007 gibt es Sözer und Labbadia nur im Doppelpack. Zunächst in Fürth, dann Leverkusen, Hamburg, Stuttgart und wieder Hamburg. „Eddy ist mein Partner“, sagt Labbadia, „er ergänzt mich.“
Dabei war nicht jeder von der symbiotischen Beziehung Labbadias und Sözers in der Vergangenheit überzeugt. Als Labbadia sechs Wochen vor dem Saisonende im April vom HSV kontaktiert wurde, ging es auch um die Frage, ob mit oder ohne Sözer. Eine Frage, die für Labbadia schnell beantwortet war. „Natürlich kamen Leute, die mich aufforderten: Schieb ihn doch weg!“, erinnert er sich. „Aber das ist so ein typisches Beispiel dafür, dass im Fußball viel Mist erzählt wird von Menschen, die sich profilieren wollen.“
„Was willst du mir Laufwege erklären?“
Tatsächlich wird im Fußball traditionell viel Mist erzählt. So kennt in Hamburg fast jeder die Geschichte von Sözer, der bei seinem ersten HSV-Engagement vor sechs Jahren dem gerade von Real Madrid verpflichteten Ruud van Nistelrooy Laufwege erklären sollte. „Was willst du mir Laufwege erklären?“, soll van Nistelrooy Sözer gefragt haben. Es war so etwas wie der Anfang vom Ende von Sözers Ruf beim HSV. Der Kabinenzwist kam raus, und fortan galt Sözer als derjenige, der zu viel redet. „Es gab nie konkrete Vorwürfe, es war immer ein Hörensagen, ein Hinter-dem-Rücken-Gerede. Doch dieses Hörensagen hielt sich hartnäckig in Hamburg und machte auch in Stuttgart die Runde“, sagt Michael Serr, der Sözer und Labbadia gemeinsam berät.
„Natürlich habe auch ich damals mitbekommen, dass wir kritisch betrachtet wurden“, erinnert sich Sözer, und schiebt die Blumenvase in Gedanken zurück in die Mitte des Tisches. „Ich habe mich nach unserer Beurlaubung damals noch mal intensiv mit der ganzen Thematik beschäftigt. Es gehört schließlich zu der eigenen Entwicklung dazu, sich auch mit Kritik zu beschäftigen.“ Nur gehört zur Kritik meistens auch ein Kritiker. „Das Problem an der damaligen Kritik war, dass mir nie irgendjemand etwas direkt ins Gesicht gesagt hat“, sagt Sözer. „Ich konnte diese Dinge damals nur schwer fassen.“
Auch sechs Jahre nach der Entlassung in Hamburg merkt man Sözer an, dass die Geschehnisse von damals ihn noch wurmen. „Das erste Halbjahr damals war klasse“, sagt der 47 Jahre alte Fußballlehrer, dem seinerzeit nicht nur ein Streit mit van Nistelrooy nachgesagt wurde. Sözer relativiert: „Mit Zé Roberto habe ich mich anfangs super verstanden. Dann kam die Winterpause, Zé blieb in Brasilien, wir wollten, dass er ins Trainingslager kommt. Und plötzlich entstand eine andere Stimmung. Plötzlich fragten alle: Was machen der Bruno und der Eddy da. Das hat vorher keiner gefragt.“
Der HSV-Kader in der Saison 2015/16
Als der HSV 1:5 in Hoffenheim verlor und Gerüchte die Runde machten, die Mannschaft habe gegen Labbadia und Sözer gespielt, wurde die Reißleine gezogen: „Wir wurden damals auf Platz sieben entlassen, ein paar Punkte hinter einem Champions-League-Platz und drei Tage vor dem Europa-League-Halbfinalrückspiel“, sagt Sözer. „Das war brutal. Ich habe zu Bruno gesagt: Uns wurde etwas genommen. Ich weiß nicht, womit wir das verdient hatten. Auch jetzt habe ich noch das Gefühl: Wir sind hier noch nicht fertig.“
Mit Labbadia nach Istanbul?
Als ihn Labbadia nun also am 14. April abends anrief, war Sözers Entscheidung längst getroffen. „Ich war gerade in Stuttgart, aber für mich kam das überhaupt nicht überraschend. Ich hatte mich schon gedanklich mit dem HSV beschäftigt“, sagt Sözer, der sogar eine Powerpoint-Präsentation über den strauchelnden Dino vorbereitet hatte und sich noch bis drei Uhr nachts mit Labbadia über erste Sofortmaßnahmen austauschte. „Am Morgen bin ich um 5 Uhr in aller Früh zum Flughafen, um 7.30 Uhr bin ich in Hamburg gelandet.“
Sözer und Labbadia wussten, dass sie beim Tabellenletzten eine Mission Impossible übernahmen. Doch das unmoralische Angebot, die Vergangenheit wieder gerade zu biegen, war einfach zu groß. „Mir wurde in den ersten sechs Wochen mit Bruno noch mal sehr klar, wie groß, wie mächtig dieser HSV ist. Das habe ich schon damals gedacht“, sagt Sözer. „Das ging mit dem ersten Auswärtsspiel in Bremen los. Wir haben verloren, aber irgendwie stand trotzdem die ganze Stadt hinter uns. Das war ein Wahnsinnsgefühl.“
Das vorläufige Ende der Geschichte ist bekannt. Der HSV schaffte in letzter Minute in Karlsruhe den Klassenerhalt – und Labbadia und Sözer waren die Retter. „Wir hatten schon vor dem Hinspiel gegen Karlsruhe einen Wenn-dann-Maßnahmenkatalog erstellt. Da waren Bruno und ich uns einig, dass wir Cléber in den Sturm stellen müssen, sollte im Rückspiel gar nichts mehr gehen und wir die Brechstange rausholen müssen“, erinnert sich Sözer. Und die Brechstange wirkte. „Als Cléber die Vorarbeit zum entscheidenden Tor gelang, war die Freude doppelt groß. Natürlich war es toll, dass wir es geschafft haben. Aber als Trainer war es auch irgendwie geil, dass ein zuvor überlegter Notfallplan aufgegangen ist.“
Am Ende, ganz am Ende, ist Sözers Plan meistens aufgegangen. Einen verwegenen Plan für die Zukunft hat er aber noch. Eines Tages will er zurück in die Türkei, zurück nach Istanbul. „Natürlich wäre es mein Traum, irgendwann mal einen der drei großen Istanbuler Clubs zu trainieren“, sagt Sözer, der gar nicht erst die Frage abwartet, ob mit oder ohne Labbadia. „Bruno hat mir mal versprochen, dass wir irgendwann zusammen in Istanbul arbeiten“, sagt er. „Also natürlich mit Bruno.“