HSV-Trainer Bruno Labbadia über die Angst vor dem Abstieg, Kritik an der HSV-Fete, seine inneren Kämpfe und den Assistenten Eddy Sözer.

Wie entspannt ein Bundesliga-Trainer, der gerade in einem denkwürdigen und emotional hoch aufgeladenen Relegationsspiel in Karlsruhe dem Abstieg von der Schippe gesprungen ist? Laut, sehr laut. Zum Hochzeitstag schenkte Bruno Labbadia seiner Sylvia zwei Karten für das Konzert der Foo Fighters in der O2 World. „Meine Frau mag die Musik unglaublich gerne. Ich bin zwar nicht so der Rocker-Typ, war aber total begeistert, was für eine Show die abgezogen haben. Die Leidenschaft dieser Musiker, wie die abgegangen sind, da nimmst du was mit.“

Hamburger Abendblatt: Herr Labbadia, können Sie die vergangenen sechs Wochen mit einem Satz zusammenfassen?

Bruno Labbadia: Das war eine WM! Ein Turnier mit dem Finale in Karlsruhe. Ich weiß jetzt, dass ich definitiv bereit bin, eine Nationalmannschaft zu trainieren. Natürlich nicht die deutsche ...

Haben Sie mit ein paar Tagen Abstand schon verarbeitet, was passiert ist?

Labbadia: Teilweise wirkt es auf mich noch irreal. Am Mittwoch, als wir die Personalplanungen besprochen haben, kam mir ganz ehrlich zwischendurch der Gedanke: Wie wäre das jetzt, wenn wir runtergegangen wären? Für mich ist es wichtig, sich damit zu befassen, weil es einen demütiger werden lässt.

Das Wort Demut haben Sie nach dem Sieg in Karlsruhe häufiger in den Mund genommen. Können Sie die Menschen verstehen, die dem HSV vorwerfen, den Klassenerhalt nicht gerade demütig gefeiert zu haben?

Labbadia:Wissen Sie, es gibt immer Menschen, die rumnörgeln wollen. Warum soll ich diesen Meinungen Raum in meinen Gedanken geben? Ich spreche lieber darüber, wie wir nach der Niederlage in Stuttgart mal am Abend durch den Volkspark liefen und uns 50 Leute nacheinander zugerufen haben: Ihr schafft das! Das war unfassbar. Ich weiß, welche Bedeutung der Klassenerhalt für den HSV und die Stadt hatte. Wer meint, dass man sich darüber nicht freuen darf, dem ist nicht mehr zu helfen.

Wie verliebt sich ein Darmstädter mit italienischen Wurzeln in Hamburg?

Labbadia: Das hat sich Stück für Stück entwickelt. Darmstadt ist meine Heimat, aber nachdem meine Tochter mit ihrem Studium in Hamburg begann, besuchten wir sie häufiger hier. Manchmal weiß man ja gar nicht, warum dir eine Stadt so ans Herz wächst. Aber ich kann mich noch gut an 2009 erinnern, als ich vor meinem ersten Engagement beim HSV – ich stand noch in Leverkusen unter Vertrag – bei Eddy Sözer anrief und ihm sagte: Eddy, egal was passiert, wir müssen nach Hamburg! Unglaublich, welche Kraft mir diese Stadt gibt.

Diese Treue hielt, obwohl Sie noch in der gleichen Saison entlassen wurden.

Labbadia: Ich gebe zu, dass ich damals zutiefst enttäuscht war und lange mit der öffentlichen Wahrnehmung meiner Arbeit gehadert habe, schließlich standen wir damals im Europacup-Halbfinale.

Zu welchem Schluss kamen Sie?

Labbadia: Erst mal sind natürlich alle anderen schuld, aber irgendwann hinterfragt man auch sich selbst. Vielleicht habe ich einfach eine Rolle eines Menschen eingenommen, der ich gar nicht bin. Deshalb waren auch die vergangenen eineinhalb Jahre so wichtig für mich ...

... in denen Sie ohne Anstellung waren.

Labbadia: Ich habe mich ernsthaft gefragt: Will ich das ganze Geschäft überhaupt noch? Will ich zulassen, dass Leute über dich werten und Dinge in die Welt setzen, die nicht immer richtig sind? Willst du mit dem Hype leben? Für eine Antwort habe ich viel Zeit gebraucht.

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    Ist es nicht auch schwierig abzuwägen, ob man zu Unsinn Stellung bezieht? Man will Unwahrheiten dementieren, befeuert die Diskussion aber so eher noch.

    Labbadia: Ich war schon als Spieler ein Mensch, an dem sich die Leute rieben und habe mir abgewöhnt, allen gefallen zu wollen. Einige Menschen haben sich sogar darüber aufgeregt, dass ich während der Spiele im Anzug rumlaufe. Das habe ich aber schon in der vierten Liga gemacht, weil ich das einfach bin.

    Warum sagten Sie: Ich mache weiter?

    Labbadia: Irgendwann habe ich mir gesagt: Ich will es unbedingt, weil ich das Spiel so liebe und einfach Bock darauf habe, dabei zu sein. Dass es immer zwei Seiten der Medaille gibt, vergesse ich nie.

    Uns hat erstaunt, dass Sie trotz der vielen negativen Erlebnisse, auch in Hamburg, eher offener geworden sind.

    Labbadia: Die Erfahrung, sich zu verschließen, habe ich bereits hinter mir. Nur: Auch wenn ich kein Blabla mehr von mir geben will, kann ich natürlich als Trainer leider nicht immer sagen, was ich denke. Du musst die Spieler schützen, den Verein, meinen Arbeitgeber.

    Sie gibt es seit Ihrer ersten Station nur im Paket mit Eddy Sözer, der auch in der Kritik stand. Es wäre leicht für Sie gewesen, zum Zeichen eines Neuanfangs als Trainer einen neuen Assistenten zu benennen.

    Labbadia: Natürlich kamen Leute, die mich aufforderten: Schieb’ ihn doch weg! Aber das ist so ein typisches Beispiel dafür, dass im Fußball viel Mist erzählt wird von Menschen, die sich profilieren wollen. Und einer muss es dann ausbaden. Loyalität ist für mich ein unglaubliches Gut, und Eddy ist ein richtiger Fachmann mit guten Werten. Er ergänzt mich.

    Inwiefern?

    Labbadia: Er merkt, wenn ich mal abdrifte, weil ich sauer oder enttäuscht bin und meine Zuversicht verliere. Jeder, auch der Trainer, braucht Leute um sich her­um, die dich in bestimmten Situationen motivieren. Und generell: Wenn ich von einem Menschen überzeugt bin, müssen diese schon was Schlimmes machen, dass ich von ihnen abrücke.

    Gehen wir noch einmal an den 14. April zurück, einen Tag vor ihrem zweiten Amtsantritt beim HSV. Wie leicht oder schwer fiel es Ihnen, dieses Himmelfahrtskommando zu übernehmen?

    Labbadia: Ich musste mir genau überlegen: Was bedeutet das für mich? Schließlich hatte ich ja vor einigen Jahren entschieden, dass Hamburg der Lebensmittelpunkt der Familie sein soll. Vielleicht haben einige Leute gedacht: Ist ja praktisch, dann kann er da wohnen bleiben, wenn es nicht funktioniert. Die Wahrheit ist aber, dass meine Entscheidung eher sehr riskant war, weil ich das Leben in den vergangenen eineinhalb Jahren sehr genossen habe. Ich wusste, ich gebe in diesem Moment meine Freiheit auf und womöglich auch die der Familie. Also habe ich der Mannschaft gesagt: Mein Antrieb ist es, dass meine Familie weiter super hier leben kann. Und das schaffe ich, indem wir in der Bundesliga bleiben.

    Und dann setzte es gleich eine bittere 0:1-Niederlage bei Werder Bremen.

    Labbadia: Ich saß da und dachte mir: Okay, es kann auch in zwei, drei Spieltagen vorbei sein und ein richtiger Spießrutenlauf werden. Ich finde es wichtig, sich mit allen Szenarien auseinanderzusetzen, auch den negativen. In Gespräche mit der Mannschaft haben wir das Thema Angst bewusst nicht ausgespart.

    Hatten auch Sie Angst?

    Labbadia: Natürlich, auch ich lebe mit Ängsten. Aber es ist nun mal einfacher, wenn man mit Menschen zusammen ist, die einem nahe sind, die mit dir diese Angst teilen. Der wichtigste Punkt war, eine Geschlossenheit hinzubekommen. Eine tolle Erkenntnis, dass man es auch innerhalb kürzester Zeit hinbekommen kann, dass eine Mannschaft an einem Strang zieht. Dies hat sich nach meinem Empfinden zunächst aufs Publikum übertragen, beim Schalke-Spiel bekamen wir eine Unterstützung zurück, die uns unglaublich Kraft gegeben hat. Diese Intensität war ein Wahnsinn ...

    Ist es das, wie eine Sucht, für einen Coach, auch ein Grund zum Weitermachen?

    Labbadia: Der größte Antrieb für mich als Trainer ist, dass eine Mannschaft das umsetzt, was du in dir drin hast, um den Fußball, der dir vorschwebt, zu spielen. Auch wenn in dieser Phase eher Leidenschaft und Emotionen gefragt waren.

    Wie schwer fällt es Ihnen, jetzt diese neue Gemeinschaft bei der Kaderplanungen auseinanderzureißen?

    Labbadia: Das trenne ich. Es wäre falsch, sich hier von Gefühlen leiten zu lassen.

    Und wie gehen Sie damit um, dass der HSV-Trainerposten exorbitant häufig neu besetzt wurde in jüngster Zeit?

    Labbadia: Ich habe es mir noch nie nehmen lassen, mittelfristig zu planen, obwohl mir bewusst ist, dass man in Wahrheit nie über ein paar Tage hinaus denken kann. Ich gehe die Arbeit beim HSV jedenfalls so an, als ob ich in fünf Jahren noch da sein werde. Und wenn dann die Früchte von anderen geerntet werden, kann ich mir sagen: Ich habe es mit auf den Weg gebracht.

    Die wichtigste Frage aller HSV-Fans lautet: Wann geht es wieder aufwärts?

    Labbadia: Jetzt große Sprüche zu klopfen, wäre der größte Fehler. Wir befinden uns nicht in einer Situation, in der wir mal so eben in den Einkaufsladen gehen können. Es geht nur in kleinen Schritten und bedarf Ausdauer in den Planungen. Wir werden nicht alles, was nicht optimal war, in ein paar Tagen hinbekommen.

    Gibt Ihnen denn Ihr 17-jähriger Sohn auch schon mal Transfertipps?

    Labbadia (lacht): Warum sollte es bei uns zu Hause anders sein als bei den über 50.000 Menschen im Stadion? Es ist schon erstaunlich, welches Wissen man sich mit Spielkonsolen aneignen kann.