Hamburg. Das Abwehrtalent will den Club unbedingt verlassen, und der HSV will den U19-Kapitän unbedingt verkaufen. Also alles klar? Von wegen!
Das Treffen der U19-Nationalspieler im Frankfurter Hotel Lindner am späten Donnerstagnachmittag dürfte Jonathan Tah gefallen haben. Anders als am Vortag, als beim Trainingsstart des HSV mehr als 300 Zuschauer und ein Dutzend Fotografen jede seiner Bewegungen beobachteten, wurde der introvertierte Kapitän des U19-DFB-Teams beim Treffen der Nachwuchselite ab 17.30 Uhr überwiegend in Ruhe gelassen. Doch Remmidemmi, das weiß Tah selbst, wird in den kommenden Wochen noch mehr als genug auf ihn zukommen: An diesem Freitag geht es weiter ins griechische Thessaloniki, wo am Montag die U19-Europameisterschaft beginnt. Und sein Ziel ist klar: das Finale am 19. Juli.
Überhaupt nicht klar ist dagegen, was nach diesem 19. Juli passiert.
An dieser Stelle beginnt eine Geschichte, die im Prinzip aus zwei verschiedenen Geschichten besteht: einer offiziellen und einer inoffiziellen. Denn noch hat Jonathan Tah, 19, einen Vertrag bis 2018, den er offiziell auch erfüllen will. Und offiziell will auch der HSV, dass er diesen erfüllt. „Natürlich haben wir für Jonathan Tah in den vergangenen Wochen Anfragen bekommen. Doch diese Anfragen haben uns nicht dazu veranlasst, uns weiter mit diesem Thema zu beschäftigen“, hatte HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer beim Trainingsauftakt am Mittwoch gesagt. „Unter den Voraussetzungen sind wir nicht bereit, ihn ziehen zu lassen.“
So bereitet sich der HSV auf die neue Saison vor
Tah will unbedingt weg
Inoffiziell sieht die Sachlage allerdings völlig anders aus. Vor allem Tah selbst ist fest entschlossen, den HSV so schnell wie möglich zu verlassen. Und wie das Abendblatt erfuhr, hat der Youngster dies den HSV-Verantwortlichen auch deutlich in einem Gespräch zu verstehen gegeben. Bayer Leverkusen hatte überzeugend angefragt, doch auch andere Vereine hätten ihr Interesse hinterlegt. So oder so stehe für ihn fest, dass er keinesfalls in Hamburg bleiben wolle. Und genau das war der sogenannte Tropfen, der das HSV-Fass zum Überlaufen brachte. Denn spätestens nach diesem Gespräch waren sich auch die Hamburger Verantwortlichen einig, dass Tah – für den entsprechenden Preis – verkauft werden müsste.
Tah will weg, Tah soll weg – doch was so einfach klingt, ist hoch kompliziert. Denn seit sein neuer Millionenvertrag mit allen Details im Februar 2014 an mehrere Hamburger Medien verschickt wurde, ist die bis dahin so steil nach oben verlaufene Karrierekurve des Abwehrtalents arg abgestürzt. Es war ein echter Krimi – nur leider ohne Happy End. Absender der brisanten Mail damals war ein gewisser Joel Essomba, ein lizenzierter Spielervermittler aus Kamerun. Doch schon bald stellte sich heraus, dass dieser gar nicht der Verfasser war, sondern ein anderer: „Jonathans Vater hat vermutlich meine Mailadresse gefälscht und die Vertragsdetails ohne mein Wissen verbreitet“, sagte Essomba damals dem Abendblatt. Schnell wurde klar, dass die eigentliche Zielscheibe der Veröffentlichungen vor allem Tahs damaliger Berater Akeem Adewunmi war, dem Tahs Vater Aquila unterstellte, nicht im besten Interesse seines Sohnes zu handeln.
Beispielloser Rosenkrieg
Es folgte ein Rosenkrieg, den es im Profifußball in dieser Form wohl noch nie gegeben hat. Opfer Nummer eins: Berater Adewunmi, der Tah auf dessen Karriereweg bis dahin tadellos begleitet haben soll. Opfer Nummer zwei: Tah selbst. Der Youngster fiel nach der Trennung von Adewunmi in ein tiefes Formloch, konnte schon bald mehr Berater als überzeugende Spiele vorweisen. Den Anfang machte der Hamburger Rechtsanwalt Mark Nowak, der sich zunächst mit Tahs Mutter Anja um die Belange des Fußballers kümmerte. Aber Nowak gab schnell auf, wurde durch Christian Nerlinger abgelöst. Doch auch der frühere Bayern-Manager sollte nicht reichen. So kümmert sich mittlerweile Lee Washington, der Vater von Tahs besten Kumpel Quinton, um das Abwehrtalent. Er sei Tahs Manager, erklärt Washington, Nerlinger sei ein Berater, zudem würde sich noch ein Sven Müller um Tahs Marketingaktivitäten kümmern.
So weit, so gut. Oder aus HSV-Sicht: so weit, so schlecht. Denn dass Tah den HSV verlassen soll, wie es Vater Aquila unlängst erneut in der „Bild am Sonntag“ forderte, daran hat auch Washington keine Zweifel mehr. „Wir sind davon überzeugt, dass er sich bei jedem Verein etablieren könnte – die Frage ist nur, welcher Verein für ihn die beste Option ist“, sagt Washington, der bald nach Griechenland reisen will, um Tah vor Ort zu unterstützen: „Für Jonathan ist das Turnier eine tolle Gelegenheit, sich zu präsentieren.“
HSV kontra Tah-Manager
Darauf hofft nun auch der HSV, der bereits vor einer Woche Leverkusens Sechs-Millionen-Euro-Angebot abgelehnt hat. Die Überlegung: Aus ganz Europa werden Talentspäher nach Griechenland reisen, um die Besten der Besten zu beobachten. Und Tah, immerhin Kapitän des Nachwuchsnationalteams, darf gut und gerne auf diesem Basar eine Hauptrolle spielen.
Denn obwohl Tahs Talent auch in Hamburg nicht verborgen geblieben ist, glauben die HSV-Verantwortlichen gleichzeitig, dass der Youngster seit der Vertragsveröffentlichung nicht mehr er selbst sei. So habe der im vergangenen Jahr nach Düsseldorf verliehene Tah in der Zweiten Liga bei der Fortuna alles andere als eine gute Rückrunde gespielt. Eine Einschätzung, die Tahs Manager Washington nicht teilt. „Er hat sich weiterentwickelt“, sagt der Berater. „Jetzt muss Jonathan den nächsten Schritt machen.“
Nur wo Tah diesen Schritt machen wird, das steht noch nicht fest. Bei acht Millionen Euro würde der HSV, der dringend Geld braucht, wohl schwach werden. Und wie das Abendblatt erfuhr, könnte ein Millionentransfer Tahs tatsächlich bereits in der kommenden Woche vollzogen werden.
Es wäre das Ende einer Geschichte, die mehr als nur eine Wahrheit kennt.