Hamburg . Der HSV-Vorstand Joachim Hilke spricht mit dem Abendblatt über den Dino-Status, weitere Anteilsverkäufe und eine neue HSV-Stiftung.
Am 14. Juni haben die Mitglieder bei der Versammlung des HSV e.V. das Wort. Im Abendblatt analysiert Marketing-Vorstand Joachim Hilke das abgelaufene Geschäftsjahr, in dem der HSV nur haarscharf an einem Totalschaden vorbeigeschlittert ist.
Hamburger Abendblatt: Herr Hilke, wie lautet Ihre Bilanz nach einem Jahr in der HSV Fußball AG?
Joachim Hilke: Mit dem sportlichen Abschneiden können wir natürlich nicht zufrieden sein.
In Ihrem Satz schwingt ein Aber mit.
Hilke: Es mag paradox für Sie klingen: Viele Dinge sind anders, sehr viele Arbeitsabläufe sind besser. Wir sind ein professionelles Unternehmen mit klaren Zuständigkeiten im Vorstand und guten Entscheidungsprozessen. Die Zusammenarbeit verläuft extrem eng und vertrauensvoll, übrigens auch mit dem Aufsichtsrat und dem Präsidium des e. V. Ich bin wirklich froh über diese Form der Geschlossenheit. Klar ist aber auch, dass Abstiegskampf permanentes Krisenmanagement bedeutet, Sachen unbearbeitet liegen bleiben.
Das heißt, für Sie ist der Aufschwung nur eine Frage der Zeit?
Hilke: Eine Garantie, kurz- oder mittelfristig erfolgreich zu sein, kann niemand abgeben, die Liga ist extrem ausgeglichen. Woran ich aber fest glaube, ist, dass wir nicht nur die richtigen Leute gefunden, sondern auch die richtigen Prozesse etabliert haben. Zu schnelle oder große Schritte darf niemand erwarten. Dietmar Beiersdorfer hat ja bereits festgestellt, dass wir ein Stück Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben.
HSV-Plus hatte mit dem Slogan „ Aufstellen“ für Europa geworben ...
Hilke: ... diese Wahlkampfsituation im Vorjahr hat sicher zu hohe Erwartungen geschürt. Bei uns allen.
Sind Sie enttäuscht, bei der Investorensuche nicht weiter zu sein?
Hilke: Wir suchen ja keinen Finanzinvestor mit einer Rendite-Erwartung, sondern streben eine Partnerschaft an, aus der beide Seiten ihren Nutzen ziehen können. Unsere Geschichte ist auf sehr positive Resonanz gestoßen. Aber gerade für große Unternehmen ist es wahnsinnig schwer, eine Entscheidung für den HSV zu treffen, die in erster Linie von einem möglichen kommunikativen Ertrag getrieben ist, wenn der sportliche Erfolg aktuell fehlt.
Was hat der HSV denn zu bieten, wie geht die Geschichte des neuen HSV?
Hilke: Was auf offene Ohren stieß, war die neudeutsch formulierte „Turnaround- Story“, das bedeutet, den HSV in einer schwierigen Situation neu aufzustellen und mittel- bis langfristig zum Erfolg zu führen. Der Club erfährt eine gewaltige regionale Liebe und steht dabei unter dem Brennglas einer nationalen Öffentlichkeit. Diese Emotionen können Unternehmen mit keiner Kampagne hervorrufen.
Viele fragen sich, ob es nicht der falsche Zeitpunkt ist, um Anteile zu verkaufen.
Hilke: Grundsätzlich sollten man Anteile verkaufen, wenn ein Unternehmen in bester Verfassung ist. Dennoch war es absolut richtig, zu diesem Zeitpunkt Anteile abzugeben. Ich würde an dieser Stelle aber auch mal wegkommen von der Aussage: Wir brauchen ständig frisches Geld. Mit dem, was der HSV aus eigener Kraft erwirtschaftet, liegen wir im ersten Drittel der Liga. Wir sollten uns darauf besinnen, das System eigenfinanziert erfolgreich zu machen, den Organismus quasi von innen heraus gesunden.
Das heißt: Derzeit keine neuen Anteilsverkäufe?
Hilke: Zusätzliches Kapital brauchen Sie dann, wenn Sie Defizite ausgleichen müssen oder den nächsten großen Schritt machen wollen. Wir tun gut daran, zunächst mal gut zu arbeiten. Hier werden wir umdenken.
Übertragen auf die Profis heißt das: Sie waren für Sie gar nicht die Schuldigen für den Misserfolg?
Hilke: Wir bringen immer wieder neue Spieler in den Zyklus, aber der Ertrag bleibt aus. Ich habe zu allen Transfers Ja gesagt und bin weiter überzeugt, dass das alles gute Jungs sind. Aber wir sehen ja, dass sie sich nicht so entwickelt haben, wie wir uns das alle erhofft haben. Als Konsequenz darauf müssen wir eher an unserem System arbeiten, als mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen.
Zur Story des HSV gehört auch der Dino-Status. Können Sie verstehen, dass dieses Betonen der Bundesligazugehörigkeit als rückwärts gerichtet kritisiert wird?
Hilke: Auch ich glaube, dass wir uns stärker Richtung Zukunft positionieren müssen. Die Stadionuhr und der Dino sind zwei Punkte, über die wir zügig nachdenken müssen. Wir schieben so viele Sachen an, die aber häufig von den Symbolen der Vergangenheit überlagert werden. Umgekehrt ist aber auch klar, dass wir nicht besser Fußball spielen, wenn wir die Stadionuhr abschrauben.
Der Vertrag mit Sponsor Eterna für die Stadionuhr ist ja abgelaufen ...
Hilke: Die Uhr muss nicht zwingend dort weiter hängen, aber final haben wir das noch nicht entschieden. Außerdem überlegen wir, das Profil des Dinos in seiner Maskottchenrolle zu schärfen. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir werden uns immer zu unseren Symbolen bekennen, darin liegt ja auch ein gewaltiger Wert, auf den jeder Fan stolz sein kann. Aber gleichzeitig müssen wir auch dokumentieren, dass wir eine zukunftsgerichtete Politik betreiben wie mit dem Campus-Projekt.
Passt da der alte Name Volksparkstadion ins Konzept?
Hilke: Für mich ist es gerade ein großes Symbol, zukunftsfähig zu sein und zugleich die Tradition bewahren zu wollen. Und: Ich war immer davon überzeugt, dass, wenn wir einen größeren Anteil abgeben, es den strategischen Investor braucht, der dem HSV über ein Sponsoring einen dauerhaften Zufluss bringt. Dies ist uns hierbei gelungen.
Der HSV scheint auch national immer mehr zu polarisieren, viele Menschen haben Ihnen den Abstieg gewünscht.
Hilke: Ich will nichts schönreden, die vergangenen zwei Serien waren schlecht. Dennoch habe ich keine Lust, uns den HSV durch anonyme Pöbler zerstören zu lassen, hier stimmt die Balance einfach nicht. Dass bei unseren Fans die Zuneigung eher noch gestiegen ist, hat uns alle ergriffen und bedeutet eine riesige Verpflichtung. Jeweils 80.000 Karten hätten wir für die letzten beiden Heimspiele verkaufen können.
So feiern die HSV-Fans den Klassenerhalt
Wundert Sie die Geduld der Fans nicht?
Hilke: Vergessen wird oft, dass die Geschlossenheit im Club gewachsen und die Außendarstellung besser geworden ist. Der HSV ist nicht mehr der Verein, der negative Schlagzeilen außerhalb des Sports am Fließband produziert. Das 0:8 in München hat unsere langsame, aber kontinuierliche Entwicklung jäh gestoppt, die zwei folgenden Monate haben uns total zurückgeworfen. Davor war nicht alles brutal schlecht. Nach 20 Spieltagen hatten wir 23 Punkte, nur vier weniger als in der gesamten vorletzten Saison.
Ihr Fazit als Marketing-Vorstand?
Hilke: Wir haben mehr Eintrittskarten verkauft, das Sponsoring substanziell verbessert und liegen in allen Bereichen, ob im Merchandising oder dem Museum, weit über Plan. Im Hospitality- Bereich steigt die Nachfrage immer dann gewaltig, wenn es sportlich besser läuft.
Wo liegen Schwerpunkte Ihrer Arbeit in der näheren Zukunft?
Hilke: Im Bereich CSR (Corporate Social Responsibility bzw. Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung, d. Red.) wollen wir unsere Anstrengungen verstärken. Die Sponsoring-Initiative werden wir von Grund auf verändern. Wir sind dabei, die Stiftung „ Der Hamburger Weg“ zu gründen, in die die Sponsorenpartner einzahlen und die offen für weitere Spender ist. Mit dem Geld möchten wir auch eigene Projekte auf die Beine stellen.
Planen Sie neben dem Campus-Bau am Stadion weitere Veränderungen?
Hilke: Noch im Sommer werden wir den Bereich in der Westtribüne zu einem HSV-Eventcenter umbauen. Die große Nachfrage ist mit den derzeitigen Räumlichkeiten nicht mehr zu befriedigen. Ganz generell streben wir den digitalen HSV an. Das bedeutet, dass wir das Stadion mit WLAN ausstatten. Auch die Bezahlsysteme wollen wir überarbeiten. Um Ihrer Frage vorzubeugen: Nein, wir wollen keine aufladbare Karte wie in anderen Städten. Außerdem planen wir unsere Internetpräsenz völlig neu, ähnlich wie bei Amazon. Wer jetzt ein Trikot und dann eine Eintrittskarte kaufen will, kann dies aktuell noch nicht auf einer Oberfläche erledigen.
Apropos Tickets: Unmut gab es über die Ticketpreiserhöhungen im Familienblock und bei den Schwerbehinderten.
Hilke: Faktisch haben wir die Preise in der Breite nicht erhöht. Insgesamt haben wir leider einen großen Anteil an Personen, die Dauerkarten kaufen, dann aber selten die Spiele besuchen. Das gilt besonders für stark ermäßigte Kategorien, unter anderem in der Nordtribüne, aber auch im Schwerbehindertenbereich mit zum Teil nur wenigen Zutritten im ganzen Jahr. Auch mit den Kinderkarten im Familienblock wurde viel Missbrauch getrieben. Dass sich einige Ticketbesitzer ärgern, die sich immer korrekt verhalten haben, kann ich verstehen. Leider müssen wir auch mal eine unbequeme Entscheidung treffen, wenn wir das Ziel, ein volles Stadion zu haben, erreichen wollen. Gegen Schalke waren wir ausverkauft, konnten aber nur 53.300 Zutritte verzeichnen.