Die Hamburger stehen in den Relegationsspielen gegen Karlsruhe unter immensem psychischen Druck – doch wie reagieren die HSV-Profis auf Stress?
Wenn der HSV am Donnerstagabend (20.30 Uhr/ARD, Sky und Liveticker auf abendblatt.de) in der wohl ausverkauften Imtech-Arena auf den Karlsruher SC trifft, sind die Vorzeichen klar: Auf der einen Seite steht ein Kader gespickt mit insgesamt 565 Länderspielen und einem Marktwert von über 70 Millionen Euro, auf der anderen Seite dürfen sich gerade mal drei Profis über insgesamt 28 Länderspiele freuen, der Marktwert der Gäste beläuft sich auf gut 16 Millionen Euro. Doch dass internationale Erfahrung und Geld keine Tore schießt, hat der HSV in dieser Spielzeit oft genug bewiesen.
In den beiden Relegationsspielen um den Bundesliga-Verbleib wird ein ganz anderer Punkt eine viel entscheidendere Rolle spielen: Wie gut können die Hamburger mit der enormen mentalen Belastung umgehen? Jeder Fehler könnte entscheidend sein und der Verursacher als der Hauptschuldige für den ersten Abstieg aus der Bundesliga in die Geschichte des Vereins eingehen. Die Spieler des KSC können hingegen nur gewinnen, der Einzug in die Relegation war schon mehr als erwartet werden konnte.
Boltersdorf sieht die Vertragssituation einiger Profis als problematisch an
„Ein Sieg für den HSV ist Pflicht, ein Sieg für den KSC wäre eine Sensation“, sagt auch Motivations- und Kommunikationscoach Peter Boltersdorf, der zu Zeiten von Bert van Marwijk schon einmal eng mit den HSV-Profis zusammenarbeitete. Die psychologische Komponente in so einem Spiel könne ausschlaggebend sein. „Je stabiler das mentale Grundgerüst, desto besser kann ein Spieler seine Qualitäten abrufen. Wobei ich beim HSV das Problem eher in der Motivation sehe – für viele Profis stellt sich die Frage, ob es sich für sie aufgrund der Vertragssituation lohnt, engagiert genug aufzutreten“, sagt Boltersdorf, der damit auf die Situation anspielt, dass einige der Protagonisten im kommenden Jahr ohnehin nicht mehr für den HSV auflaufen werden. In der Startelf stehen mit Heiko Westermann, Slobodan Rajkovic, Gojko Kacar und Ivo Ilicevic vier Spieler mit auslaufenden Verträgen.
Auch Direktor Profifußball Peter Knäbel sprach über die Relegation von einer „emotionalen Belastbarkeit im Grenzbereich“. Doch welcher Profi hat bereits bewiesen, dass er mit dieser Belastung umgehen kann? Wer könnte am Ende weiche Knie bekommen bei der Aussicht, mitverantwortlich für den ersten Abstieg der Bundesligageschichte zu sein? Das Abendblatt unterzieht die vermeintliche Startelf gegen Karlsruhe einem Stresstest:
Trainer Bruno Labbadia, 49: Der Coach versucht, jegliche Aufregung im Keim zu ersticken. Dabei ist der Druck auf den im Abstiegskampf erprobten Labbadia, der 2011 den VfB Stuttgart rettete, riesig: Er würde als erster Abstiegstrainer in die HSV-Geschichte eingehen.
Heiko Westermann, 31: Er sammelte ausschließlich positive Erfahrungen im Abstiegskampf. War zuletzt eine große Stütze, hat aber immer wieder Aussetzer: Als er gegen Fürth im vergangenen Jahr im Strafraum über den Ball schlug, wähnten sich einige schon in Liga zwei.
Johan Djourou, 28: Der technisch eigentlich beschlagene Schweizer hatte in dieser Saison schon diverse Male ein „Zitterfüßchen“ und seine Nerven nicht immer im Griff – die Kabinenrauferei mit Kollege Behrami sprach Bände. Zuletzt in seinen Leistungen aber stabilisiert.
Gojko Kacar, 28: Er hat in mentaler Hinsicht einen unbestreitbaren Vorteil gegenüber den Kollegen: Der Serbe hat einen Lauf und momentan keinerlei Selbstzweifel an seinen Qualitäten. Auf dem Spielfeld entwickelte er sich im Abstiegskampf zum Boss, der die Kameraden mitreißt.
Rene Adler, 30: Ihm versagten im Abstiegskampf der letzten Saison die Nerven. Der Keeper scheint aus dieser Situation jedoch gelernt zu haben, keiner seiner Kollegen spielt derzeit auf solch hohem Niveau. Er kann alleine dafür sorgen, dass der HSV erstklassig bleibt.
Zoltán Stieber, 26: Der Nationalspieler aus Ungarn kennt sich mit der Relegation aus. Im Vorjahr spielte er noch für Fürth – gegen Hamburg. Dabei gefiel der variable Offensivspieler so gut, dass der HSV ihn prompt verpflichtete. Im Torabschluss ist er nervenstark.
Slobodan Rajkovic, 26: Wirkte früher oft übermotiviert. Scheint sich mittlerweile im Griff zu haben, ist manchmal aber noch zu ungestüm und unkonzentriert, vor allem im Strafraum. So ein Pass wie kurz vor Schluss gegen Schalke kann tödlich sein.
Marcelo Díaz, 28: Als der Chilene im Winter vom FC Basel kam, sagte er von sich selbst, er sei ein Siegertyp. Seitdem fiel er nur durch Verletzungen auf. Dass er mit Druck umgehen kann, bewies er im WM-Achtelfinale gegen Brasilien, als er im Elfmeterschießen eiskalt traf.
Ivo Ilicevic, 28: Verpasste die Relegation im letzten Jahr – wie so viele andere Spiele – verletzungsbedingt, ist im Abstiegskampf kaum erprobt. Doch der Kroate will es spätestens nach seiner zwischenzeitlichen Suspendierung ins Regionalligateam allen beweisen.
Lewis Holtby, 24: Der Neuzugang setzt auf Yoga und die professionelle Hilfe eines Mentaltrainers,
um sich fokussieren zu können. Mit dem FC Fulham stieg er jedoch ab und bekam von Trainer Felix Magath ein vernichtendes Urteil mit auf den Weg: „Er ist einfach kein Kämpfer.“
Pierre-Michel Lasogga, 23: Der Stürmer macht nicht den Eindruck, als ob ihn die brenzlige Situation belasten würde. Er kann seinen Kopf ausschalten und sich nur auf Fußball konzentrieren. Im vergangenen Jahr war er mit seinem Tor der Retter des HSV und auch zuvor über jeden Zweifel erhaben.
Matthias Ostrzolek, 24: Das Selbstvertrauen des Neuzugangs war doch arg ramponiert,
nachdem er immer wieder auf der Bank saß. Nun ist ein leichter Aufwärtstrend zu erkennen. Vermied mit Augsburg vor zwei Jahren am letzten Spieltag die Relegation.