Der HSV-Abwehrchef über neue Hoffnung im Kampf um den Klassenerhalt , die Unterstützung der Anhänger und seine persönliche Zukunft.

Mit einem entspannten Lächeln betritt Heiko Westermann den Konferenzraum im Trainingstrakt der Profis. „Angenehm, auf jeden Fall ein anderes Gefühl“ so beschreibt der 31-Jährige die Tage nach dem 3:2 des HSV gegen Augsburg.

Hamburger Abendblatt: Herr Westermann, haben Sie die Zeitungen gelesen?

Westermann : Nein.

Das überrascht uns. Die Schlagzeilen waren mal wieder sehr positiv.

Westermann : Eine ganz bewusste Entscheidung. Ich will mich in dieser Phase nicht von außen beeinflussen lassen.

Empfinden Sie das als so schlimm in Hamburg?

Westermann : So genau verfolge ich das nicht. Fakt ist einfach, dass wir noch immer richtig in der Sch... stecken. Wir hatten bloß ein positives Erlebnis am Wochenende.

Nach dem Wolfsburg-Spiel hat niemand mehr an den HSV geglaubt. Wie schätzen Sie jetzt die Chancen auf den Klassenerhalt ein?

Westermann : Realistisch ist, dass wir es anders als vorher in der eigenen Hand haben. Das Wichtigste ist, dass wir als Mannschaft gesehen haben, dass wir selbst bei einem 2:2 nach einer 2:0-Führung gegen Augsburg noch mal zurückkommen können. Ich glaube, ich habe das schon hundertmal gesagt: Wenn wir als Mannschaft geschlossen Fußball spielen, wird keiner negativ abfallen

Haben Sie mal gerechnet, wie viele Punkte nötig sein werden?

Westermann : Interessiert mich nicht. So lange wir unsere Hausaufgaben machen, ist alles andere egal. Mit Mainz wartet ein starker Gegner auf uns.

Die Relegation ...

Westermann: ... auch damit befasse ich mich nicht, genauso wenig mit der Zweiten Liga. Ich denke daran, dass der HSV nächste Saison Erste Liga spielt.

Dann anders gefragt: Was ist passiert, dass dieses 3:2 möglich war?

Westermann : Mit Bruno Labbadia haben wir einen sehr erfahrenen Trainer bekommen, der meiner Meinung einen großen Anteil daran hat. Wer die Trainingsarbeit verfolgte, konnte erkennen, dass wir sehr viel im taktischen Bereich gearbeitet haben. Wir haben viel miteinander kommuniziert. Schon in Bremen war erkennbar, dass wir einen anderen Dreh bekommen haben.

Ohne durch die Hintertür die Vorgänger kritisieren zu wollen: War Labbadia genau der richtige Impuls, den die Spieler brauchten?

Westermann : Er hat schon etwas in uns geweckt, was vielleicht vorher fehlte.

Stimmen Sie der These zu, dass vor allem ein gutes Training einem verunsicherten Team neue Sicherheit verleihen kann?

Westermann : Trainingsarbeit ist immer entscheidend. Wie man trainiert, so spielt man auch.

Und Richtung Finale fällt es einem Trainer leichter, die Spieler zu motivieren.

Westermann : Motivation war nie das Problem bei uns. Wir sind fast immer mehr gelaufen als der Gegner.

Aber?

Westermann : Wir waren ein bisschen festgefahren in unserer Sicht, unser Spiel war nicht klar, wir haben nicht zusammengespielt. Das änderte sich in den vergangenen beiden Spielen.

Die Mannschaft hat so viele Wechsel erlebt. Ist es da nicht schwer, sich immer wieder neu einzustellen?

Westermann : Das gehört dazu. Was gepasst hat oder nicht, kann man nach der Saison analysieren. Jetzt zählen nur die Spiele und das Training.

Trotzdem noch mal nachgehakt: Ist das Problem beim HSV, dass die Spieler nicht ihr Potenzial ausgeschöpft haben oder wurden sie nicht optimal trainiert?

Westermann : Ich bin immer ein Freund davon, sich an erster Stelle selbst zu hinterfragen. Wir müssen uns eingestehen, dass wir es wieder nicht geschafft haben, ein Konstrukt zu bilden, eine mannschaftliche Geschlossenheit.

Sind Sie auch noch Sklave der wenig erfolgreichen Vergangenheit? Fehlt die Unbeschwertheit, die Lockerheit?

Westermann : Fußball ist schon ein Kopfsport geworden, 50 Prozent oder noch mehr spielen sich im Kopf ab. Am Wochenende hat man gesehen, wie schnell sich das auch drehen kann. Unumstritten ist, dass die alten ..., wie soll ich sagen, Netze im Kopf weggefegt werden. Dazu bedarf es auch positiver Erlebnisse. Wenn man die sich nicht selbst erarbeitet, wird’s schwer, und man wird rückfällig.

Wie gehen Sie persönlich mit der aktuellen Situation um?

Westermann : Was passiert ist, ist passiert, ich lebe nicht in der Vergangenheit. Und wenn Sie jetzt gleich auf meine Vertragssituation zu sprechen kommen wollen ...

... die Frage steht durchaus auf unserem Zettel ...

Westermann : ... das interessiert mich im Moment wenig. Ich will mit dem HSV nicht absteigen, da will ich ganz bestimmt nicht dabei sein.

Kann man das wirklich so wegschieben?

Westermann : Wir sind ja immer in Gesprächen gewesen, werden uns nach der Saison sicher nicht die Köpfe einhauen. Wir werden uns vernünftig zusammensetzen und eine Regelung finden. Ob ich bleibe oder nicht, wird sich dann zeigen.

Wäre es vielleicht besser, den Verein zu wechseln und einen Neustart zu wagen, nachdem Sie ja häufig das Opfer von harter, teilweise überzogener Kritik waren?

Westermann : Ich glaube schon, dass die Leute sehen, dass ich mir immer für den Verein den Hintern aufgerissen habe. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich mich entscheiden werde. Wichtig ist, dass wir drin bleiben.

Hat Ihre Wutrede doch gewirkt, als Sie Ihren Kritikern einen einschenkten?

Westermann : Na ja, ich wollte schon, dass meine Worte ankommen. Noch heute werde ich darauf angesprochen, ich hätte nicht geglaubt, dass das solche Wellen schlägt.

Ist es ein Vor- oder Nachteil, dass einige Spieler den Verein verlassen? Man könnte behaupten: Sie müssen Gas geben, um sich für einen neuen Club zu empfehlen. Oder aber: Sie sind nicht mehr mit dem ganzen Herzen dabei.

Westermann : Was soll ich dazu sagen? Es ist so, wie es ist. Dietmar Beiersdorfers Wunsch war es sicher nicht, dass wir etliche auslaufende Verträge haben. Aber: Keiner will auf seiner Vita stehen, dass er beim HSV war und abgestiegen ist. Ich bin überzeugt, dass jeder mit hundert Prozent dabei ist.

Wie empfinden Sie das Klima im Team? Gibt es eine Aufbruchstimmung?

Westermann : Der Glaube ist zurückgekehrt, bei den Anhängern und auch der Mannschaft. Es war eine riesige Erleichterung zu sehen, dass wir gewinnen können. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir auf jeden Fall noch eine Schippe draufpacken müssen. Mit der Leistung gegen Augsburg werden wir in Mainz nicht gewinnen.

Die Fans können, wieder einmal, ein Schlüssel sein für die Rettung.

Westermann : Sie sind enorm wichtig für uns. Gigantisch, was sie abgeliefert haben. Wahnsinn.

Beschreiben Sie mal: Was löst solch eine Unterstützung bei einem Fußballer aus?

Westermann : Sie nimmt ein Stück die Angst von der Mannschaft weg.

HSV besiegt den FC Augsburg

Zoltan Stieber ist erster Gratulant bei Matchwinner Lasogga
Zoltan Stieber ist erster Gratulant bei Matchwinner Lasogga © REUTERS | FABIAN BIMMER
Siegtreffer: Lasogga (3.v.l.) hämmert den Ball unhaltbar in die Maschen
Siegtreffer: Lasogga (3.v.l.) hämmert den Ball unhaltbar in die Maschen © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Nach dem Siegtreffer schrie Lasogga seine Emotionen heraus
Nach dem Siegtreffer schrie Lasogga seine Emotionen heraus © REUTERS | FABIAN BIMMER
Die Unterstützung der HSV-Fans stimmte wie gewohnt von der ersten Minute an
Die Unterstützung der HSV-Fans stimmte wie gewohnt von der ersten Minute an © WITTERS | ValeriaWitters
Die nicht einsatzfähigen Dennis Diekmeier (l.) und Lewis Holtby mischten sich unter die HSV-Fans und verfolgten das Spiel von der Stehtribüne
Die nicht einsatzfähigen Dennis Diekmeier (l.) und Lewis Holtby mischten sich unter die HSV-Fans und verfolgten das Spiel von der Stehtribüne © WITTERS | TimGroothuis
Ivica Olic feiert seinen Treffer zur 1:0-Führung. Es war sein erstes Tor nach seiner Rückkehr zum HSV
Ivica Olic feiert seinen Treffer zur 1:0-Führung. Es war sein erstes Tor nach seiner Rückkehr zum HSV © WITTERS | ValeriaWitters
Iliveciv, Torschütze Olic, Lasogga Westermann und Stieber (v.l.) feiern den frühen Führungstreffer
Iliveciv, Torschütze Olic, Lasogga Westermann und Stieber (v.l.) feiern den frühen Führungstreffer © WITTERS | ValeriaWitters
Lasogga (2.v.r.) ist in der 19. Minute zur Stelle und erzielt per Kopf die 2:0-Führung für den HSV
Lasogga (2.v.r.) ist in der 19. Minute zur Stelle und erzielt per Kopf die 2:0-Führung für den HSV © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Nach dem Treffer klatsche Torschütze Lasogga (l.) mit Trainer Bruno Labbadia ab
Nach dem Treffer klatsche Torschütze Lasogga (l.) mit Trainer Bruno Labbadia ab © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Ex-Augsburger Matthias Ostrzolek (l.) mit einem beherzten Zweikampf gegen Alexander Esswein
Ex-Augsburger Matthias Ostrzolek (l.) mit einem beherzten Zweikampf gegen Alexander Esswein © dpa | Axel Heimken
Gojko Kacar springt höher als Raul Bobadilla
Gojko Kacar springt höher als Raul Bobadilla © WITTERS | ValeriaWitters
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