Hamburg. Nach dem Hinspiel sprach Bayer-Trainer Schmidt von einer Treibjagd. Vor dem Rückspiel am Sonnabend sind die Töne bislang moderater.

Der Witz musste ja kommen. Als Trainer-Manager Peter Knäbel am Dienstag entschied, die für den Nachmittag angesetzte zweite HSV-Trainingseinheit aufgrund von Sturmtief „Niklas“ vom Rasen in den Kraftraum zu verlegen, spottete ein Anhänger: „Sogar diesen Sturm bekommen sie nicht in den Griff.“ Dabei ging es gleich am Vormittag ungewohnt stürmisch zur Sache. Kurz vor Schluss der anderthalbstündigen Einheit gerieten die eher introvertierten Gojko Kacar und Nikolai Müller aneinander. Ein kurzes Tête-à-Tête, dann reichten sich die Streithähne die Hände.

Mit einer derart unspektakulären Versöhnung ist am Sonnabend in Leverkusen nicht zu rechnen. Aufgrund der Vorkommnisse aus dem Hinspiel, als mit 54 Fouls und neun gelben Karten ein neuer Saisonnegativrekord aufgestellt wurde, ist die Partie zwischen Bayer und dem HSV am Ostersonnabend (15.30 Uhr) unter besonderer Beobachtung. „Das war eine Treibjagd vom HSV“, hatte damals Bayer-Trainer Roger Schmidt verbal nachgetreten, nachdem er sich schon während des Spiels eine handfeste Auseinandersetzung mit Ex-HSV-Coach Joe Zinnbauer erlaubt hatte. „Wie Hamburg hier spielen wollte, war von der ersten Sekunde an klar zu sehen. In den ersten fünf Minuten waren schon Fouls dabei, die überaus agressiv waren“, so Schmidt.

Bellarabi will sich nicht provozieren lassen

Ziemlich genau fünf Monate später scheinen beide Seiten bemüht, unnötige Sticheleien vor dem Wiedersehen zu vermeiden. „Das erste Spiel war sehr hitzig. Aber wir werden uns jetzt nicht großartig provozieren lassen“, sagt Karim Bellarabi im Gespräch mit dem Abendblatt. „Es gibt immer Spiele, in denen es ein wenig aggressiver zugeht. Das ist nun mal die Methode, mit der Hamburg gerne spielt und auch schon in der Hinrunde gespielt hat.“

Tatsächlich hat sich der HSV durch das umkämpfte Spiel gegen Leverkusen in der Hinrunde das Image einer Rüpeltruppe zugelegt, das bis heute Bestand hat. Fast jeder Gegnertrainer warnt seitdem öffentlich vor dem überharten Spiel des HSV, was für den Abstiegskampf eine ganz besondere Bedeutung hätte. Und so ganz ist der Vorwurf auch nicht zu entkräften: Mit 446 begangenen Fouls führt der HSV die „Treter-Tabelle“ an. Und auch die offizielle Fairplay-Wertung, in der Gelbe, Gelb-Rote und Rote Karte bewertet werden, überführt den HSV mit 75 Negativpunkten (64 Gelbe Karten, zwei Gelb-Rote Karten und eine Rote Karte) als zweitunfairste Mannschaft der Liga. Kurios: Der einzige Club, der mit 77 Zählern noch mehr Negativpunkte sammelte, ist: Bayer Leverkusen.

Van der Vaart will nicht weiter anheizen

„Diese Partie brauchen wir nicht zusätzlich anzuheizen“, sagt Rafael van der Vaart, der das Hinspiel mit seinem Tor des Tages vom Elfmeterpunkt aus entschieden hatte. Dabei war der Kapitän damals neben Valon Behrami noch einer der „Aggressive Leader“, die besonders dem früheren Hamburger Hakan Calhanoglu das Leben schwer machten. „Ich finde, Hakan hat sehr besonnen auf die Anfeindungen reagiert“, lobte später Bayer-Trainer Schmidt. Nach 63 Minuten musste van der Vaart, der nach einem harten Foul gegen Calhanoglu bereits in der ersten Halbzeit die Gelbe Karte gesehen hatte, seinerzeit gelb-rot-gefährdet vom Platz. „Hakan hat eine Top-Entwicklung. Wir haben ja schon in der vergangenen Saison gesehen, wie wichtig er für das Team war“, bemüht sich der Niederländer nun vor dem Wiedertreffen um versöhnlichere Töne. „Es war eine sehr gute Entscheidung von ihm, nach Leverkusen zu wechseln. Und er hat die großen Erwartungen bestätigt.“

Wahrscheinlich kann niemand besser nachempfinden, wie sich der vom gesamten Stadion ausgepfiffene Calhanoglu damals gefühlt haben muss als van der Vaart. „Mich haben solche Pfiffe auswärts immer stärker gemacht. Nachdenklich wird man nur, wenn die eigenen Anhänger einen auspfeifen“, sagt van der Vaart, dem genau das in der Saison 2007/08 im Spiel gegen – natürlich – Bayer Leverkusen passiert ist. Die Vorgeschichte ist bekannt: Van der Vaart hatte seinen Wechsel nach Spanien mit einem Foto im Valencia-Trikot provozieren wollen. Ganz Hamburg war außer sich. Und van der Vaart? Der hatte die Chuzpe auch in dieser Situation zum entscheidenden Strafstoß anzutreten – und zu verwandeln. „Die Fans waren damals sehr hart. Aber ich wusste ja auch, dass ich Scheiße gemacht hatte“, erinnert sich van der Vaart. „Als ich das Tor machte, waren wir wieder Freunde.“

„Abschied fällt mir nicht ganz so schwer“

Dass diese Freundschaft aber vorerst nur bis zum Sommer Bestand hat, ist bekannt. Am Wochenende hatte HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer offiziell das bekannt gegeben, was ohnehin schon jeder wusste: „Der Abschied fällt mir nicht ganz so schwer. Der Verein und ich hatten das schon lange besprochen. Ich hatte schon sehr früh gesagt, dass ich mir eine Verlängerung kaum vorstellen kann“, sagt van der Vaart, der allerdings noch nicht entschieden hat, ob es ihn nach Kansas in die USA zieht oder nicht. Sicher sei er sich nur, dass er nicht zurück nach Amsterdam wechselt: „Ajax spielt keine Rolle.“

Doch bevor es heißt, Abschied zu nehmen, will van der Vaart unbedingt noch mit dem HSV die Klasse halten. „Wir haben schon in der vergangenen Saison gespürt, dass Abstiegskampf eine ganz andere Form von Druck ist. Man merkt, dass es eine harte Zeit für jeden ist“, sagt der Holländer. „Nur wenn wir frei aufspielen, sind wir auch wirklich frei im Kopf, um gut zu spielen.“ Dass er dazu noch in der Lage ist, will van der Vaart am Sonnabend beweisen. Gegen Leverkusen. Und gegen Hakan Calhanoglu. Und wenn es dann doch erneut etwas stürmischer werden sollte, dann sei das eben so. Ring frei.