Hamburg. Trainer Zinnbauer kann sich am Freitag gegen Berlin eine Doppelspitze mit den früheren Herthanern Lasogga und Ivica Olic vorstellen.
Die Erleichterung war nicht zu hören, aber zu lesen: „Endlich wieder zurück auf dem Platz... Das Warten hat endlich ein Ende für alle...#nurderHSV #PML #10“, ließ Pierre-Michel Lasogga seine multimedialen Anhänger zeitgemäß via Instagram, Twitter und Facebook wissen – und durfte sich anschließend über 1895 „Gefällt mir“-Antworten freuen.
Die letzte Kurznachricht Lasoggas an seine Fans könnte in diesen tristen Tagen gut und gerne für ein mutmachendes Signal reichen, hätten die dahingetippten Wörter nicht einen kleinen Haken: Sie sind sieben Wochen alt. Und der kleine Haken wird zum großen Haken, bedenkt man, dass der Torjäger in diesen sieben Wochen nur 18 Minuten auf dem Rasen stand. Das lange Warten hat ein Ende? Von wegen!
Doch Zeit und Raum sind in diesen Tagen und Wochen auch beim HSV sehr relativ. So erzielte das Lasogga-lose Team in dieser Zeit gerade mal sieben Treffer, blieb vier Partien torlos und spielt daher im Hier und Jetzt den altbekannten Hoffnungsträger-Evergreen: Lasogga soll es richten. „Pierre-Michel ist heiß wie Frittenfett“, sagte Trainer Joe Zinnbauer am Tag nach dem ernüchternden 0:3 gegen Hoffenheim und verriet, dass er sich am Freitag durchaus eine Doppelspitze gegen Berlin mit den früheren Herthanern Lasogga und Ivica Olic vorstellen könnte: „Ich bin ja eigentlich ein Offensivtrainer. Wenn wir zwei gute Stürmer haben, kann ich mir auch ein System mit zwei Stürmern vorstellen.“
In der Theorie klingt das vielversprechend. Der zuletzt angeschlagene Lasogga trainierte am Sonntag mit Fitnesstrainer Markus Günter, am Montagvormittag im Kraftraum und soll an diesem Dienstag bereits wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Und Olic hat seine muskulären Problemchen bereits in der vergangenen Woche auskuriert, lief am Sonnabend sage und schreibe 11,6 Kilometer in Hoffenheim.
Ivica Olic blieb in den vergangenen vier Spielen ohne eigene Torchance
Doch zur Theorie gehört bekanntermaßen auch immer die Praxis. Und die sieht beim HSV momentan ziemlich düster aus. So hat Hamburgs Offensive, deren Aushängeschilder Lasogga und Olic nun mal sind, in dieser Saison so ziemlich jeden Negativrekord gebrochen, den man brechen konnte. Der aktuellste: Zum 14. Mal in dieser Saison blieb der HSV in Hoffenheim ohne Torerfolg. Dieses Kunststück gelang erst einmal in der Saison 1991/92.
Immerhin glaubt Zinnbauers Vorgänger Mirko Slomka, den Grund für die rekordverdächtige Torarmut erkannt zu haben. „Es fehlt ein Stürmer, der mehr als zehn Tore im Jahr schießt und konstant auf dem Platz steht“, analysierte der Coach im NDR-Sportclub. Und tatsächlich hat der HSV in der bisherigen Saison erst drei Stürmertreffer erzielt – weniger als jeder andere Bundesligaclub. Zweimal traf Lasogga, einmal war Artjoms Rudnevs erfolgreich, und Rückkehrer Olic konnte noch kein einziges Tor für den HSV erzielen. Der Kroate, der für 1,5 Millionen Euro als Ersatz für den dauerverletzten Lasogga im Winter kam, hat in den vergangenen fünf Spielen gegen Hoffenheim, Dortmund, Gladbach, Bayern und Hannover nur viermal auf das gegnerische Tor geschossen, in den vergangenen vier Partien blieb er ohne Torchance. Eine verheerende Statistik für einen Angreifer.
Doch auch Hoffnungsträgerchen Lasogga lieferte in der laufenden Saison wenige Argumente, die wirklich Mut machen. In 17 Einsätzen schoss der frühere Berliner zwar 45-mal aufs Tor, erzielte allerdings nur alle 646,5 Minuten einen Treffer. Zum Vergleich: In der Vorsaison, als Lasogga noch als Held des Nichtabstiegs gefeiert wurde, war er alle 114 Minuten erfolgreich.
Die entscheidende Frage: Warum ist das eigentlich so?
Gerne würde man Lasogga selbst fragen. Doch der 8,5 Millionen Euro teure Sommertransfer tut sich in dieser Spielzeit mit Medienanfragen ähnlich schwer wie mit dem Toreschießen. Nur wem Lasogga, seine Mutter Kerstin oder am besten beide blind vertrauen, der darf auf eine Audienz hoffen. Kritik nimmt der Stürmer überaus persönlich, fast so persönlich wie die Frau Mama. Das gilt nicht nur für Journalisten, sondern auch für die Verantwortlichen des HSV. Der medizinischen Abteilung etwa, die bei seiner Historie eine Standleitung zum sensiblen Angreifer haben sollte, traut Lasogga schon lange nicht mehr. Seine Wehwehchen lässt er lieber in München von Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt behandeln – auch wenn dieser einen Muskelfaserriss vor einem Jahr zunächst als Verhärtung im Oberschenkel diagnostizierte. „Das war alles ein bisschen diffus“, sagte damals Ex-Trainer Slomka, der genau wie sein Vorgänger häufiger auf einen Einsatz des noch angeschlagenen Stürmers drängte. Und auch Zinnbauer war in der vergangenen Woche nicht einverstanden mit der Einschätzung von Mannschaftsarzt Götz Welsch, dass Lasogga noch ein Spiel pausieren sollte. Anders als seine ungeduldigen Vorgänger hielt er sich aber an den Rat der Ärzte, obwohl die MRT-Bilder bewiesen, dass Lasogga diesmal eben nicht an einem Muskelfaserriss litt. Warum der empfindliche Fußballer, der die vergangenen vier Vorbereitungen mit Verletzungen fehlte, aber trotzdem so lange ausfiel, kann oder will niemand plausibel erklären.
HSV geht 0:3 in Hoffenheim unter
So bleibt der „Problemfall Lasogga“ (Überschrift im Abendblatt am 15.1.) ein Rätsel. Im schlechtesten Fall ein Rätsel, das der HSV bis zum Saisonende nicht lösen kann. Im besten Fall ein Rätsel, das vor allem den Berlinern am Freitag Kopfzerbrechen bereiten könnte. „Pierre ist ein fleißiger Spieler, der extrem torgefährlich ist“, sagt Hertha-Trainer Pal Dardai, der Lasogga wahrscheinlich besser als die meisten Hamburger kennt. Immerhin sind die beiden Ex-Kollegen, standen auch bei Dardais letztem Profispiel in der Saison 2010/11 gemeinsam für Hertha auf dem Platz. Berlin siegte damals 2:1 gegen Augsburg, wurde Tabellenführer und stieg in die Bundesliga auf. Einer der beiden Torschützen damals: Lasogga.