Sinsheim. Der HSV verlor nicht nur die Partie bei Hoffenheim, sondern auch Torwart Jaroslav Drobny nach Roter Karte. Neue Chance für René Adler.
Am Sonntagmorgen gab es Gesprächsbedarf. Aus eigenen Stücken versammelte sich die Mannschaft des HSV noch vor der offiziellen Videoanalyse ohne Trainer und Sportchef in der Kabine, um die am Vortag erlittene 0:3-Niederlage in Hoffenheim aufzuarbeiten. Selbstkritisch beleuchteten die Profis vor allem die ersten 20 Minuten, in denen sie viel zu passiv agiert und fast jeden Ball planlos nach vorne geschlagen hätten. Das deckte sich mit den Eindrücken ihres Trainers Joe Zinnbauer, der dem Team im Anschluss immerhin attestierte, in der Folgezeit defensiv kompakt gestanden und Nadelstiche gesetzt zu haben.
Dass der Coach trotz nur zweier Torchancen seiner Schützlinge durch Clébers Kopfball aus sechs Metern (61.) und den Schuss von Zoltan Stieber (86.), die TSG-Schlussmann Oliver Baumann entschärfte, am Ende nicht gänzlich unzufrieden war, lag in erster Linie an der 70-minütigen Unterzahl, die der HSV verkraften musste. Es war die entscheidende Szene der Partie: Hoffenheims Innenverteidiger Tobias Strobl spielte einen schönen Pass aus der eigenen Hälfte in den Lauf von Sven Schipplock, den Hamburgs Innenverteidiger Cléber sträflich frei laufen ließ. Torwart Jaroslav Drobny zögerte beim Herauslaufen, kam zu spät und konnte dem Hoffenheimer Angreifer nicht mehr ausweichen. Auch wenn sich Drobny beschwerte und Schiedsrichter Günter Perl seinen vom gegnerischen Stollen geschundenen Oberkörper präsentierte, gab es am jetzt schon siebten Strafstoß der Saison gegen den HSV kaum Zweifel – am Platzverweis hingegen schon. „Zum einen war Heiko Westermann noch in der Nähe, zum anderen wäre der Ball ins Aus gegangen. Für mich eine Gelbe Karte“, sagte Zinnbauer.
Das sah der Unparteiische anders und verhalf René Adler somit zu seinem ersten Bundesligaeinsatz seit dem 30. August 2014. Den Elfmeter von Eugen Polanski hätte Adler schon fast gehabt, er drehte den Ball noch gegen den Innenpfosten, bevor dieser die Linie überquerte. Auch in der Folge präsentierte sich der ehemalige Nationaltorwart in der Form, die ihn nach seinem Wechsel von Bayer Leverkusen zur unumstrittenen Nummer eins beim HSV gemacht hatte – bei den beiden späten Gegentoren von erneut Polanski (81.) und Sebastian Rudy (87.) war er machtlos. „Als das zweite Tor fiel, war es nur noch eine Frage der Höhe“, sagte Adler nach seinem Comeback. „Wir müssen auch mal einen machen, dann nehmen wir halt ein 1:1 mit. So machen wir blind auf und verlieren die Partie. Aber das wäre anderen Mannschaften in Unterzahl nicht anders gegangen“, nahm der Keeper seine Kollegen am Ende doch ein wenig in Schutz.
Zinnbauer: "René kann sich mit guten Leistungen aufdrängen"
Adler wird nun gegen Hertha BSC am Freitag (20.30 Uhr) auf jeden Fall wieder das Tor der Hamburger hüten, sollte Drobnys Sperre länger ausfallen, auch noch nach der Länderspielpause. Und dann? Dem Tschechen ist, einmal abgesehen von seinen fußballerischen Defiziten, nicht allzu viel vorzuwerfen, grobe Schnitzer hat er sich in der Zeit als Stammkeeper kaum erlaubt. Ein Spiel mit ein paar „Unhaltbaren“ gewonnen hat er jedoch auch selten. Zinnbauer sieht den Konkurrenzkampf jedenfalls wieder als eröffnet an: „René kann sich mit guten Leistungen aufdrängen. Alles ist möglich – auch auf der Torwartposition.“
Soll heißen: Überzeugt Adler, ist er erneut die Nummer eins, die er schon zu Beginn der Saison war. Denn fast vergessen ist bei all der Verletzungshistorie, die den mittlerweile 30-Jährigen wie ein roter Faden durch die Karriere begleitet, dass Adler zu Beginn der Saison von Ex-Trainer Mirko Slomka „aus dem Gefühl heraus“ degradiert wurde – im fitten Zustand, wohlgemerkt. Sein Nachfolger Zinnbauer beließ es bei dieser Reihenfolge im Tor, sprach aber immer von „zwei nahezu gleichwertigen Torhütern“.
Doch nicht nur zwischen den Pfosten wird es Veränderungen geben. Westermann bekam einen Schlag auf das Knie, das Innenband wurde in Mitleidenschaft gezogen. Erst hieß es, er fällt auf jeden Fall aus, am Sonntag deutete der Abwehrrecke aber schon wieder an, dass ein Einsatz gegen die Berliner möglich sei – einzig die medizinische Abteilung des HSV ist noch nicht ganz so optimistisch. Und um das lahmende Angriffsspiel in Schwung zu bekommen, sei auch ein Spielsystem mit zwei Stürmern eine denkbare Variante.
HSV geht 0:3 in Hoffenheim unter
Doch ob Pierre-Michel Lasogga endlich einmal wieder eine ganze Woche durchgehend beschwerdefrei trainieren kann, ist ungewiss. Sogar ein Comeback des gegen Hoffenheim nicht einmal eingewechselten Kapitäns Rafael van der Vaart kann Zinnbauer sich vorstellen, da Petr Jiracek gelbgesperrt ausfallen wird. „Rafa ist momentan ein Opfer der Situation im Abstiegskampf. Doch er wird uns noch einen Big Point verschaffen, da bin ich mir sicher.“
Sicher ist bis dato nur, dass der HSV nun fast zwei Jahre lang auswärts nicht gegen ein Team aus der oberen Tabellenhälfte gewinnen konnte. Genauso sicher wie die Einstellung des Torlos-Rekordes aus der Spielzeit 1991/92: Zum 14. Mal in dieser Saison blieben die Hanseaten ohne eigenen Treffer. Das muss sich gegen Berlin ändern, und Zinnbauer ist sich erneut sicher, dass der Knoten platzt. „Wir werden mutiger und frecher sein. Der Anreiz, den Gegner mit einem Sieg in der Tabelle überholen zu können, ist Motivation genug.“ Doch Motivation allein wird nicht reichen, um das Bestehen des Bundesliga-Dinos zu sichern – wie auch die Stelle Zinnbauers, die im Falle einer Niederlage wohl ernsthaft diskutiert werden würde. Noch empfindet der Fußballlehrer „100-prozentige Rückendeckung“ vom Verein – doch es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein Bundesliga-Trainer mit dieser Einschätzung täuscht.