Der HSV ist vor dem Duell beim FC Bayern zweitgrößter Außenseiter der gesamten Saison. Taktikexperten zeigen, wie die Überraschung dennoch gelingen kann. Van der Vaart womöglich auf der Bank.
Hamburg. Mit Spionen hat der HSV ja schon so seine Erfahrungen gemacht. In das Winter-Trainingslager der Hamburger in Dubai hatte sich ein Rheinländer eingeschlichen, um dem 1. FC Köln mögliche Geheimnisse des Bundesliga-Dinos für den Rückrundenauftakt präsentieren zu können. Auch wenn seine Tarnung am Ende aufflog – Köln ließ sich vom HSV nicht überraschen und siegte mit 2:0. Das soll natürlich nicht noch einmal passieren, und so blieb der vom FC Bayern zum Hamburger Abschlusstraining bestellte Spion – ein junger Kerl mit orangenfarbenen Schuhen und übergroßen Kopfhörern als Fan getarnt – am Freitag ohne Erkenntnisse. „Wir wissen, dass der Pep Guardiola seine Augen überall hat. Doch dieses Mal konnte er leider nichts Brauchbares entdecken“, freute sich HSV-Trainer Joe Zinnbauer.
Ein bisschen Bewegung, leichte Passübungen, das war´s. In der Tat ließ die letzte Einheit vor dem Bundesligaspiel beim Rekordmeister am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) keinerlei Schlüsse zu, wie der HSV das eigentlich Unmögliche möglich machen will, zumindest einen Punkt aus der Allianz-Arena zu entführen. Der Sportwettenanbieter „Tipico“ zahlt bei einem Sieg das 27fache des Einsatzes zurück – eine höhere Quote gab es in dieser Saison erst ein einziges Mal, als der SC Freiburg bei den Bayern zu Gast war. „Ein Sieg des HSV käme schon einem Wunder gleich“, sagte ein Unternehmenssprecher.
Aber Wunder geschehen ja bekanntlich immer wieder, und so wird auch der HSV-Coach seinen Plan im Kopf haben. „Wir stellen uns mit elf Mann auf die eigene Torlinie, dann wird es schwer für die Bayern“, sagte Zinnbauer, der zu ernsten Aussagen hinsichtlich seiner taktischen Überlegungen jedoch nicht bereit war. Denn wenn es eine Chance gegen die Bayern gäbe, dann nur mit einem gehörigen Überraschungsmoment.
Doch wie könnte ein solcher Matchplan aussehen, um den Bayern die Verwunderung ins Gesicht zu schreiben? Darüber haben sich auch die Autoren der Fußballtaktikseite „spielverlagerung.de“ Gedanken gemacht. Das Abendblatt hat die Macher des Projekts, das 2012 für den Grimme Online Award nominiert war, beauftragt, mögliche taktische Konzepte aufzuzeigen, um die Münchner auch im eigenen Stadion zu ärgern – beim 0:0 im Hinspiel hat der HSV diese Aufgabe ja schon mit Bravour gelöst.
Taktikexperte empfiehlt Pressing im Mittelfeld
„In der Defensive gibt es zwei Wege, die Bayern zu schlagen“, erklärt Taktikexperte Tobias Escher. „Entweder man stört wie der VfL Wolfsburg aggressiv im Mittelfeld und verhindert, dass Xabi Alonso & Co. die Verbindung zwischen Abwehr und Angriff herstellen. Ein Pressing im Mittelfeld mit dem System aus dem 2:1-Sieg des HSV gegen Hannover wäre passend, um dieses Ziel zu erreichen. Dort spielte Hamburg mit einer Mischung aus 4-2-3-1- und 4-1-4-1-System mit hoher Zentrumspräsenz. Man könnte die Bayern in der eigenen Hälfte spielen lassen, das Zentrum schließen und auf Balleroberungen um den Mittelkreis hoffen. Gegen die etwas formlos wirkenden Bayern sollte das nicht unmöglich sein.“
Denn ein großes Problem der Münchner ist in dieser Saison die Absicherung bei Kontern. Von den nur neun Gegentreffern in der aktuellen Spielzeit fielen vier nach Standards – und die fünf weiteren allesamt nach schnellen Gegenstößen. Das Ziel von Bayern-Coach Guardiola ist in jedem Spiel die totale Dominanz. Kann sein Team diese wie bei der 1:4-Niederlage in Wolfsburg nicht umsetzen, eröffnen sich Räume für den Gegner. „Die Bayern pressen nach Ballverlusten unvermindert hoch, durch die nicht mehr so dynamischen Bastian Schweinsteiger und Alonso tun sich dann aber vermehrt Lücken im Zentrum auf“, weiß Escher.
Die zweite Option sei ein hohes Pressing, gepaart mit schnellem Rückzug in die eigene Hälfte. Der HSV habe solch eine Strategie im 4-1-3-2 lange Zeit unter Zinnbauer gespielt, auch im Hinspiel. Hierdurch könnte Bayerns Spielaufbau nach hinten gedrängt und die zuletzt nicht souverän wirkenden Defensivspieler unter Druck gesetzt werden. Wichtig wäre dabei jedoch, die Verbindungsräume im Mittelfeld zu schließen.
Wie auch immer Zinnbauer sich entscheidet: Klar ist, dass der Fußballlehrer Umstellungen in seinem Team vornehmen wird. So darf sich Heiko Westermann wieder Hoffnungen auf seine Stammposition als Innenverteidiger machen, Slobodan Rajkovic droht trotz solider Leistungen die Bank. Der laufstarke Ashton Götz soll die rechte Seite dichtmachen, auf der ihm der wiedergenesene Franck Ribery begegnen könnte. „Eine Option für die Startelf“, sagte Guardiola.
Muss van der Vaart für Jiracek weichen?
Ob Ronny Marcos oder eher Matthias Ostrzolek die Ehre haben wird, sich mit dem laut Guardiola „fundamentalen“ Arjen Robben auseinanderzusetzen, will Zinnbauer erst am Spieltag entscheiden. Und auch Kapitän Rafael van der Vaart ist in den Überlegungen des Cheftrainers nicht mehr unumstritten. In der defensiven Mittelfeld-Zentrale hat Petr Jiracek die Nase vorn, auch wenn sich dieser am Donnerstag einen Anpfiff der allerersten Güte von Zinnbauer anhören musste – der Tscheche hatte sich nicht an die taktischen Vorgaben gehalten. Und im offensiven Mittelfeld scheint Zoltán Stieber dem ehemaligen Weltklassespieler den Rang abgelaufen zu haben.
Dass es nicht unmöglich ist, bei den Bayern etwas mitzunehmen, hat Schalke 04 beim 1:1 unlängst demonstriert. Für den HSV waren die jüngsten Gastspiele in der Münchner Arena allerdings eher der blanke Horror – vier Niederlagen mit 3:23 Toren setzte es bei den letzten vier Ausflügen, besonders heftig fiel dabei die 2:9-Watschn vor knapp zwei Jahren aus.
Ein solches Desaster wird den Gästen beim 100. Aufeinandertreffen in der Bundesliga jedoch nicht wieder passieren, glaubt zumindest Guardiola: „Die Hamburger haben jetzt mehr Selbstvertrauen, sie spielen gut und sehr aggressiv“, lobte der Spanier am Freitag. Und in der Rückrundentabelle steht der HSV (sechs Punkte) ja ohnehin vor den Bayern (vier). Wenn diese Reihenfolge über das Wochenende hinaus allerdings immer noch besteht, kann der HSV von sich tatsächlich behaupten, den Schlüssel zum Wunder entdeckt zu haben.