Für Bernhard Peters, Direktor Sport beim HSV, steht der Hamburger Fußball-Bundesligaclub noch ganz am Anfang seines umfassenden Veränderungsprozesses. Auf ihn und seine Mitstreiter wartet viel Arbeit.
Hamburg. Das Büro von Bernhard Peters in der Osttribüne des HSV-Stadions sieht nach Arbeit aus. Am Flipchart finden sich noch Überbleibsel der jüngsten Präsentation, an den Wänden hängen Weisheiten über Teambuilding und Motivation. Seit einem halben Jahr ist der 54-Jährige als Direktor Sport bei der HSV Fußball AG tätig. Der langjährige „Direktor für Sport und Nachwuchsförderung“ bei der TSG Hoffenheim hat die Aufgabe, beim HSV eine einheitliche Leistungssportstruktur und -philosophie durch alle Altersklassen zu schaffen. Außerdem ist der ehemalige Hockey-Bundestrainer für die Traineraus- und -weiterbildung zuständig, kümmert sich um die sportwissenschaftlichen und medizinischen Faktoren, und er ist entscheidend an der Entwicklung des HSV Campus beteiligt.
Hamburger Abendblatt: Herr Peters, beim HSV gibt es seit einigen Monaten die neue Struktur mit der AG, dem neuen Vorstandsvorsitzenden Dietmar Beiersdorfer, Ihnen und dem Direktor Profifußball Peter Knäbel. Millionen wurden in den Kader investiert. Doch die Mannschaft kämpft trotzdem wieder gegen den Abstieg. Hat sich nichts verändert?
Bernhard Peters: Wir sind aktiv dabei, die Voraussetzungen für eine Leistungsentwicklung zu verbessern. Es gibt in einem noch fragilen Gebilde aber nie kontinuierliche Entwicklungen und damit immer wieder Leistungsdellen. Es gibt viele Veränderungen. Den Erfolg kannst du nur bis zu einem gewissen Grad planen.
Haben Sie keine Sorge, dass bei weiterem sportlichem Misserfolg der Aufbau von Strukturen zweitrangig wird?
Peters: Nein, der HSV hat bei diesem Umbau keine Patrone mehr frei. Wenn er diese Strukturen nicht aufbaut, wird er weiter dem Abgrund entgegentaumeln. Es gibt keinen alternativen Weg zu dem, den Dietmar Beiersdorfer bestreitet. Ich glaube, das haben viele begriffen, dass das überfällig war und dass wir erst einmal wieder an den Wettbewerb rankommen müssen, von der Infrastruktur angefangen bis zum einheitlichen roten Faden in allen anderen Prozessen. Natürlich ist der Weg lang und dornig, weil wir aktuell andere finanzielle Voraussetzungen haben als beispielsweise die Werksvereine.
Was haben Sie hier vorgefunden, und in welche Richtung soll es gehen? Und wie weit sind Sie schon?
Peters: Der Job von Dietmar Beiersdorfer, Peter Knäbel und mir ist ja, dafür zu sorgen, dass die Fußballstrukturen im Leistungssport beim HSV stabiler werden. Dabei geht es darum, Personalrecruiting, Personalentwicklung, die strategische, inhaltliche Konzeption vom Kinderfußball bis zum Profibereich und den ganzen sportwissenschaftlichen Support in ein Netzwerk zu packen. Wir sind in allen Prozessen sehr intensiv unterwegs. Wenn man eine Skala von eins bis zehn erstellen würde, dann sind wir aber gerade bei zweieinhalb.
Was waren die größten Defizite beim HSV vorher?
Peters: Wir haben natürlich eine Analyse gefertigt, wie es aussah, als wir begannen. Die hat gezeigt, dass wir in vielen Bereichen knallhart aufholen müssen, um im Wettbewerb zu sein. Es geht jetzt in erster Linie darum, die Teams der Experten für die verschiedenen Bereiche wie im Kernbereich Fußball, Athletik, Psyche, Medizin oder Infrastruktur aufzustellen und zu führen. Wir haben jetzt die Chance, mit guten willigen Leuten im HSV diesen Weg in eine einheitliche Richtung zu gehen, sie sollen sich aktiv an diesem Gestaltungsprozess beteiligen.
Es wurde also in der Vergangenheit zu sehr vor sich hingearbeitet in den verschiedenen Altersgruppen?
Peters: Es wurde zu viel in verschiedene Richtungen gearbeitet. Wir versuchen durch ein klares Teamsystem, klare Verantwortlichkeiten in der Sache dem sportlichen Kerngeschäft einen Halt und eine Struktur zu geben.
Sie haben die Campus-Pläne modifiziert und wollen alle Nachwuchsmannschaften am Volkspark zusammenziehen.
Peters: Ja. Solange wir unsere Nachwuchs-Leistungsmannschaften in Norderstedt haben, bleibt immer die räumliche Distanz, die es unheimlich schwer macht, eine Durchlässigkeit und ein Zusammengehörigkeitsgefühl intensiv zu leben. Deswegen haben wir uns dazu entschlossen, alle Nachwuchsmannschaften später zur Arena zu holen, damit man hier eine eigene klare, leistungssportliche Identität aufbauen kann. Das ist ein langer Weg, wir sind wie gesagt bei zweieinhalb von zehn.
Würden Sie sich zutrauen, eine Bundesligamannschaft zu trainieren?
Peters: Es ist nicht eine Frage des Zutrauens, ich habe meine Zeit als Trainer erfolgreich hinter mir und würde nie ein Rad zurückdrehen. Meine neue Herausforderung ist die Ebene eines Sportdirektors. Im Fußball wie im Hockey braucht man Mitarbeiter, die in ihrem Bereich eine absolute Expertise haben. So habe ich immer gearbeitet. Es geht eigentlich als Cheftrainer einer Bundesligamannschaft darum, ein Funktionsteam, ein Expertenteam kommunikativ zu führen, die aktive Mannschaft nach verschiedensten Kriterien gut zusammenzustellen, ihnen eine Teamkultur durch Beteiligung an allen Prozessen beizubringen und immer wieder in die Empfindungen einer Mannschaft und damit des Einzelnen hineinzuhören. Das konnte ich ganz gut! Die Zeit der One-Man-Shows als Trainer ist lange vorbei.
Muss sich der Fußball mehr öffnen, um einen Wissenstransfer hinzukriegen?
Peters: Es gibt ja schon das eine oder andere Beispiel. Ich glaube, dass wir das auf die eine oder andere Weise auch vernünftig hingekriegt haben in den letzten acht Jahren in Hoffenheim. Die Entwicklung der verschiedenen Leistungsfaktoren zu systematisieren und dann alle Bereiche zu optimieren, das versuchen wir hier in Hamburg auch. Ein Club wie der HSV muss sich durch den stabilen Aufbau in allen Prozessen viel personenunabhängiger machen. Alle halbe Jahr die Trainer, den Sportchef und so weiter zu wechseln ist ein gutes Beispiel, wie es nicht klappen kann.
Was zeichnet einen guten Trainer aus?
Peters: Dass er jeden Tag lernen will. Dass er die Komplexität der ganzen Prozesse versteht. Ein Trainer muss up to date sein in seiner Fachkompetenz. Er muss über Kompetenz in der emotionalen Kommunikation verfügen. Er muss ein Gespür dafür kriegen, ob seine Botschaft ankommt. Er muss Stimmungen aus der Mannschaft registrieren – das ist alles emotionale Intelligenz und emotionale Kommunikation. Und er muss Selbstreflexion beherrschen. Sich fragen: Was ist meine Persönlichkeit? Wie ist mein Profil, wofür stehe ich, wie kann ich meine Werte transportieren? Das zeichnet einen guten Trainer aus.
Sie coachen die Trainer auch?
Peters: Ja, das ist ein wichtiger Bereich. Es geht darum, in den drei Kernkompetenzen, die ich gerade beschrieben habe – Fachkompetenz, Vermittlungskompetenz und Persönlichkeitskompetenz – den Spiegel vorzuhalten: Wie kann ich mein eigenes Trainerprofil weiter schärfen? Früher habe ich Spieler gecoacht, heute coache ich Trainer. Das ist eine wunderbare Aufgabe. Ich gehe mehr pragmatisch vor, sicher nicht wissenschaftlich, weil ich selber Trainer war. Jeder Trainer bei uns soll genau seinen individuellen Stil nach seinen Stärken entwickeln, dieser Stil passt nur zu ihm und ist sehr persönlich.
Stichwort Nachwuchsförderung: Wann fangen Sie mit der Talentfindung an? Mit sieben oder acht Jahren?
Peters: Nein, das machen wir nicht. Wir wollen im Grundlagenbereich die kleinen Vereine dadurch unterstützen, dass wir den Trainern dieser Vereine weiterhelfen. Wie leitet man Kinder pädagogisch und fachlich in diesem Bereich? Natürlich wollen wir damit auch das allgemeine Talentniveau anheben. Aber wir wollen, dass die Kinder erst mal in ihrem sozialen Umfeld bleiben. Und wenn dann außergewöhnliche Talente mit elf, zwölf Jahren für das HSV-Leistungszentrum stark genug sind, hat man eben eine Verbindung zu diesen Vereinen des Hamburger Umfeldes aufgebaut. Wenn alle Beteiligten, vor allem auch die Eltern, bereit sind, so einen Wechsel für sinnvoll zu erachten, dann kann man vernünftig drüber sprechen. Wir wollen keine gesichteten Mannschaften von Acht-, Neunjährigen mehr. Das ist Blödsinn. Da kommen wir in die Problematik, dass es in diesem Alter überhaupt keine gesicherte Talentprognose geben kann.
Sie plädieren also für eine breitere Ausbildung im Kindesalter?
Peters: Ja, vor ein paar Wochen habe ich ein sehr interessantes Gespräch mit Mehdi Mahdavikia geführt. Der hat im Iran bis zum 14. Lebensjahr viele Sportarten betrieben, Leichtathletik, Handball, Basketball, Volleyball. Er war zudem ein unheimlich schneller Sprinter. Und dann hat er erst mit 14 Jahren angefangen, systematisch Fußball zu spielen. Diese Beispiele gibt es durchaus, wenn man nicht immer dieser Idiotie nachrennen würde, dass jeder mit 17, 18 ein ausgereifter Spieler sein muss. Das muss er nicht. Wir wollen unbedingt die U23-Mannschaft nach der U19-Auswahl weiter fördern und den Jungs ein, zwei Jahre weiteren Entwicklungszeitraum geben. Das erst ist das Ende des Entwicklungsspektrums beim HSV in den fünf Trainingsstufen unseres langfristigen Konzeptes. Es gibt ein paar Top-Performer, die sind mit 18 Jahren bereit für die Bundesliga. Die anderen brauchen eben noch ein, zwei Jahre. Wenn man mit dem Einstiegsalter für Spezialisierungstraining etwas später beginnen würde, dann wäre das sehr viel besser. Dagegen steht eben das zu harte Wettkampfsystem in Deutschland. Ich spreche zum Beispiel die C-Junioren-Regionalliga an. All diese Entwicklungen sollten wir hinterfragen. Es ist langfristig eben nicht erfolgreich, Kinder früh nur ergebnisorientiert zu trainieren und nicht eine variable Ausbildung auf verschiedenen Positionen qualitätsvoll anzubieten.
Gibt es schon ein Umdenken?
Peters: Ich plädiere und kämpfe eigentlich seit fast 30 Jahren für kindgerechte Wettkämpfe. Es ist unser Ziel, auch hier in Hamburg bei Kindern unter zehn Jahren mit 3 gegen 3 auf vier kleine Tore zu spielen. Das einzelne Kind kann am meisten davon profitieren, weil es am meisten am Ball ist, weil es am meisten Spielwitz entwickelt, am meisten die Wahrnehmung schult– welches Tor muss ich eigentlich schnell angreifen und so weiter. Das ist einfach ein wunderbarer Einstieg. Spielen lernen durch Spielen. Hierzu bietet der HSV für die Hamburger Vereine im Februar ein zweitägiges Seminar mit dem internationalen Experten auf diesem Gebiet, Horst Wein, an. Es geht um Vielseitigkeit und Kindgerechtheit, darum, eine Basis aufzubauen, besonders auch im motorisch koordinativen Bereich. Gerade in Zeiten, in denen Kinder eine total verengte Spielumwelt vorfinden. Viel sinnvoller wäre es, wenn es bis zum Alter von zehn, elf Jahren noch gar keine Spezialsportvereine gäbe, sondern eine breite allgemeine motorisch-spielerische Ausbildung. Das ist der gelungene Einstieg in eine langfristig erfolgreiche Entwicklung der Sportler.