Vor zehn Jahren verschob Schiedsrichter Hoyzer den HSV im DFB-Pokal-Spiel gegen den heutigen Erstligisten. Am Sonnabend kommt es zum Wiedersehen mit den Ostwestfalen.
Hamburg. Die Quote ist interessant und durchaus verlockend: Zwischen 4,5 und 4,7 für 1 zahlen die Online-Buchmacher für einen Sieg des SC Paderborn am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) im Bundesligaspiel beim HSV.
Angesichts von nur fünf Heimerfolgen der Hamburger in der vergangenen Saison kann ein Zocker da möglicherweise ein ganz gutes Geschäft machen. Wie vor etwas mehr als zehn Jahren im bislang letzten Pflichtspiel beider Vereine gegeneinander: Am 21. August 2004 war der HSV als Bundesligist in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den Drittligisten aus Ostwestfalen noch klarer favorisiert. Und verlor 2:4.
„Ich habe schon nach 20 Minuten zum Linienrichter gesagt, hier läuft was schief“, erinnert sich der damalige HSV-Trainer Klaus Toppmöller im Gespräch mit dem Abendblatt. „Und in der Halbzeitpause bin ich zum Schiedsrichter gegangen und habe ihn gefragt, warum er alles gegen uns pfeift. Ich habe natürlich keine Antwort bekommen.“
Der Schiedsrichter hieß Robert Hoyzer.
Die Partie ist der bekannteste und in den Folgen krasseste Fall des Fußball-Wettskandals des Jahres 2004. Insgesamt sechs Spiele waren wohl betroffen, bei weiteren sieben gab es einen Manipulationsverdacht, der allerdings nicht erhärtet werden konnte. Neben Robert Hoyzer hatte auch Schiedsrichter Dominik Marks zwei Regionalligaspiele im Sinne seiner Auftraggeber beeinflusst.
7027 Zuschauer schauten an einem regnerischen Augustnachmittag im Hermann-Löns-Stadion in Paderborn die Pokalpartie. Ein DFB-Schiedsrichterbeobachter war nicht darunter. Das machte man damals noch nicht. Alles lief nach Plan für den Erstligisten, der erstmals mit dem neu verpflichteten Nationalstürmer Benjamin Lauth auflief und in Emile Mpenza, Sergej Barbarez, Daniel Van Buyten und Mehdi Mahdavikia hochkarätige Stars in seinen Reihen hatte. 1:0 Christian Rahn (13.), 2:0 Mpenza (30.). Dann sank Thijs Waterink im HSV-Strafraum bei einem Eckball zu Boden. Elfmeter.
Waterinks Gegenspieler in der Szene war Rahn. „Solch ein Spiel vergisst man natürlich nie“, sagt der Außenverteidiger, der zwei Jahre zuvor als Nationalspieler vom FC St. Pauli zum HSV gewechselt war. „Ich habe ein Tor geschossen, das zweite mit einem Eckball vorbereitet und dann den Elfmeter ,verursacht‘.“ Gar nichts sei da gewesen beim Kontakt mit Waterink, „ich habe nur gedacht, der fällt über seine eigenen Füße“.
Der Niederländer Waterink wurde in der Aufarbeitung der Ereignisse vom DFB im April 2005 für vier Monate gesperrt. Der damalige Kapitän der Paderborner hatte gestanden, vor der Partie 10.000 Euro von einem Mann „südländischen Aussehens“ kassiert zu haben. Nach dem Spiel habe er jedem im Kader 500 Euro gegeben. 500 Euro!
Hoyzer bekam 67.000 Euro und einen Flachbildfernseher.
Das Café King in Berlin hat seit der Weltmeisterschaft im Sommer geschlossen. Das Haus hat den Besitzer gewechselt, und der neue möchte keine Gastronomie mehr. Die Hauptstadt hat – das kann man wohl so sagen – eine Touristenattraktion verloren. Das Café wurde von Milan Sapina betrieben, Hertha-Profi Josip Simunic und andere Kicker waren hier gern zu Gast.
Er nannte ihn „Profizocker“
Bruder Ante Sapina hatte Verbindungen zur internationalen Wettmafia, sein Bruder nannte ihn einmal „Profizocker“. Er stellte den Kontakt zu Hoyzer und Marks her. Die Summe, die insbesondere in den dunklen asiatischen Wettmärkten mit dem Sieg von Paderborn gegen den HSV bewegt wurden, lassen sich seriös nicht schätzen. Sie sind hoch, sehr, sehr hoch. Im April wurde Ante Sapina in einem Wiederaufnahmeverfahren vom Landgericht Bochum zu fünf Jahren Haft verurteilt wegen mehrerer Fälle von Wettmanipulation.
Im Fenster des geschlossenen Cafés King hängt ein Zettel mit der Handynummer von Milan Sapina.
Hoyzer ist seit Juni beim Berliner Regionalligisten Berliner AK als „Technischer Direktor“ ehrenamtlich tätig. Er ist dabei auch für „Kommunikation“ zuständig. Aber er spricht nicht über früher. Das Kapitel ist abgeschlossen. Er wurde im Dezember 2006 zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Nach der Hälfte der Zeit kam er wegen guter Führung raus. Der DFB begnadigte ihn 2011. Er darf nun wieder Fußball spielen und arbeitet in einem Online-Medien-Haus.
Klaus Toppmöller arbeitet nicht mehr.
Der mittlerweile 63-Jährige wohnt in Rivenich, er freut sich über seine Enkelkinder. Sagt er. Zurzeit hat er Anfragen aus Japan, Moldawien, dem Iran und Dubai. Aber nein, das ist es nicht. „Es müsste schon alles passen, dass ich wieder einsteige“, sagte er. Den großen Frust, die tiefe Enttäuschung über die ganze Geschichte, die hört man fast bei jedem Satz.
Zwei Monate nach dem Pokal-Aus wurde er beim HSV entlassen, seitdem hat er nie wieder in der Bundesliga trainiert. „Hundertprozentig hat dieses Spiel meine Beurlaubung mit angeschoben“, sagt er.
Drohungen an Toppmöller
Der damalige HSV-Chef Bernd Hoffmann dachte auf der Tribüne in Paderborn an die anderen Blamagen in Pokalspielen, in Eppingen und Geislingen. „So etwas war beim HSV ja nicht ungewöhnlich“, sagt Hoffmann. „Toppmöller war damals schon felsenfest überzeugt, dass das Spiel manipuliert war“, sagt Hoffmann, „ich konnte das nicht glauben.“ Spieler und Trainer sollten ihren Verdacht keinesfalls öffentlich äußern, erinnert sich Rahn. Jeder hätte den HSV als miesen Verlierer angesehen, Betrugsvorwürfe hätten auch justiziabel sein können.
Toppmöller aber rief beim DFB an, beschwerte sich, wollte eine Untersuchung, wurde abgeblockt. „Seien Sie vorsichtig, was Sie sagen, sonst verklage ich Sie!“, habe ihm der damalige Schiedsrichterlehrwart Eugen Strigel gedroht. „Bis heute hat nie jemand vom DFB bei mir um Entschuldigung gebeten“, klagt Toppmöller.
Als im Januar 2005 die Wahrheit herauskam, waren zwei weitere Runden im Pokal gespielt. Der HSV beharrte dennoch auf eine Wiedereingliederung in den Wettbewerb. Praktisch unmöglich, bei einer juristischen Aufarbeitung aber ein ganz starkes Argument. „Der DFB wollte die Kuh schnell vom Eis haben“, erinnerte sich Hoffmann.
500.000 Euro sowie die Einnahmen von weiteren 1,5 Millionen aus einem Länderspiel gegen China gingen als Kompensation schließlich an den HSV. Wirtschaftlich wurde es so eines der besten Pokaljahre überhaupt für den Club – er musste schließlich keine Siegprämien zahlen. Richtig verloren haben der Fußball – und Klaus Toppmöller.