André Breitenreiter schoss einst Tore für den HSV. Am Sonnabend kommt er mit Überraschungs-Aufsteiger Paderborn in den Volkspark zurück. Das Gespräch mit dem Trainer des Bundesliga-Neulings.

Paderborn. Viel ist nicht los am Tag nach dem ersten Bundesligaauftritt des SC Paderborn am Trainingsplatz Paderkampfbahn. Lediglich ein Zuschauer schaut auf dem Fahrrad zu, wie Trainer André Breitenreiter am Morgen nach dem 2:2 gegen Mainz 05 knapp 100 Minuten lang das Training leitet. Nach der Einheit kommt der frühere Hamburger direkt zum Interviewtermin. Einen Medienraum gibt es nicht, das Gespräch findet auf der Auswechselbank neben dem Rasenplatz statt.

Hamburger Abendblatt: Herr Breitenreiter, ist Ihnen bewusst, dass kein Bundesligatrainer nach dem ersten Spieltag derart unter Druck steht wie Sie?

André Breitenreiter: Das müssen Sie mir jetzt aber mal erklären.

Naja, Ihr Vereinschef Wilfried Finke hatte vor Paderborns Bundesligapremiere gegen Mainz gesagt, dass er bis zum Spiel gegen die Bayern am fünften Spieltag gerne zehn Punkte auf dem Konto hätte. Nach dem 2:2 gegen Mainz würde das bedeuten, dass Sie die kommenden drei Spiele gewinnen müssen.

Breitenreiter: Wir alle kennen ja in Paderborn unseren Präsidenten sehr gut... Ich würde mich auch über drei Siege am Stück freuen. Von mir aus hätten es sogar zwölf von zwölf Punkten sein können. Aber wenn wir mal ehrlich sind, dann wissen wir doch auch, dass wir der krasseste Außenseiter der Bundesligageschichte sind.

Woran machen Sie das fest?

Breitenreiter: Im Vergleich zu unseren Konkurrenten haben wir ganz andere wirtschaftliche Möglichkeiten. Mit einem Etat von 15 Millionen Euro sind wir abgeschlagen Letzter und zwischen uns und dem Vorletzten steht noch mal ein zweistelliger Millionenbetrag. Aber es geht ja nicht nur ums Geld.

Sondern?

Breitenreiter: Schauen Sie sich doch beispielsweise mal unseren Trainingsplatz an (zeigt auf den Rasen).

Der sieht gut aus.

Breitenreiter: Stimmt. Aber es ist unser einziger Platz. Wenn es zu stark regnet oder wenn es im Winter friert, dann ist der Platz gesperrt.

Und dann?

Breitenreiter: Dann müssen wir uns irgendwo in der Umgebung um einen Kunstrasenplatz bemühen. Das ist kein Spaß: Wir machen dann Fahrgemeinschaften und fahren mit unseren Privatautos durch Paderborn und Umgebung und schauen, ob wir irgendwo einen Platz finden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass andere Erst-, Zweit- oder auch Drittligisten ähnliche Rahmenbedingungen haben. Und in diesem Jahr hatten wir sogar noch Glück. Es war ja ein wirklich milder Winter.

Kann man so im Profifußball überleben?

Breitenreiter: Theoretisch sind wir nicht konkurrenzfähig. Ganz praktisch haben wir es mit sensationeller Arbeit aber geschafft, verdient aufzusteigen.

Man sagt, der Fußball werde immer professioneller. Was sagt es über den Fußball aus, wenn ein Verein wie der SC Paderborn in die Bundesliga aufsteigt?

Breitenreiter: Dass man im Ausnahmefall auch mit wenig Geld Erfolg haben kann. Wenn man eine klare Philosophie verfolgt, die vom ganzen Team verinnerlicht und umgesetzt wird, dann ist das kurzfristig möglich. Langfristig wird es aber natürlich schwer.

Sie können Spieler weder mit Geld noch mit professionellen Bedingungen ködern. Was sagen Sie Neuzugängen?

Breitenreiter: Bei uns können sich Talente durchsetzen, die es bei den großen Vereinen vielleicht nicht auf Anhieb schaffen. Lukas Rupp konnte sich nicht in Gladbach durchsetzen, Marvin Duksch hatte es in Dortmund schwer. Bei uns bekommen sie die Möglichkeit, sich durch Einsätze zu entwickeln und sich in der Bundesliga zu etablieren.

Das Modell Ausbildungsverein?

Breitenreiter: Genau. Wir haben keinen einzigen Fußballer in unseren Reihen, der bereits nachgewiesen hat, dass er langfristig in der Bundesliga mithalten kann. Aber wir haben sehr viele Spieler, die heiß darauf sind, genau diesen Nachweis noch zu erbringen.

Sie gelten als Shootingstar der Branche. Liegt es da nicht nahe, dass Sie es früher oder später Ihren Vorgängern Jos Luhukay oder Roger Schmidt gleichtun und zu einem größeren Club wechseln?

Breitenreiter: Ich bin froh, dass ich in der vergangenen Saison die Chance erhielt, die Philosophie als Trainer in der Zweiten Liga umzusetzen. Es macht mich stolz, wenn ich sehe, dass das hier erfolgreich funktioniert hat.

Egal ob mit der F-Jugend des TuS Altwarmbüchen, mit Regionaligist TSV Havelse oder jetzt mit Paderborn: Sie hatten immer Erfolg. Kann man sich als Trainer auch auf Misserfolg vorbereiten?

Breitenreiter: Da muss man erst einmal definieren, was Misserfolg bedeutet. Ich glaube nicht, dass wir von Misserfolg reden können, wenn Paderborn einige Spiele am Stück verliert. Wichtig ist nur, dass man die Ausgangssituation und die eigene Arbeit mit einer realistischen Selbsteinschätzung reflektiert.

Als Spieler waren Sie Jugendnationalspieler, haben dann aber eher eine recht durchschnittliche Karriere hingelegt. Fehlte dem Fußballer Breitenreiter ein Trainer Breitenreiter?

Breitenreiter: Nein. Ich habe zwar nur 144 Bundesligaspiele gemacht, aber jedes genossen. Es ist ein Privileg, Profi zu sein. Als junger Spieler wurde ich mit Hannover sogar Pokalsieger und durfte mit dem Pokal im Bett schlafen...

...aber für die große Karriere reichte es nicht.

Breitenreiter: Es stimmt zwar, dass ich in der Jugend als eines der größten Talente galt, sogar auf den Sprung zur A-Nationalmannschaft stand. Aber ich hatte leider auch immer sehr viel Pech mit Verletzungen. Ich habe zum Beispiel in meinem ersten Bundesligaspiel mit dem HSV gegen Bayern gleich getroffen, verletzte mich aber nur einen Tag danach schwer im Gesicht, sodass ich knapp ein halbes Jahr ausfiel.

An das Tor erinnern Sie sich aber sicherlich trotzdem, oder?

Breitenreiter: Das vergisst man nicht. 15. Minute, Jörg Albertz gewinnt den Ball im Mittelfeld, spielt ihn halblinks in die Gasse. Ich gewinne das Laufduell mit Lothar Matthäus, spiele ihm den Ball durch die Beine und schieb ihn aus 16 Metern an Oliver Kahn vorbei. Klingt nicht so schlecht, oder?

Zumal Sie ein zweites Mal für den HSV gegen Bayern getroffen haben.

Breitenreiter: Ich wurde sogar als Bayernkiller bezeichnet. Zwei Jahre nach meinem ersten Tor gegen die Bayern machte ich kurz vor Schluss das 1:1. Wir wollten das Spiel aber unbedingt noch gewinnen. Uwe Jähnig hat dann in der letzten Minute das 2:1 gemacht. Wahnsinn. Ich bekomme heute noch Gänsehaut. Auch nach so vielen Jahren muss ich sagen: Schön war’s in Hamburg.