Vom Aussortierten zum Stammspieler in der Innenverteidigung – HSV-Profi Gojko Kacar hat Heiko Westermann und Jonathan Tah den Rang abgelaufen und ist damit der Aufsteiger der bisherigen Vorbereitung.
Hamburg. Es ist gerade einmal drei Monate her, da hießen seine Gegenspieler Zhi Zheng, Xiang Sun und Xuri Zhao, die ihr Geld bei Guangzhou Evergrande in China verdienen. Heute Abend könnte Gojko Kacar im direkten Duell auf Weltmeister Miroslav Klose treffen, wenn der HSV in Lübeck (18.45 Uhr) gegen Lazio Rom antritt. Zwar nur ein Freundschaftsspiel, doch dass der Serbe im letzten richtigen Härtetest vor dem Pflichtspielauftakt in zehn Tagen beim Bundesliga-Dino offenbar wieder zur ersten Elf gehört und sich mit den stärksten Spieler der Welt messen darf, dürfte ihm mehr Genugtuung verschaffen, als das Achtelfinale der asiatischen Champions-League mit Cerezo Osaka bestritten zu haben, jenem japanischen Spitzenclub, für den er das vergangene halbe Jahr auf Leihbasis gekickt hatte.
Doch einzig aus Kacars Gesichtsausdruck Rückschlüsse zu ziehen, wie es um sein Wohlbefinden bestellt ist, gehört zu den fast unlösbaren Aufgaben. Der Defensivspieler vermittelt eigentlich immer das Gefühl, er würde in sich ruhen – egal ob er gerade in die zweite Mannschaft degradiert wurde oder den HSV-Profis mit einem Tor zum Sieg verholfen hat. Obwohl letzteres schon ein wenig her ist, fast dreieinhalb Jahre genaugenommen, beim 6:2-Erfolg über den 1. FC Köln.
„Das waren schon harte Zeiten. Leicht war es zumindest nicht, immer ruhig zu bleiben, wenn man tagtäglich 50 Minuten im Auto sitzt, um nach Norderstedt zum Training der zweiten Mannschaft zu fahren. Ich habe den Fußball manchmal gehasst“, beschreibt Kacar seine Gefühle vor einem Jahr, als er vom damaligen Trainer Thorsten Fink und Sportchef Oliver Kreuzer in die Regionalliga verbannt wurde. Doch nun habe er die Spielfreude wiedergefunden. Das halbe Jahr in Japan hat dazu beigetragen. „In Osaka kannst du völlig ohne Druck Fußball spielen, auf dem Platz hast du nur Spaß. Das Ergebnis ist zweitrangig“, erklärt der ehemalige Nationalspieler.
Das ist beim HSV freilich anders, dennoch fühlt sich der 27-Jährige gerüstet für die neue Saison. Die harten Einheiten haben ihm gut getan, das sieht man Kacar auch an: Er wirkt durchtrainiert wie selten zuvor. Trainer Mirko Slomka setzt auf den Rückkehrer, sieht ihn aber eher als Innenverteidiger denn als defensiven Mittelfeldakteur. In der Abwehr hat Kacar sowohl Heiko Westermann als auch Jonathan Tah den Rang abgelaufen.
Nationalelf-Ambitionen als Hindernis
Vielleicht wäre seine Karriere anders verlaufen, hätte sich Kacar früher schon mit dieser Position angefreundet. Unter den ehemaligen HSV-Trainern Armin Veh und dessen Nachfolger Michael Oenning machte er als zentraler Abwehrspieler einige gute Partien, doch seinen Ambitionen, in der serbischen Nationalmannschaft Fuß zu fassen, kam das nicht gerade entgegen. Die Konkurrenz unter den Innenverteidigern war damals zu groß – wolle er wieder dabei sein, müsse er im Verein auch im Mittelfeld spielen, hieß es aus den Kreisen des Nationalteams. Doch im Mittelfeld konnte er sich beim HSV selten in Szene setzen.
Sein Spielstil wurde als zu phlegmatisch eingestuft, ihm fehle das Tempo bei Ballan- und -mitnahme. Vor allem nach dem für ihn einschneidenden Erlebnis plagten ihn Selbstzweifel: Im April 2012 beim Spiel gegen den 1. FC Nürnberg wälzte sich Kacar auf dem Boden, nachdem Daniel Didavi auf das linke Bein des Serben gefallen war. Einen Knöchelbruch, ein gerissenes Innenband und eine gerissene Syndesmose diagnostizierten die Mediziner. Fast neun Monate Pause, danach wurde Kacar nie wieder der Alte. „Ich war danach nicht sicher, ob ich jemals wieder Bundesliganiveau erreichen würde“, gibt Kacar heute zu. Der Defensivspieler sollte verkauft werden, doch fand sich kein Interessent, der sich in der Lage oder Willens sah, das fürstliche Gehalt (1,8 Millionen Euro im Jahr) annähernd zu übernehmen.
Nun hat sich Kacar selbst eines Besseren belehrt, er glaubt wieder an sich und denkt einzig positiv: „Ich bin glücklich, dass ich spiele und glaube auch, dass wir als Mannschaft eine richtig gute Saison spielen können – auch wenn das nach dem Fast-Abstieg natürlich ein wenig hoch gegriffen ist. Aber als ich aus Japan wiedergekommen bin, hab ich gemerkt, wie das Team am Boden lag. Nach dem Großteil der Vorbereitung ist das jetzt ganz anders, das Selbstvertrauen ist zurück.“
Zusammen mit Johan Djourou will Kacar die Abwehr ordnen, vielleicht auch ein wenig lauter werden auf dem Platz als bisher. „Im Mittelfeld hast du gar keine Luft, um ständig zu reden, weil du dauernd am Laufen bist, aber aus der Abwehr heraus kann ich schon mehr kommunizieren“, sagt der ehemalige Berliner, der 2010 für 5,5 Millionen Euro von der Hertha verpflichtet wurde und noch einen Vertrag bis 2015 besitzt.
Die Ankündigung Dietmar Beiersdorfers, noch einen weiteren gestandenen Innenverteidiger zu holen, lässt Kacar kalt. „Das ist mir egal. Der Trainer glaubt an mich, das ist das Wichtigste.“ Doch in der Tat wird die Konkurrenz nicht geringer. Der Leverkusener Philipp Wollscheid wird als Leihspieler gehandelt. Doch liegt es an Kacar selbst, allen zu zeigen, dass er noch einmal das zu leisten im Stande ist, was ihn vor fünf Jahren bei der Hertha zu einem begehrten Profi gemacht hat: Zweikampfstärke, feine Pässe, guter Offensivkopfball, Torgefahr. Gegen die Stars von Lazio Rom hat er eine weitere, gute Möglichkeit, den Beweis anzutreten.