Turbulenter Trainingsauftakt: Der HSV-Vorsitzende Carl Jarchow kontert die Attacken von Klaus-Michael Kühne. Trainer Mirko Slomka reagierte dagegen entspannt auf die Kritik des HSV-Gönners.
Hamburg. Als die Spieler des HSV am Mittwochnachmittag um 15.21 Uhr die Treppen hinter der Südtribüne heruntertrabten, gab es nur spärlichen Applaus der (großzügig geschätzt) 300 Fans, die beim Trainingsauftakt dabei sein wollten. Das Signal war eindeutig: Nach der zurückliegenden Saison, für die der Begriff „unterirdisch“ noch geprahlt wäre, müsst ihr, Trainer und Spieler, erst mal liefern, bevor wieder so etwas wie Begeisterung entstehen kann. Der verhaltene, fast nüchterne Start, ohne jedes Showprogramm, ohne Würstchenstand oder Autogrammstunde passte aber auch zur brisanten Lage, in der sich der Verein befindet. Noch gibt es nichts zu feiern. Im Gegenteil.
Während der Club die Krankmeldung von Hakan Calhanoglu noch souverän meisterte (siehe Bericht links), sorgte das Abendblatt-Interview von Klaus-Michael Kühne im Verein für ein Beben. Der HSV-Investor hatte darin den sofortigen Rücktritt des Vorsitzenden Carl Jarchow sowie die Entlassung von Trainer Mirko Slomka und Sportchef Oliver Kreuzer gefordert.
Nach mehreren internen Gesprächsrunden trat Jarchow, der eine geplante Rede in der Bürgerschaft kurzfristig absagte, um 14.45 Uhr vor die Medien und mochte seine Enttäuschung über die Äußerungen Kühnes nicht verbergen: „Natürlich stellen wir uns das anders vor. Aber ich kann versichern, dass wir uns nicht davon abbringen lassen, vernünftig zu arbeiten, in Absprache mit dem neuen Aufsichtsrat. Und klar ist auch, dass Mirko Slomka unser Trainer ist und auch bleibt.“
Jarchow, der ab Juli bis zur Mitgliederversammlung im Januar 2015 sowohl Präsident des e.V. sein wird als auch (wie Joachim Hilke) Vorstandsmitglied in der neuen HSV-Fußball-AG, der wiederum Dietmar Beiersdorfer vorstehen soll, stellte klar, dass er nicht vorzeitig abtreten wird: „Ich klebe nicht an meinem Sessel. Am 25. Mai wurde eine klare Entscheidung getroffen, als die Mitglieder unseren Antrag angenommen haben. Darin wurde eine Übergangsregelung getroffen, wonach Joachim Hilke und ich im Amt bleiben.“ Pause. „Erst mal. Keiner weiß im Fußball, wie lange das ist.“
Kurz nach dem Ende des 75-minütigen Aufgalopps äußerte sich dann auch Slomka. Die Taktik des 46-Jährigen, dem Kühne abgesprochen hatte, ein Toptrainer zu sein, wurde schnell deutlich: In dieser äußerst diffizilen Lage bloß nicht noch nachlegen, sondern defensiv agieren. „Mit solchen Meinungen muss man leben“, sagte der HSV-Coach, der sich dabei sogar ein Lächeln abringen konnte. Im Übrigen müsse man Karl Gernandt (Kühnes Vertrauter und künftiger Aufsichtsratschef) zustimmen, dass alles hinterfragt werden müsse: „Es ist richtig, wenn jeder Stein umgedreht wird.“
Slomka äußerte den Wunsch, einmal „Herrn Kühne persönlich kennenzulernen“. Vielleicht sei es ja dessen Ziel gewesen, ihn besonders zu motivieren, den HSV in der Bundesliga wieder nach oben zu bringen. „Ich habe die Aufgabe, mich auf die Mannschaft zu konzentrieren und mich darum zu kümmern, sie möglichst zu verstärken. Wenn jemand dabei helfen möchte, nehme ich das gerne in Anspruch.“ Pause. „Damit ich mal ein Toptrainer werde.“ Neben einem Kauf von Torjäger Pierre-Michel Lasogga wünscht sich der Coach einen Innenverteidiger, einen Sechser und einen Spielmacher.
Inwieweit Kühne mit seinen Aussagen die Autorität Slomkas bei den Spielern geschwächt hat, muss sich zeigen. Fakt ist, dass in der Übergangsphase – Dietmar Beiersdorfer fängt erst am 1. Juli an, genau wie der AG-Aufsichtsrat – reichlich Konfliktpotenzial vorhanden ist, auch unter den neuen Amtsinhabern. Wer die Arbeitsweise Beiersdorfers kennt, ahnt, dass das Vorpreschen Kühnes kaum mit ihm abgesprochen worden war. Und dass das Verhältnis von Jarchow und Hilke, die mit Beiersdorfer das operative Geschäft leiten sollen, schon länger kaputt ist, ist bekannt.
Wenn sich die Führung derzeit nur noch als uneiniger Zweckverbund präsentiert, kann es nicht verwundern, dass auch bei der Mannschaft viele offene Fragen bleiben. So sagte Rafael van der Vaart, der einstige Liebling Kühnes, der nach dem Willen des Investors wegsoll: „Wenn man enttäuscht ist, sagt man solche Sachen. Diejenigen, die etwas zu sagen haben, glauben an uns.“ Und weiter: „Ich bin stolz, hier zu sein, und möchte gerne bleiben.“ Ob der Niederländer, der noch leichte Wadenprobleme hat und ab Donnerstag eine Woche Sonderurlaub erhielt, tatsächlich bleibt, ist fraglich. Denn anders als von van der Vaart kommuniziert, wünscht man sich im Club eher einen Wechsel.
Nicht verschwiegen werden soll eine positive Meldung. „Ich habe keine Schmerzen mehr“, freute sich René Adler, der das Saisonfinale wegen Rückenproblemen verpasst hatte. Nach rund einer Woche Aufbautraining soll der Torwart in den normalen Betrieb integriert werden, anders als Maximilian Beister und Slobodan Rajkovic, die nach ihren Kreuzbandrissen noch zwei beziehungsweise vier Monate fehlen.
Neben den Verletzten, den WM-Fahrern Johan Djourou und Milan Badelj sowie Per Skjelbred und Lasogga, deren Zukunft weiter offen ist, fehlte auch Lasse Sobiech, der für ein Jahr an den FC St. Pauli verliehen wird. Neben den Rückkehrern Artjoms Rudnevs, der im Trainingskick das erste Tor der Saison erzielte, und Gojko Kacar spielten auch erstmals Neuzugang Zoltan Stieber sowie Christian Derflinger (20, kommt von der U23 des FC Bayern), Torwart Alexander Brunst-Zöller, 18, und Philipp Müller, 19, vor, der von der U19 Wolfsburgs zurückkehrte. Letzterer verletzte sich aber gleich am Oberschenkel. Was noch der geringste „Schaden“ an diesem Tag war.