Komplettumbau oder Stillstand: Der krisengeschüttelte HSV steht nach einer desolaten Saison vor einer richtungweisenden Entscheidung. Dietmar Beiersdorfer könnte als Big Boss zurückkehren.

Hamburg. Der HSV steht vor der wohl wichtigsten Entscheidung in seiner 127-jährigen Vereinsgeschichte. Im Kampf um die Klub-Reform HSVPlus geht es um Posten, Macht, Millionen - vor allem aber um die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sollten sich die HSVer am Sonntag auf der Mitgliederversammlung (ab 11 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de) gegen die Ausgliederung der Fußball-Abteilung nach dem Vorbild des FC Bayern entscheiden, droht dem hoch verschuldeten Klub der Kollaps.

„Der HSV ist ein Sanierungsfall“, sagte Karl Gernandt, Vertrauter des steinreichen Edelfans Klaus-Michael Kühne und designierter Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburger, vor der Abstimmung. Gernandts größter Trumpf im Ringen um die Macht ist neben den Kühne-Millionen ein alter Bekannter an der Elbe: Dietmar Beiersdorfer soll als neuer starker Mann den HSV zurück zum Erfolg führen. „Er ist der einzige deutsche Fußball-Manager, der internationale Anerkennung genießt“, sagte Gernandt. Neben „Big Boss“ Beiersdorfer soll ein Finanzfachmann und Sanierer im neuen zweiköpfigen Vorstand einer möglichen HSV-Fußball-AG sitzen.

Eines ist sicher: Sollte HSVPlus umgesetzt werden, bleibt bei dem Bundesliga-Dino eine Woche nach der Rettung im Abstiegskampf kein Stein auf dem anderen. Für den bisherigen Vorstandschef Carl Jarchow wäre wohl ebenso kein Platz mehr an der Spitze wie für den amtierenden Sportchef Oliver Kreuzer. „Es werden einige nicht mehr dabei sein, die bisher eine gewisse Routine darin hatten, über den HSV zu sprechen“, sagte Gernandt.

Voraussetzung für ein Comeback Beiersdorfers (noch bis 2015 bei Zenit St. Petersburg unter Vertrag) ist allerdings, dass die HSV-Mitglieder mit einer Dreiviertel-Mehrheit für die Ausgliederung ihrer Fußball-Abteilung stimmen. Dann könnte mit Hilfe von Investoren wie Kühne dringend benötigtes Geld eingenommen werden, um den mit rund 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten geplagten Klub aufzupäppeln - und innerhalb von drei Jahren wieder in den Europacup zu führen.

„Wir überlassen nichts dem Zufall, haben klare Vorstellungen und sind für den Fall X bestens vorbereitet“, sagte Thomas von Heesen. Der Europapokal-Held von 1983 ist für den Posten des stellvertretenden Aufsichtsratschefs vorgesehen. Ex-Spieler Peter Nogly, Klitschko-Vermarkter Bernd Bönte, Dieter Becken und Felix Goedhart komplettieren Gernandts Schattenkabinett.

„Der HSV darf nicht verramscht werden“

Doch die Revolution könnte noch scheitern. Zwar war Initiator und Ex-Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff bis zuletzt auf Wahlkampf-Tour für seine Reform und stellte sein Konzept in den Fan-Klubs vor, doch der Klub ist zerrissen. Viele Anhänger befürchten den Ausverkauf des Traditionsklubs. Bevor über HSVPlus abgestimmt wird, soll laut Tagesordnung über 50 (!) weitere Anträge debattiert werden. Eine Mammutsitzung und tiefe Spaltung des Klubs droht.

Im Verein hat sich längst eine mächtige Opposition formiert. Vor allem der aktuelle Aufsichtsrat Jürgen Hunke kämpft erbittert gegen die Öffnung für Investoren. „Der HSV darf nicht verramscht werden“, lautet der Slogan seiner Gegeninitiative HSV-Allianz, zu der er sich mit Rekordspieler Manfred Kaltz und Unternehmer Eugen Block zusammengetan hat.

Rieckhoff ist trotzdem von seinen Plänen überzeugt. „Die Signale stehen voll auf: ’Wir wollen die Reform. Wir haben die Nase voll von der jetzigen Situation’“, sagte er. Auch Trainer Mirko Slomka wünscht sich die Öffnung für neue Geldgeber, um Spieler holen zu können. „Ich habe erlebt, was das den Klubs für Möglichkeiten gibt“, sagte er: „Deswegen würde ich mir persönlich wünschen, dass wir diese Ausgliederung hinbekommen.“ Der HSV steht vor einem kompletten Neustart. Oder dem Absturz ins Chaos.