Bürgermeister Olaf Scholz besuchte Mirko Slomka vor dem ersten Relegationsspiel gegen Greuther Fürth. Der Trainer setzt auf eine verbesserte Defensive und stellt mehr Torgefahr fest

Hamburg . Besondere Spiele erfordern besondere Maßnahmen: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz sah sich am Mittwochvormittag trotz seines vollen Terminkalenders genötigt, HSV-Trainer Mirko Slomka einen persönlichen Besuch in der Kabine der Imtech-Arena abzustatten, um ihm für die anstehende Relegation alles Gute zu wünschen. „Das ist eine Geste, die sich quasi auf alle Bürger Hamburgs übertragen lässt, denn die Unterstützung war zuletzt ja geradezu unerbittlich“, erklärte der Fußballlehrer.

Diese wird auch im Hinspiel gegen die SpVgg Greuther Fürth (20.30 Uhr/ARD und Liveticker auf abendblatt.de) vonnöten sein, um eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel drei Tage später zu schaffen. Das Stadion ist nahezu ausverkauft, die Grundlage für den „zwölften Mann“ auf den Rängen also vorhanden. Dem Aufruf einiger Fans, in blauer Kleidung zum Spiel zu kommen, schloss sich der Club begeistert an.

Wer sich die 22 Spieler anschaut, die voraussichtlich auflaufen, muss eigentlich zu dem Schluss kommen, dass in den HSV-Profis die wesentlich größere fußballerische Qualität steckt. „Der HSV hat die besseren Individualisten“, gibt auch Fürths Niko Gießelmann unumwunden zu. „Aber darum geht es in den beiden Spielen nicht.“

In der Tat hat der HSV in dieser Saison schon so oft bewiesen, dass selbst ein Pass über drei Meter zu einem unüberwindbaren Hindernis werden kann, sollten die Nerven flattern und die Konzentration fehlen. Es wird also darauf ankommen, auch in einer solch extremen Stresssituation wie einem Relegationsspiel sein Potenzial abrufen zu können. Immerhin gibt es eine Reihe von Profis beim HSV, die solche oder ähnliche Situationen im Laufe ihrer Karriere bereits erlebt haben und etwaige psychische Barrieren dadurch leichter abbauen können – meint ihr Coach. „Es ist schon gut, wenn man als Spieler den Abstiegskampf kennt oder auch in internationalen Partien die Erfahrung gesammelt hat, trotz eines Gegentores im Heimspiel noch weitergekommen zu sein“, sagt Slomka.

Dennis Diekmeier, Heiko Westermann, Michael Mancienne, Marcell Jansen, Hakan Calhanoglu, Tomas Rincon, Robert Tesche, Rafael van der Vaart und auch Pierre-Michel Lasogga kennen die besondere Belastung im Kampf um den Klassenerhalt bereits vom HSV aus vergangenen Spielzeiten oder von früheren Clubs, für René Adler und Milan Badelj sind zumindest K.-o.-Spiele aus Europapokalzeiten mit Bayer Leverkusen beziehungsweise Dinamo Zagreb kein Neuland. Auch Slomka rettete sich einst mit Hannover am letzten Spieltag vor dem drohenden Abstieg.

Der Coach ist in den letzten 24 Stunden vor dem Spiel nun vor allem als Psychologe und Motivator gefragt. Setzt er überraschende Reizpunkte, oder hält Slomka an seinen Routinen fest? Die Abläufe werden sich schon vor allem durch die späte Anstoßzeit leicht ändern: Am Donnerstagmorgen findet noch ein leichtes Training statt, danach folgt eine erste Besprechung. Nach dem Mittagessen im Hotel haben die Spieler Pause, ehe dreieinhalb Stunden vor dem Anpfiff ein sogenanntes Pre-Match-Meeting anberaumt wird. Im Anschluss folgen noch Einzelgespräche auf den Zimmern.

Für Mentalcoach Olaf Kortmann, dessen Schwerpunkt in der Arbeit mit Profiteams und Spitzensportlern liegt, die richtige Strategie. „Entscheidend ist jetzt, den Spielern den Glauben an sich zu vermitteln, das Gefühl: Wir schaffen das! Brandreden oder flammende Appelle an die Ehre in der Kabine bringen nichts, so etwas funktioniert nur über Einzelgespräche. Jeder Spieler hat eine unterschiedliche Motivation. Der eine will Verantwortung übertragen bekommen, ein anderer Spieler benötigt Anerkennung“, erklärt der Dozent der Trainerakademie in Köln. Gerade Slomka habe sich durch sein bisheriges Auftreten Lob verdient. Der 46-Jährige stelle sich schützend vor seine Spieler und rede sie beispielsweise dadurch stark, dass er ihnen ein Gefühl der konditionellen Überlegenheit gebe.

Konditionelle Überlegenheit allein wird jedoch nicht reichen, um den gewünschten Vorsprung herauszuholen, der den HSV einigermaßen entspannt zum Rückspiel fahren ließe. Ein 2:0 wäre aus Sicht von Sportchef Oliver Kreuzer ein gutes Ergebnis. Dafür müsse die Mannschaft laut Slomka aber ein „wesentlich höheres Tempo“ fahren als noch beim 1:0-Sieg in der zweiten Runde des DFB-Pokals. Eines lässt den Coach jedoch hoffen: „Wir sind viel treffsicherer geworden. Das hat sich im Training gezeigt.“

Legende Uwe Seeler fordert: Abstiegskampf ist Beißen ohne Ende

Tore erzielen ist das eine, Tore verhindern das andere. Gerade zu Hause, denn wenn beide Mannschaften nach Hin- und Rückspiel die gleiche Anzahl Treffer aufweisen, spielt bekanntlich das Team mit mehr Auswärtstoren in der nächsten Saison erstklassig. Taktisches Fehlverhalten in der Defensivbewegung führte beim HSV in der Vergangenheit oft zu Ungemach, kein anderes Team hat nach Kontern mehr Gegentore hinnehmen müssen.

Dass Heiko Westermann, der zuletzt in Mainz schwer patzte, erneut den Vorzug vor Johan Djourou erhält, gilt als wahrscheinlich, zumal ihn Slomka am Mittwoch öffentlich starkredete. Kein Kopfzerbrechen mehr bereitet dem HSV-Coach die Besetzung der rechten Seite, da Ivo Ilicevic auch beim Abschlusstraining noch über muskuläre Beschwerden klagte und ausfällt.

Vielleicht kann Slomka seinen Schützlingen als letzte Extra-Motivation den Aufruf von HSV-Ikone Uwe Seeler nochmals nahebringen, der natürlich live im Stadion sein und ganz genau hingucken wird: „Fußball ist ein Lauf- und Kampfsport, das wird aber nicht langen. Dieses Mal ist Abstiegskampf angesagt, das heißt: Beißen ohne Ende. Da muss jeder sein letztes Hemd ausziehen.“ Auch wenn Kortmann anderer Meinung ist: Vielleicht hilft es ja doch.