1000 HSV-Anhänger kommen zum Training und geben moralische Unterstützung. Trainer Slomka lobt „überragend-sensationelle Aktion“. Stürmernotstand: Nach Lasogga fällt auch Zoua für das Spiel gegen Bayern aus.

Hamburg. Wenn eine Bundesligamannschaft wie der HSV so viele armselige Leistungen abgeliefert hat und zwei Spieltage vor Saisonende dem Abstieg geweiht ist, kann man sich viele negative Fanreaktionen vorstellen, wie sie auch schon andere Vereine erlebt haben. Umso erstaunlicher, was sich am 1. Mai von 10 Uhr an auf den Trainingsplätzen an der Imtech-Arena abspielte. 300 HSV-Anhänger waren dem Aufruf des Fanclubs deinhsv.de zum Fanmarsch „Jetzt erst Recht. Unabsteigbar!“ gefolgt und vom S-Bahnhof Stellingen zum Stadion gepilgert, um den Spielern moralische Unterstützung zu geben, insgesamt knapp 1000 Fans verfolgten die Trainingseinheit. „Niemals Zweite Liga“, „Erste Liga, Hamburg ist dabei“ oder „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ dröhnte es über den Platz. Die Spieler bedankten sich mit Abklatschen nach dem Aufwärmprogramm und Autogrammen am Ende der einstündigen Einheit.

Als eine „überragend-sensationelle Aktion“ lobte Trainer Mirko Slomka den bemerkenswerten Auftritt der Anhängerschaft. Wirklich erstaunlich, wie sehr die Basis in so schweren Zeiten ihren Verein nicht fallen lässt und als zwölfter Mann weiter hinter dem HSV steht. Und Unterstützung, das ist bekannt, kann der Club vor der Aufgabe gegen den FC Bayern ja nicht zu viel bekommen. Die Ausgangslage ist klar: Bei einer (wahrscheinlichen) Niederlage des HSV (27 Punkte, 48:68 Tore) gegen den entthronten Champions-League-Sieger haben die Konkurrenten aus Nürnberg (26, 35:64) gegen Hannover sowie Braunschweig (25, 28:56) gegen Augsburg die Chance, zu den Hamburgern nach Punkten aufzuschließen oder sogar am HSV vorbeizuziehen.

Beim letzten Heimspiel der regulären Saison rücken deshalb auch die Tore in den Blickpunkt. Sollte der HSV ein ähnliches Debakel wie im März 2013 erleben (2:9), wären gegen die Bayern nicht nur drei Punkte verloren, sondern mit der verspielten besseren Tordifferenz ein letzter Trumpf – und im übertragenen Sinne ein weiterer, vierter Punkt. Besonders in den vergangenen drei Spielen gegen Hannover (1:2), Wolfsburg (1:3) und Augsburg (1:3) offenbarte der HSV, der mit 68 Gegentoren die schlechteste Abwehr der Liga stellt, krasse defensive Defizite und kassierte in den ersten Minuten Tore.

Der frühere Bayern-Profi Oliver Kreuzer hofft jedoch, dass die Bayern nach der Schmach gegen Real Madrid am Dienstag wenig motiviert in die Bundesliga-Aufgabe gehen werden: „Ich glaube, dass der Stachel über das Ausscheiden sehr tief sitzt“, sagte er bei Radiosender NDR 90,3. „Sie werden keine große Lust haben, in den Flieger nach Hamburg zu steigen.“ Die Hoffnung des Sportchefs: „Die Bayern haben große Qualität, wer auch immer spielt. Aber an einem Tag können und wollen wir die Bayern ärgern.“

Unterstützung bei dieser These erhält der HSV ausgerechnet von Franz Beckenbauer: „Das ist die beste Chance für den HSV. Wenn der HSV diese Chance nicht nutzt, gegen eine so angeschlagene Mannschaft wie den FC Bayern zu gewinnen, dann gehören sie in die Zweite Liga“, sagte der 68-Jährige bei TV-Sender Sky. „Dass die Bayern im Moment ein bisschen neben sich stehen, das wissen wir seit Wochen. Sie haben sich nach der Meisterschaft eine Auszeit genommen, und in der sind sie immer noch. Sie können mehr leisten.“ Eine Aussage, über die Slomka nur müde lächeln konnte: „Das hat der Franz aus der Enttäuschung heraus getroffen. Der Ausgang des Spiels gegen Real Madrid hat keinen Einfluss auf unsere Partie.“

Viel mehr beschäftigte den HSV-Coach ein neuer Zugang in der Verletztenabteilung. Während des Trainingsspiels am Donnerstag zog sich Jacques Zoua, der seinen Startplatz sicher hatte, eine Muskelblessur im rechten Oberschenkel zu und steht gegen die Bayern nicht zur Verfügung. Auch Lasse Sobiech (Sprunggelenk) droht auszufallen. „Stünden wir unter den Top Ten, gäbe es solche Verletzungen wohl kaum“, zog Slomka einen kausalen Zusammenhang zum Abstiegskampf und dem Druck und der Nervosität, der die Spieler belastet. Dass Slomka wie gegen Augsburg auf Mattia Maggio setzt, ist unwahrscheinlich. Realistischer erscheint die Option, dass Rückkehrer Rafael van der Vaart sowie Ivo Ilicevic und Hakan Calhanoglu als Offensivkräfte aufgeboten werden.

Unabhängig von den erneuten Personalproblemen muss Slomka das Kunststück vollbringen, seinen zuletzt zaghaften Profis neue Lust am Kämpfen zu vermitteln. „Jeder Spieler ist aufgefordert, seinen persönlichen Schweinehund zu überwinden“, forderte der um Optimismus bemühte Fußballlehrer. „Wenn wir die Sensation schaffen wollen, müssen alle über sich hinauswachsen und nach dem Spiel über Schmerzen klagen.“ Wie gegen die Champions-League-Teilnehmer Dortmund (3:0) und Leverkusen (2:1), als nicht für möglich gehaltene Siege gelangen.