Der HSV in akuter Abstiegsgefahr: Eine nicht ganz ernst gemeinte Betrachtung durch Psychologen, einen Dinosaurier-Experten, Kunstsinnigen und einem Ex-Bischof. Zwischen Mut und Trauertipps.

Hamburg. Bei den Fans schwankt die Gemengelage zwischen Hoffnung und Bangen, zwischen Frustration und Resignation. Im Vorstand ist der Ernst der Lage zwar erkannt, doch Lösungen sind schwierig angesichts finanzieller und struktureller Probleme. Im Stadion tickt derweil die Uhr. Sie zeigt an, seit wie vielen Stunden, Minuten und Sekunden der Hamburger Sport Verein schon in der Bundesliga ist. Als einziger Club sind die Norddeutschen seit mittlerweile fast 51 Jahren ununterbrochen im Oberhaus des Profifußballs vertreten. Das könnte sich in dieser Saison erstmals ändern.

Nie war die Abstiegsgefahr präsenter als in den vergangenen Wochen, in denen immer wieder Spiele verloren gingen – trotz eines neuen Trainers. Weil es jedoch immer noch Hoffnung auf Rettung im Relegationsspiel gibt, haben Experten aus nicht unbedingt Fußball-affinen Bereichen an diesem Wochenende ein paar tröstende Gedanken und Worte gefunden, um Fans und Beteiligten den Umgang mit der Krisensituation zu erleichtern.

Sogar ein Weihbischof ist dabei. Ihm gefiel der Ansatz von Hakan Calhanoglu, der Gott um Hilfe bat. Und auch ein Paläontologe macht an dieser Stelle Mut. Er setzt auf Phönix aus der Asche. Ein Dino-Nachfahre.

Weihbischof Hans-Jochen Jaschke

„Wie dem HSV zu helfen ist, darüber zerbrechen sich kluge Leute den Kopf. Sicher gehören ein verlässliches Management, Klassespieler, Zusammenhalt, Kampfesgeist und ein Quäntchen Glück dazu. Dass der junge Spieler Calhanoglu von Gott spricht, freut mich. Ob Moslem oder Christ, ob einfach ein gläubiger Mensch – entscheidend bleibt, dass ich mit Gott keine Witze mache.

Gott ist kein Zaubermittel für die eine oder andere Seite. Er lässt sich nicht bestechen oder einkaufen. Gott ersetzt nicht das fußballerische Können, das faire Spiel. Aber der Glaube kann uns aufbauen, Kraft und Zuversicht geben: Trau dir etwas zu, du kannst es! Wer betet, gönnt auch der anderen Seite den Sieg.

Viele Sportler aus christlichen Ländern bekreuzigen sich vor dem Spiel. Gewohnheit? Aberglaube? Auf jeden Fall soll Gott mit im Spiel sein. So soll die schönste Nebensache der Welt uns allen Freude machen, dafür drücke ich dem HSV die Daumen.“

Paläontologe Ulrich Kotthoff

„Zuerst muss ich mit einem Irrtum aufräumen, der noch aus den 60er-, 70er-Jahren stammt. Die Dinosaurier-Metapher vom Aussterben ist selbst ein Dinosaurier. Wir wissen heute, dass nicht alle Dinosaurier während des Massenaussterbens am Ende des Mesozoikums ausstarben, sondern dass kleine, anpassungsfähige Formen überlebten.

Als Vögel existieren diese Dinosaurier bis heute weiter. Ausgestorben sind gerade die hoch spezialisierten Arten. Die Giganten haben es nicht geschafft, einfachere Formen schon.

Das heißt für den Bundesliga-Dino, dessen Uhr im Stadion tickt: Wenn es wirklich passiert, und die Mannschaft steigt in die Zweite Liga ab, bloß nicht die Hoffnung aufgeben. Nach einer gewissen Anpassung, die für dieser Art der Dinosaurier durchaus möglich ist, kann der HSV wie Phönix aus der Asche wieder auferstehen. Denn auch der Phönix ist bekanntlich ein Vogel.“

Psychologe Michael Thiel

„Für den Fall der Fälle, der hoffentlich nicht eintritt, habe ich für die Fans ein paar Tipps: So eine Trauerphase durchläuft verschiedene Stadien. Wenn man das weiß, kann man damit besser umgehen. Zuerst einmal gilt es zu realisieren, was passiert ist. Danach folgt in der Regel eine Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Traurigkeit, Aggression, Depression und Lethargie.

Es darf auch geheult werden. Alles muss raus. Bei manchen folgt dann eine Phase der Wut: Nie mehr HSV! Ich hasse Fußball! Ich gehe nie mehr ins Stadion! Hat man auch das hinter sich gebracht, wird die Stimmung milder.

Ich nenne es die Phase der Verhandlung: Vielleicht hilft so eine Zwangspause in der Zweiten Liga. Der Trainer hat Zeit, die Mannschaft wieder aufzubauen. Vielleicht kann man wieder aufsteigen! Die letzte Station ist die Phase der Neu-Orientierung. Mein Herz gehört dem HSV. Ich will trotzdem mitfiebern. Ich gehe wieder ins Stadion.“

Kultbarde Lotto King Karl

„Sollte der HSV in die Zweite Liga absteigen, werde ich den Text von „Hamburg meine Fußballperle“ nicht ändern. Es ist ja keine Erstligahymne und Fanliebe kennt keine Ligazugehörigkeit. Zudem wird in dem Song auf das WM-Finale 1990 in Rom angespielt. Und die argentinische Nationalmannschaft spielt garantiert nicht in der Ersten Bundesliga.

Außerdem geht es in dem Song um ein Gefühl der Verbundenheit mit dem Verein. Wenn er vor dem Spiel erklingt, ist es egal, was du außerhalb des Stadions bist. In diesem Moment zählt nur die Liebe zum HSV. Zudem kann man den Fans nicht vorschreiben, was sie singen sollten.

Hymnen funktionieren nur, weil es nicht konstruiert wurde. Dass dieses Stück zu einem HSV-Song geworden ist, liegt an den Fans. Die Idee, das Lied im Stadion zu singen, kam aus der Kurve. Als ich dann vor neun Jahren Stadionsprecher wurde, haben wir es so gemacht.“

Rainer Moritz, Chef des Literaturhauses

„Schon seit 1990 ist Fußball auch in den Feuilletons zum großen Thema geworden. Das liegt daran, dass dieser Sport für die Offenheit des Lebens steht, für das Unvorhersehbare, aber auch für Tragödien, für Aufstieg und Fall von Helden. Beim HSV aber hat es diesen Reiz zuletzt weniger gegeben, weil viele Niederlagen vorhersehbar waren.

Der HSV wirkte zuletzt wie ein Künstler, der es nicht wahrhaben will, dass er nicht mehr die erste Geige spielt. Man hat sich immer auf die große Tradition berufen, und einen Abstieg wohl für unmöglich gehalten. Von daher hat sich der ganze Verein zu spät gegen diese Erkenntnis gewehrt.

Jetzt droht dem HSV ein tragisches Schicksal: der Sturz auf die Provinzbühne. Und von dort schaffen es nur sehr wenige zurück ins große Rampenlicht. Jedenfalls als Schauspieler.“

Prof. Henning Vöpel vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut

„Um die Klasse zu halten, benötigt der HSV jetzt vor allem Glück. Glück, dass die Bayern vielleicht einen schlechten Tag erwischen und ein 1:0 auch mal reicht. Auf dieses Glück muss man jetzt einfach hoffen. Das entspricht der derzeitigen Situation des HSV. Die Möglichkeiten, jetzt noch Einfluss auf die Mannschaft zu nehmen, sind sehr gering.

Am ehesten kann sich noch psychologisch in der Mannschaft etwas tun. Manchmal kommt der Mut ja erst wieder zurück, wenn die Angst der Verzweiflung weicht. Sollte der HSV aus der Ersten Bundesliga absteigen, geht der Verein schweren Zeiten entgegen.

Sich in der Zweiten Liga bei sinkenden Einnahmen finanziell und sportlich zu konsolidieren, ist kaum möglich. Sollte der sofortige Wiederaufstieg nicht gelingen, droht eine Abwärtsspirale. Dann wird es schwieriger, wieder ganz nach oben zu kommen, auch weil man gute Spieler sofort wieder an andere Vereine verliert.“

Thomas Prohl, technischer Leiter der Spielbank Hamburg

„Der HSV ist derzeit eine einmalige Chance. Wer rasch an viel Geld kommen will, sollte den nächsten Buchmacher aufsuchen und auf den direkten Verbleib der Mannschaft in der Ersten Bundesliga – also ohne Relegation – setzen. Die Quoten für den Fall, dass man richtig liegt, sind einzigartig.

Einmalig ist die Situation, weil der HSV so schlecht spielt. In den vergangenen beiden Jahren war die Mannschaft zwar auch – zumindest zeitweise – im Abstiegsstrudel. Aber da hat es andere Mannschaften gegeben, die noch schlechter spielten als der HSV. Das ist in diesem Jahr anders.

Hinzu kommt das „Hammer-Restprogramm“ mit Spielen gegen die Bayern und Mainz 05. Allerdings ist auch das Risiko, sein Geld zu verlieren, derzeit am höchsten, wenn man auf den HSV setzt. Das ist die Kehrseite, wie beim Roulette: Wer alles auf eine Nummer setzt, kann den 35-fachen Gewinn ausgezahlt bekommen, aber auch alles verlieren.“