Die Verantwortlichen des HSV ziehen nach sieben Niederlagen in Folge die Reißleine und beurlauben Trainer Bert van Marwijk. Das entscheidende Spiel gegen Braunschweig ging mit 2:4 verloren.
Hamburg. Die Geschichte des HSV ist um einen Trainerwechsel reicher. Noch am Abend nach der 2:4-Pleite beim Tabellenletzten Eintracht Braunschweig kamen die Verantwortlichen des Bundesliga-Dinos zusammen und zogen die Reißleine. Bert van Marwijk wird mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Der Niederländer hat sich bereits von der Mannschaft verabschiedet.
„Wir haben die Lage analysiert und daraufhin Bert van Marwijk und seinen Assistenten Roel Coumans beurlaubt“, bestätigte der HSV-Vorstandsvorsitzende Carl Jarchow am späten Abend und ergänzte: „Er hat es sehr nüchtern aufgenommen und auch Verständnis gezeigt.“ Sportchef Oliver Kreuzer fügte hinzu: „Wir sahen uns zum jetzigen Zeitpunkt gezwungen, diese Entscheidung zu treffen, obwohl wir sie gleichwohl bedauern.“
Die Trennung zeichnete sich in den vergangenen Tagen bereits ab. Das Spiel bei den Niedersachsen galt als letzte Chance für den Niederländer. Doch das Team verlor. Der Trainer ist dadurch nicht mehr haltbar. Noch nie verlor der HSV sieben Spiele in Folge - noch nie verlor der HSV die ersten vier Spiele nach der Winterpause.
Wer jetzt das Ruder bei den stark abstiegsbedrohten Hamburgern ergreifen wird, ist noch nicht klar. Top-Kandidat ist nach wie vor Mirko Slomka. Der Ex-Trainer von Hannover 96 soll angeblich bereits morgen nach Hamburg kommen. Dies ist aber bisher noch ein unbestätigtes Gerücht. Das Training am Sonntag wird noch kein neuer Trainer leiten können, da es nicht stattfindet. Die Spieler, die nach dem Abschied von van Marwijk am späten Abend nach und nach das Stadion in Hamburg verlassen, haben frei bekommen.
Neben Slomka steht auch auch Martin Jol in den Startlöchern. Der Niederländer kennt den HSV noch aus der Saison 2008/2009 und führte die Hamburger in das Halbfinale des Uefa-Pokals und des DFB-Pokals. Mirko Slomka wurde im Dezember 2013 bei Hannover 96 nach einer Serie von sieglosen Spielen und keinem Auswärtspunkt freigestellt.
Kurios: Bereits vor sechs Jahren kandidierten die beiden Fußballlehrer für das Amt des HSV-Trainers. Damals wurde Slomka als Erster von den beiden kontaktiert, als Huub Stevens im Winter angekündigt hatte, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern. Bei einem mehrstündigen Treffen mit den damaligen Vorständen Bernd Hoffmann, Katja Kraus und Dietmar Beiersdorfer präsentierte sich Slomka extrem gut vorbereitet, konnte neben der Mannschaft auch fundiert über die Strukturen des HSV referieren und punktete damit, dass er sich vor dem Treffen intensiv mit dem Verein beschäftigt hatte. Topfavorit Beiersdorfers blieb allerdings Fred Rutten, Hoffmann und Kraus präferierten seinerzeit Jürgen Klopp. Als man sich weder auf den einen noch auf den anderen einigen konnte und auch Slomka nicht als Kompromisslösung diente, machte überraschend Jol das Rennen.
Der Rausschmiss von van Marwijk hat aber einen finanziellen Haken. Wie das Abendblatt erfuhr, ist, anders als beispielsweise bei Vorvorgänger Michael Oenning, keine Entlassungsklausel im Vertrag des Niederländers vorgesehen. Noch verheerender ist allerdings die festgeschriebene Gehaltserhöhung, die van Marwijk im Falle des Klassenerhalts im kommenden Jahr zusteht. So soll sein ohnehin schon üppiges Gehalt beim Verbleib in der Bundesliga in der Saison 2014/15 im Optimalfall auf 2,4 Millionen Euro angehoben werden. Eine vorzeitige Entlassung könnte den HSV somit weit mehr als zwei Millionen Euro kosten.
HSV verliert Entscheidungsspiel in Braunschweig
Im ausverkauften Stadion an der Hamburger Straße schoss vor 23 200 Zuschauern der eingewechselte Domi Kumbela (51., 61. und 85.) sowie Jan Hochscheidt (90.+3) die Tore für die Braunschweiger. Für die Hamburger, die einschließlich des 0:5 gegen Bayern München bereits ihr achtes Pflichtspiel hintereinander verloren, trafen Pierre-Michel Lasogga (23.) und Ivo Ilicevic (76.).
Das Duell des Tabellenletzten gegen den Vorletzten hielt, was es versprach: Härte und Hektik prägten das Geschehen, spielerisch hatten beide Teams ganz wenig zu bieten. Gelungene Spielzüge waren die absolute Ausnahme. Auf den Rängen benahmen sich derweil die HSV-Fans daneben und zündeten mehrfach Pyrotechnik und nebelten einen Teil des Stadions ein.
Hitzig war es auch auf dem Rasen, wie etwa die Auseinandersetzung von HSV-Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier und Eintracht-Stürmer Karim Bellarabi nach einer Viertelstunde zeigte. Oder die Szene nach einer knappen halben Stunde, als sich neben mehreren Spielern auch die aufgebrachten Manager Oliver Kreuzer und Marc Arnold an der Seitenlinie anschrien.
Nach einer chaotischen Woche mit Trainer-Diskussion und Pokal-Aus wirkten die Hamburger Profis auch gegen das abgeschlagene Schlusslicht verunsichert. Das Niveau des Sports passte zu dem öffentlich ausgetragenen Machtkampf zwischen dem Hamburger Vorstand und dem Aufsichtsrat während der Woche.
Der HSV, der in diesem Jahr noch kein Pflichtspiel-Tor in vier Partien erzielt hatte, begann – im Gegensatz zu den Braunschweigern – mit einem echten Erstliga-Stürmer, weil Pierre-Michel Lasogga wieder dabei war. Der zuletzt verletzte Stürmer erzielte das erste HSV-Tor 2014: Nach einem Einwurf von Marcell Jansen übertölpelte er den unglücklich aussehenden Eintracht-Keeper Daniel Davari mit einer Kopfball-Bogenlampe nach hinten, die wie eine Verlängerung aussah.
Lasogga traf in der Braunschweiger Defensive überraschenderweise auf Marcel Correia, der für Deniz Dogan in der Startelf stand und neben Ermin Bicakcic ordentlich spielte. Der später abbauende HSV-Stürmer agierte zunächst aggressiv, riss in der ersten Halbzeit einige Löcher in den Braunschweiger Abwehrverbund und setzte sich bei seinem Treffer gegen Benjamin Kessel durch.
Unterstützung bekam er freilich wenig, der später verletzt ausgewechselte Rafael van der Vaart enttäuschte erneut. Der Treffer des ansonsten schwachen Ilicevic war eher ein Zufallsprodukt, weil die Eintracht-Defensive den Ball nicht aus dem Strafraum bekam, und keine herausgespielte Szene.
Auf der Gegenseite stand die Abwehr lange sicher, weil die Braunschweiger in der ersten Halbzeit selten in den Strafraum kamen. Der umstrittene van Marwijk versuchte es überraschend mit Lasse Sobiech in der Innenverteidigung, während der talentierte Jonathan Tah und der zuletzt schwache Johan Djourou auf der Bank saßen. Dank der Eintracht-Schwäche ging das einigermaßen gut, ehe zur Pause Kumbela kam und Karim Bellarabi spät aufdrehte.
Der Joker traf zunächst nach einem Patzer von HSV-Keeper Rene Adler und staubte ab. Beim zweiten Treffer nutzte er einen Freistoß von Mirko Boland. Die Chance zur Vorentscheidung vergab Kumbela zunächst, als er nach Bellarabiu-Flanke allein vor dem Tor an Adler scheiterte (67.). Aber kurz vor Schluss war der Eintracht-Angreifer wieder zur Stelle und erzielte seinen dritten Treffer nach Vorlage von Bicakcic.
Aufstellungen:
Braunschweig: Davari – Kessel, Bicakcic, Correia, Reichel – Theuerkauf (46. Kumbela) – Elabdellaoui (26. Pfitzner), Boland, Hochscheidt, Bellarabi – Nielsen (90.+2 Dogan). – Trainer: Lieberknecht
Hamburg: Adler – Diekmeier, Lasse Sobiech, Westermann, Jansen – Rincon (63. Calhanoglu), Bouy – John (84. Zoua), van der Vaart (52. Arslan), Ilicevic – Lasogga. – Trainer: van Marwijk
Schiedsrichter: Knut Kircher (Rottenburg)
Tore: 0:1 Lasogga (23.), 1:1 Kumbela (51.), 2:1 Kumbela (61.), 2:2 Ilicevic (76.), 3:2 Kumbela (85.), 4:2 Hochscheidt (90.+3)
Zuschauer: 23.200 (ausverkauft)
Beste Spieler: Bellarabi, Kumbela – Lasogga
Gelbe Karten: Bellarabi (5), Boland (4), Theuerkauf (9), Reichel (3), Kumbela (2), Hochscheidt – Diekmeier (3), Rincon (2), Westermann (3), Bouy
Erweiterte Statistik (Quelle: impire):
Torschüsse: 14:18
Ecken: 7:8
Ballbesitz: 52:48 %
Mit Material von dpa und sid