Der Rechtsaußen wurde beim HSV aussortiert. Jetzt stürmt der Mann aus Otterndorf für den nächsten Gegner Augsburg. Der blonde Norddeutsche spielte bereits in der vierten Liga und machte eine Ausbildung.

Hamburg. Er war noch sehr jung damals. Und vom Land. Otterndorf bei Cuxhaven. Dort, wo sich die Elbe langsam zur Nordsee öffnet. Deiche und Schafe, gut 7000 Menschen. Eine Fachwerkinnenstadt, das Kranichhaus, die alte Lateinschule, das Torhaus, malerisch offenbar. Die Heimat von André Hahn, der nun rund 800 Autobahnkilometer von zu Hause entfernt dabei ist, doch noch eine Bundesliga-Karriere hinzulegen. Beim FC Augsburg eben, nachdem er beim Hamburger SV gescheitert war. Damals, mit 20 Jahren.

„Ich hatte zuvor ja nur auf dem Land gespielt, ohne Technik- und Taktiktraining, wir spielten nur lange Bälle“, erinnert sich der heute 23 Jahre alte Rechtsaußen, „die Grundlagen haben mir damals einfach gefehlt.“ Und sicherlich haben sie damals beim HSV-Nachwuchs auch nicht die Geduld gehabt, diesen jungen Kerl von der Küste so richtig zu fördern, der aus dem Jugendteam des FC Bremerhaven gekommen war. Zumal es andere gab, denen das Interesse der Trainer galt. Unter anderem standen Maximilian Beister, Erik Maxim Choupo-Moting oder Tunay Torun im Team, „Spieler, die weiter waren als ich“, wie Hahn einräumt.

Sein 30. Bundesligaspiel wird André Hahn nun aller Voraussicht nach am Sonnabend gegen den HSV bestreiten. Busladungen mit Freunden und Familie werden den Weg aus Ottersdorf in den Volkspark finden. „Viele sind sowieso HSV-Fans, andere kommen wegen mir“, erzählt er. Der Kontakt in die alte Heimat ist noch eng, die Eltern leben noch dort, man telefoniert fast täglich. Dann erzählt er davon, wie es ihm so geht im Profifußball.

„Manchmal staune ich selbst noch über den Weg, so schnell von der Dritten in die Erste Liga ist nicht alltäglich“, sagt er. Selber kneifen wird ja gerne als Maßnahme empfohlen, wenn eine Geschichte unglaubwürdig erscheint. So wie diese vom norddeutschen Spätzünder eben. In jedem Spiel dieser Saison stand er in der Startelf, außer vergangene Woche, da war er gesperrt. Mit vier Treffern ist er zudem gemeinsam mit Halil Altintop der beste Torschütze der Augsburger. „André hat jetzt das Selbstvertrauen, er weiß, dass er in der Bundesliga Tore schießen kann“, sagt sein Trainer Markus Weinzierl.

Wenn man so will, ist dieser blonde Norddeutsche so etwas wie der Augsburger Aufschwung in Person. Zehn Punkte betrug der Rückstand des FCA zum Ende der vergangenen Hinserie auf den rettenden Platz 15, 24 Zähler holten sie mit Hahn in der Rückrunde, darunter auch drei durch einen 1:0-Sieg beim HSV, als Hahn im März erstmals in der Ersten Liga bei seinem ehemaligen Club auflief, für den er auch als Kind geschwärmt hat. „Früher habe ich mir auf der Couch die Bundesliga angeschaut, jetzt laufe ich da selber rum. Es ist Wahnsinn“, sagt er.

Denn eigentlich hatte er mit dem Kapitel Profifußball fast schon abgeschlossen. Nach seiner Zeit beim HSV ging er nach Oberneuland, aber da gab es Probleme. Sportlich und mit dem Geld. Da dachte er schon über eine Lehre als Versicherungskaufmann im Betrieb des Vaters nach. Erst als er seinen Vertrag bei den Bremern gekündigt hatte, schoss er plötzlich Tore. Im Winter 2011 ging es zum TuS Koblenz in die Dritte Liga und von dort nach finanziellen Problemen zu den Offenbacher Kickers, damals ebenfalls in ständiger Finanznot. „Das war keine einfache Zeit, aber man entwickelt sich menschlich weiter“, erzählt Hahn und ist überzeugt: „Das hat mir geholfen.“

Als Augsburgs Manager Stefan Reuter ihn vor einem Jahr anrief, konnte er das gar nicht glauben. 250.000 Euro hat der FCA für Hahn an Offenbach gezahlt, mittlerweile wird sein Marktwert auf das Zehnfache taxiert. Es ist diese Schnelligkeit und Direktheit. Wie er die rechte Seite rauf- und runterstürmt, anscheinend ohne jede Angst und ohne zu ermüden. Marcell Jansen und Hakan Calhanoglu auf der linken HSV-Seite werden ihre Freude haben am Sonnabend. Und wenn sie nicht aufpassen, dann sehen sie nur die Hacken vom flinken Hahn. Es gibt Messungen, die ihn mit 35,4 Stundenkilometern im Sprint erfasst haben, angeblich ist er damit so schnell wie sonst kein anderer Profi in der Bundesliga.

Bis 2016 steht er beim FCA unter Vertrag und verschwendet derzeit keinen Gedanken daran, schon wieder woandershin aufzubrechen. „Hier in der Stadt ist alles so entspannt und familiär“, schwärmt André Hahn. Gut 250.000 Menschen, bedeutende Renaissance-Gebäude, das Rathaus, der Prachtbrunnen, malerisch offenbar. Hahn fühlt sich wohl. Und ist immer noch jung.