Gladbachs Doppeltorschütze profitierte beim 2:0-Sieg in Hamburg unmittelbar von Patzern des jungen Innenverteidigers. HSV-Trainer van Marwijk schließt Wechsel auf dieser Position nicht aus.
Hamburg. Auch am Morgen danach war Lasse Sobiech noch ein gefragter Mann. Wie kaum ein anderer HSV-Profi musste der baumlange Innenverteidiger am frühen Sonntag nach dem Auslaufen Autogramme schreiben, sich gemeinsam mit Fans fotografieren lassen und natürlich auch immer wieder erklären, was sich da eigentlich genau am Sonnabend zugetragen hatte. Der gebürtige Westfale nahm sich Zeit, ließ sich auch vom Hamburger Schmuddelwetter nicht beirren und ließ keinen Wunsch unerfüllt. Sobiech, daran gab es selbst nach einer Nacht des Drüberschlafens keine Zweifel, war der entscheidende Mann im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach – dummerweise nur im verkehrtesten Sinne.
„Ich habe das Spiel versaut, das tut mir unheimlich leid für die Mannschaft“, sagte der 22 Jahre alte Fußballprofi, der am Vortag bei der 0:2-Niederlage des HSV gegen Gladbach gleich beide Tore indirekt durch eigene Unzulänglichkeiten vorbereitet hatte. Noch auf dem Spielfeld sah sich der Innenverteidiger, der nur durch Johan Djourous Verletzung in die Mannschaft gerutscht war, gezwungen, sich persönlich bei seinen Kollegen zu entschuldigen. „Jetzt muss ich mit dieser Situation umgehen, ich kann mich ja nicht verstecken“, sagte Sobiech, der sich am späten Sonnabend von der gesamten Familie in der eigenen Wohnung trösten ließ. „Zum Partymachen war mir nicht zumute.“
Doppeltorschütze Max Kruse ließ den Tag im Schanzenviertel ausklingen
Ganz anders war naturgemäß die Stimmungslage bei Gladbachs Max Kruse, der direkt von den beiden Patzern seines Kumpels profitierte. Der gebürtige Reinbeker, der einst in HSV-Bettwäsche schlief und ein Jahr gemeinsam mit Sobiech beim FC St. Pauli unter Vertrag stand, wurde für seine beiden Tore von Gladbachs Trainer Lucien Favre sogar mit einem freien Abend in der alten Heimat belohnt, den Kruse wie in alten Zeiten im Schanzenviertel ausklingen ließ. „Für Lasse persönlich tut es mir natürlich leid. Dennoch überwiegt die Freude, dass wir die drei Punkte mitnehmen können“, sagte Kruse, der Sobiech direkt nach dem Schlusspfiff im Tunnel zu den Kabinen in den Arm nahm und tröstete. Ein nachhaltiges Stimmungstief bei seinem Freund befürchtet er aber nicht: „Lasse ist ein guter Innenverteidiger, das wird er die nächste Zeit noch unter Beweis stellen. Er ist jung und neu beim HSV, da braucht er ein bisschen Anlaufzeit.“
Diese war am Sonnabend im Duell gegen den Tabellenvierten der Bundesliga deutlich zu lang gewesen. Obwohl Sobiech laut Statistikbogen mit 82 Prozent gewonnenen Duellen der zweikampfstärkste Profi auf dem Platz gewesen sein soll, war ihm die Verunsicherung doch von der ersten Minute an anzumerken. Statt sich konstruktiv am Spielaufbau zu beteiligen, spielte der frühere Kiezkicker den Ball immer wieder quer zu Jonathan Tah oder zurück zu Torhüter René Adler. Einen dieser Rückpässe erahnte Kruse nach 22 bis dahin ereignislosen Minuten. Der Nationalspieler, der von Favre mit Offensivpartner Raffael den Auftrag bekommen hatte, den HSV-Aufbau schon im Ansatz zu stören, wurde für seine Fleißarbeit belohnt und brauchte den Ball zum 1:0 nur noch im leeren Tor unterzubringen. „Ich habe gesehen, dass Raffael Lasse so anläuft, dass er eigentlich nur noch nach hinten spielen kann“, sagte Kruse, „er schaut vorher auch nicht, deshalb habe ich mich in die Richtung bewegt. Und natürlich hatte ich auch Glück, dass er den Pass so spielt. Solche Tore passieren.“
Kruse roch Sobiechs Verunsicherung
Definitiv nicht passieren dürfen allerdings Tore wie beim 0:2, als Sobiech erneut unfreiwillig die Hauptrolle übernahm. Diesmal versuchte er den Ball an der Außenlinie vor dem heranstürmenden Raffael abzuschirmen, was ihm aber so überhaupt nicht gelingen wollte. Der Brasilianer erkämpfte sich den Ball, spielte ihn weiter auf Kruse, der erneut überlegt zum 2:0 vollstreckte (63.). „Natürlich ist meistens eine Verunsicherung drin nach einem Fehler, das muss man versuchen auszunutzen“, sagte Kruse, der nach seinen beiden Toren mit insgesamt 13 Scorerpunkten (sieben Tore, sechs Vorlagen) Platz zwei hinter Dortmunds Robert Lewandowski in der Rangliste der Besten einnahm.
Mal abgesehen von Sobiechs spielentscheidenden Fehlern lieferte die Partie allerdings auch sonst noch mehr als genug Gesprächsstoff. HSV-Trainer Bert van Marwijk sprach später sogar von einer „tragischen Niederlage“, weil er „das beste Spiel in meiner Amtszeit“ gesehen haben wollte, das auf „so brutale Art und Weise nicht belohnt wurde“. Mit 17 zu 8 Torschüssen, sieben zu zwei Ecken und 21 zu fünf Flanken aus dem Spiel lag der HSV in einem Duell „zweier sehr guter Mannschaften“ (Sportchef Oliver Kreuzer) tatsächlich in den meisten relevanten Statistiken vorne, wurde am Ende lediglich von den wohl reifer spielenden Borussen entscheidend ausgeknockt. „Es ist mittlerweile wieder sehr schwer, gegen den HSV zu spielen“, lobte auch Gästetrainer Favre, der dies van Marwijk nach der Pressekonferenz auch noch mal in einem Vieraugengespräch sagte: „Man muss sich noch mal daran erinnern, wo der HSV noch vor vier oder fünf Spielen stand.“
Entsprechend hielt sich das Bedauern aufseiten der Hamburger in Grenzen. Nach den Siegen gegen die Kleinen (3:0 gegen Freiburg, 4:0 gegen Braunschweig und sogar 5:0 gegen Nürnberg) überwog trotz der Niederlage sogar der Stolz, endlich auch mal einem Großen „so richtig auf Augenhöhe“ (Pierre-Michel Lasogga) begegnet zu sein. „Dieses Spiel gibt uns Mut und Vertrauen für eine bessere Zukunft“, sagte van Marwijk, dessen Mannschaft es mit Leverkusen, Hannover und Wolfsburg in den kommenden Wochen erneut mit schwierigen Aufgaben zu tun bekommt.
Ob Pechvogel Sobiech nach seinen Patzern gegen diese Top-Gegner helfen darf, wollte van Marwijk am Wochenende noch offen lassen. „Lasse muss aus seinen Fehlern lernen. Ich werde nicht lange mit ihm sprechen. Entscheidend ist, dass man nach solchen Fehlern besser und nicht schlechter wird“, sagte der Niederländer, der auch die Option, Zhi Gin Lam als Rechtsverteidiger aufzubieten und Heiko Westermann für Sobiech in die Innenverteidigung zu ziehen, nicht ausschloss. Manchmal würden auf höchsten Niveau kleine Fehler ein Spiel entscheiden, sagte van Marwijk.
Und manchmal sind es eben die großen Fehler, die entscheiden.