Der HSV-Vorsitzende Carl Jarchow rechnet mit einem dicken Minus. Im Abendblatt spricht er über die dramatische Finanzlage und sagt, was unter ihm besser wurde.
Hamburg. Den Ordner mit Unterlagen für die am Nachmittag beginnende Sitzung der Bürgerschaft hat Carl Jarchow schon unter den Arm geklemmt. Gleich wird der HSV-Vorstandschef wieder die Interessen der FDP vertreten. Doch zuvor trifft sich Jarchow im Café Paris mit dem Abendblatt, um über seinen HSV, der mit nur einem Sieg aus den letzten sechs Spielen in die Krise gerutscht ist, zu sprechen. Besonders besorgniserregend für den Politiker: Seine Mannschaft hat in den vergangenen drei Heimspielen nur einen Punkt geholt, also gerade mal halb so viel wie die Hamburger FDP bei der letzten Umfrage.
Hamburger Abendblatt: Herr Jarchow, vor etwa anderthalb Jahren hatten wir Sie gefragt, um wen Sie sich mehr Sorgen machen: um die Lage der Hamburger FDP oder um den HSV.
Carl Jarchow: Was habe ich damals geantwortet?
Um den HSV.
Jarchow: Daran hat sich nichts geändert. Mit der FDP kämpfe ich um ein gutes Wahlergebnis bei der Bundestagswahl. Aber mein wichtigstes Anliegen wird immer der HSV bleiben.
Trainer Thorsten Fink hat am Dienstag Tacheles geredet und nicht leistungsbereiten Spielern mit dem Rauswurf gedroht. War das mit Ihnen abgestimmt?
Jarchow: Nein, das muss er auch nicht. Aber ich fand die Aussagen gut, und ich finde es wichtig, dass unsere sportliche Führungscrew in solch einer Situation die Initiative übernimmt. Wir werden uns nach der Saison mit den Spielern zusammensetzen und sehr klar sagen: Mit dir planen wir weiter, mit dir nicht mehr.
Sie haben auch vor dieser Spielzeit und im Winter versucht, sich von Spielern zu trennen. Es hat nicht funktioniert.
Jarchow: Die Laufzeit der Verträge wird naturgemäß immer kürzer. Und die betreffenden Spieler werden sich sehr genau überlegen, ob sie jetzt nicht besser woanders einen Dreijahresvertrag unterschreiben sollten.
Sie werden den Druck also erhöhen?
Jarchow: Auf jeden Fall. Wir werden den betreffenden Spielern erklären: Mein lieber Freund X, du kannst dir entweder etwas Neues suchen oder deinen Vertrag auf der Reservebank der U23 oder der Tribüne absitzen.
Das hätten Sie schon früher machen können.
Jarchow: Der große Vorteil der Medien ist, dass sie Entwicklungen immer im Nachhinein beurteilen können. Wir müssen stets in der aktuellen Situation entscheiden. Aber natürlich hätte ich mit dem Wissen von heute in den vergangenen Jahren manches anders entschieden. Aber ist das nicht immer so?
Kann sich der HSV überhaupt noch Neuverpflichtungen leisten?
Jarchow: Mit Hakan Calhanoglu und Karem Demirbay haben wir ja schon zwei Spieler verpflichtet. Aber natürlich ist es so, dass wir weitere Spieler nur holen können, wenn wir zuvor den Kader verkleinern. Sicher ist aber auch, dass wir einen Kraftakt wie zu Beginn dieser Saison, als wir Jiracek und van der Vaart noch geholt haben, nicht wiederholen können und wollen. Dennoch wird das Erreichen des internationalen Geschäfts in der kommenden Saison unser Ziel sein.
Wie dramatisch ist die finanzielle Situation? Im Aufsichtsrat wird ein Minus von 20 Millionen Euro befürchtet.
Jarchow: Ich werde hier keine präzisen Zahlen nennen, das laufende Geschäftsjahr ist noch nicht abgeschlossen. Aber auch ich gehe von einem Minus in zweistelliger Millionenhöhe aus. Wir haben weniger Einnahmen als erhofft im Hospitality-Bereich, zudem zeichnet sich durch die Tabellenplatzierung ab, dass die TV-Gelder unter Plan liegen werden. Dennoch war der Kraftakt mit van der Vaart und Jiracek richtig, sonst hätte uns wieder ein Abstiegskampf gedroht. Aber natürlich ist der Kader noch zu groß und zu teuer. Wobei wir auch weiter die Last früherer Einkäufe schultern müssen.
Aber teure Bankdrücker wie Ivo Ilicevic oder Slobodan Rajkovic wurden auch in der Amtszeit dieses Vorstands geholt.
Jarchow: Das ist richtig. Aber es ist schon ein Unterschied, ob Sie für einen Spieler zehn Millionen Euro (so viel kostete Marcus Berg, die Red.) oder zwei Millionen (so viel kostete Rajkovic, die Red.) ausgeben.
Können Sie völlig ausschließen, dass Sie das Loch mit den 17,5 Millionen Euro aus der Fananleihe für das Nachwuchszentrum HSV-Campus stopfen?
Jarchow: Wie kommen Sie denn auf diese verwegene Idee?
Im Kleingedruckten der Anleihe steht, dass der HSV die Gelder auch für Erhöhung der operativen und finanziellen Flexibilität nutzen kann, falls sich das Projekt nicht verwirklichen lässt.
Jarchow: Diesen Punkt haben wir nur auf Anraten unserer Anwälte in die zweite Tranche unserer Fananleihe über fünf Millionen Euro hineinschreiben lassen. Aber natürlich werden wir den HSV-Campus bauen, dazu sind wir laut BaFin (Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen, die Red.) verpflichtet. Das Projekt ist ja schon weit in der Planung. Wobei wir einen kleinen Teil, genau wie im Prospekt angekündigt, für Infrastrukturmaßnahmen der Arena nutzen werden, etwa für den Kauf einer Beleuchtungsanlage für die bessere Qualität des Rasens.
Parkt das Geld eigentlich auf einem Sperrkonto?
Jarchow: Nein, es gibt kein Notaranderkonto, wie man es vom Kauf eines Eigenheims kennt. Die 17,5 Millionen Euro sind auf unser normales Konto geflossen. Davon wird der Campus gebaut. Garantiert.
Herr Jarchow, der Verein macht ein hohes Minus, wird voraussichtlich wieder den europäischen Wettbewerb verpassen. Die U23 steckt im Abstiegskampf in der Regionalliga. Ganz offen gefragt: Ist in den zwei Jahren unter Ihrer Regie eigentlich irgendetwas besser geworden?
Jarchow: Wir haben den Verein in einer schwierigen Situation übernommen. Seitdem sind wir in Bereichen, die der Fan vielleicht nicht so wahrnimmt, deutlich besser geworden. Im sportlichen Bereich müssen wir uns steigern, keine Frage. Dennoch bin ich sicher, dass sich von uns angestoßene Projekte wie der HSV-Campus in einigen Jahren auszahlen werden, wenn verstärkt Spieler aus dem eigenen Nachwuchs zur ersten Mannschaft stoßen werden. Dieses Projekt wird dem HSV langfristig nutzen.
Zurück zur aktuellen Lage: Verstehen Sie den kurzfristigen Kapitänswechsel von Westermann zu van der Vaart?
Jarchow: Zunächst ist das die Entscheidung unseres Cheftrainers. Aber auch ich denke, dass es Heiko Westermann helfen kann, sich wieder ganz auf sein eigenes Spiel zu konzentrieren.
Aber jetzt soll die Binde ausgerechnet Rafael van der Vaart tragen, der auch in der Krise steckt und privat für Schlagzeilen sorgt.
Jarchow: Ich bitte um Verständnis, dass ich private Dinge nicht kommentieren möchte. Aber wenn ich das richtig gelesen habe, geht es diesmal nicht um eine Trennung, sondern um eine neue Liebe. Die kann ja auch beflügeln. Außerdem habe ich den Eindruck, dass Rafael mit Drucksituationen sehr gut umgehen kann.
Wie sehen Sie die Arbeit Ihres Sportchefs Frank Arnesen?
Jarchow: Ich finde, dass er einen guten Job macht. Aber eine explizite öffentliche Einzelkritik meiner Vorstandskollegen ist nicht meine Aufgabe.
Herr Jarchow, jetzt haben wir es tatsächlich geschafft, ein Interview ganz ohne die Trainerfrage zu beenden.
Jarchow: Dann fragen Sie mich doch einfach.
Wenn Sie darauf bestehen: Ist Thorsten Fink auch noch Trainer, wenn er die nächsten beiden Spiele verliert?
Jarchow: Ja.