HSV-Klubmanager Bernd Wehmeyer startet nach seinem Herzinfarkt ein neues Leben - aber das Vertrauen in den Körper muss erst wieder wachsen.

Timmendorfer Strand. Dicht gedrängt sitzen die Ostseetouristen an den Tischen des Café Wichtig an der Flanierstraße in Timmendorfer Strand unter der herausgefahrenen Markise, Heizstrahler wärmen die Gäste anstelle der längst verschwundenen Sonne. Fehlen nur noch wolldeckenbepackte Cabrios. Bernd Wehmeyer hat einen ruhigen Tisch im Innenbereich gewählt. Vor ihm dampft ein Teller Milchreis. Ist das eine geeignete Ernährung für einen Herzinfarktpatienten? Seine Handbewegung macht überdeutlich, dass ihm das egal ist: "Das muss jetzt sein."

Obwohl der 59-Jährige gut zwei Kilo an Gewicht verloren hat, wirkt er äußerlich kaum verändert. Sein Elan jedenfalls ist ungebremst. Das Blackberry versorgt ihn hier mit Neuigkeiten aus der Branche, zum Beispiel der Rotsperre von Slobodan Rajkovic . Eigentlich hätte der Klubmanager des HSV jetzt Vorgespräche mit dem DFB führen und eine Strategie für die Verteidigung des Abwehrspielers entwickeln müssen. Und ganz klar, es juckt ihn. Aber er zwingt sich dann doch zum Beobachten. Das letzte Heimspiel des HSV gegen Kaiserslautern hat er ein paar Schritte weiter via TV im Maritim verfolgt.

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In der dritten Woche wohnt Wehmeyer nun schon nebenan in der Curschmann-Klinik, einem Rehabilitationskrankenhaus für Herz- und Kreislauferkrankungen. Am Wochenende darf er zurück in sein Haus in Lemsahl-Mellingstedt. Aber wie vor dem 3. Oktober wird sein Leben nicht mehr sein. An diesen Tag erinnert er sich noch genau. Beim Joggen kam er wieder hoch, dieser Druck im Bereich des Schlüsselbeins, den er schon mehrere Male gespürt hatte. "Ich hatte keine Herzstiche und auch keinen schmerzenden Arm, aber ich merkte doch, dass etwas nicht in Ordnung war. Also fuhr ich ins UKE, wo bei einer Untersuchung festgestellt wurde, dass eine Herzarterie verstopft war." Klassischer Infarkt. Bei einer sofort eingeleiteten Operation wurde ihm ein Stent eingesetzt, eine kleine, gitterförmige Gefäßstütze, mit der verengte Herzkranzgefäße aufgedehnt werden. Er erzählt von zwei Fotos, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen. Auf dem einen, aufgenommen vor der OP, sei mittels eines über einen Katheter eingeführten Kontrastmittels zu sehen, wie es sich an einer Stelle staut; auf dem anderen, wie das Blut wieder strömt. "Ganz genau so, als ob ein Fluss weiterfließt."

Offen spricht Wehmeyer davon, dass er Angst vor dem Tod hatte. "Hier ging es ja nicht um irgendeine Prellung oder einen Knieschaden, sondern um wirklich existenzielle Ängste." Und er fragte sich: Warum ausgerechnet ich? Der frühere HSV-Profi (183 Bundesliga-Spiele für Hamburg zwischen 1978 und 1985) lebte auch nach dem Ende seiner aktiven Karriere gesund. Keine Zigaretten, Alkohol in Maßen, und auf eine gesunde Ernährung achtete Ehefrau Almuth schon immer. Viermal pro Woche betrieb er Sport: 30, 40 Minuten Joggen, ab und zu eine Runde Golf in Treudelberg. "Außerdem habe ich mich regelmäßig durchchecken lassen. Aber zu einem Internisten bin ich nicht gegangen, um ihn aufzufordern: Mach mal einen Herzkatheter und schau nach, ob alle Arterien frei sind." Er hätte es tun sollen, schließlich erlitten auch sein Vater und sein Onkel einen Herzinfarkt.

Der Schluss liegt nahe, dass ihm der regelmäßige Sport nicht helfen konnte, dabei war offenbar das Gegenteil der Fall. Der operierende Professor Stefan Blankenberg erklärte ihm, dass sich um die verstopfte Arterie sogenannte Kollaterale, also Ersatzarterien, gebildet hätten. Diesen Prozess hätte stetige Bewegung gefördert. Dank dieser "Umgehungsstraßen" konnte der Herzmuskel weiter mit Blut versorgt werden, wenn auch nicht in ausreichendem Maße bei Belastungen wie dem Joggen: "Der Sport hat mich also vor schlimmeren Schäden bewahrt und mich gerettet."

Mit Holger Hieronymus hat er mehrfach telefoniert und Tipps eingeholt. Sein früherer Mitspieler, heute Geschäftsführer bei der Deutschen Fußball-Liga, erlitt 2010 eine Gehirnblutung und musste sich ebenfalls wieder langsam zurück ins Leben tasten. Von Montag an will Wehmeyer wieder stundenweise in sein Büro im HSV-Stadion zurückkehren und behutsam das Arbeitspensum steigern. Denn einen für sein Wohlbefinden entscheidenden Kampf muss er erst noch gewinnen: Den Kampf um das verloren gegangene Vertrauen in den eigenen Körper.

Es ist ein ganz normaler Vorgang bei Menschen, deren zuvor normal verlaufendes Leben jäh unterbrochen wird, dass vor allem am Abend die Gedanken schwer werden. "Ob du willst oder nicht, du merkst es doch irgendwo, dass alles endlich ist." Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er für den HSV, ständig umgeben von jungen, vor Kraft strotzenden Sportlern. Während der Trainingslager, ob in Dubai, in Spanien, Italien oder in Österreich, lief er regelmäßig mit den Profis. "Ich habe schon gemerkt, dass diese Umgebung dazu führt, dass man versucht, fit zu bleiben. Aber gleichzeitig realisierst du gar nicht, dass du auf die 60 zugehst, wenn die Menschen um dich herum inzwischen 30 Jahre jünger sind."

Jetzt ist Wehmeyer sensibilisiert, er horcht in seinen Körper hinein, registriert jede Unregelmäßigkeit. "Man fragt sich ständig: Ist da was?" Aber gerade deshalb hatte er sich für eine dreiwöchige Reha entschieden. Gespräche mit Psychologen halfen ihm genauso wie die vielen detaillierten medizinischen Tests. Wie in seinem Job, wenn es darum geht, die Reisen für die Profis zu planen, ist Wehmeyer auch hier ein Perfektionist: "Ich will schon wissen, was die jeweiligen Resultate bedeuten und hinterfrage das."

Sein Leben will Wehmeyer künftig nicht völlig auf den Kopf stellen: "Ich habe jetzt nicht das Gefühl, dass ich jetzt möglichst schnell etwas nachholen müsste, was ich bisher versäumt habe." Aber er will in Zukunft bewusster leben, auch die einfachen Dinge mehr genießen, zum Beispiel nicht mehr das Mittagessen zwischen Tür und Angel hinunterschlingen, und überhaupt Stress vermeiden. Und, ach ja, einen neuen Satz Golfschläger will er sich auch zulegen und seinen Vorsatz endlich umsetzen, regelmäßiger mit dem kleinen Ball spazieren zu gehen.

Dass er ein passionierter Läufer bleiben wird, steht sowieso außer Frage. Nachdem Wehmeyer während der Rehazeit an der Ostsee die Gruppen mit leichtem Sportprogramm durchlaufen hatte, schnappte er sich einen jungen Therapeuten und begann vorsichtig mit Joggen, natürlich unter ständiger Kontrolle der Werte. "Ich wollte wissen, ob dieses drückende Gefühl weg ist. Und als ich da am Ostseestrand lief, so ganz langsam, das war wirklich ein Glücksgefühl. Einfach toll."