Thorsten Weidig ist seit einem Jahr als “Seelendoktor“ hauptamtlich beim HSV beschäftigt. Er coacht den Kopf, der Trainer die Muskeln.

Hamburg. Thorsten Weidig hat keine Patienten-Couch in seinem Büro, und über heiße Kohlen lässt er die Spieler des HSV auch nicht laufen. Diskretion und Verschwiegenheit sind seine Eintrittskarte in die Welt des Profi-Fußballs, Vertrauen das Kapital des Psychologen. Der einzige hauptamtliche „Seelendoktor“ der Bundesliga hält überhaupt nichts von selbst ernannten Mentaltrainern und Hokuspokus-Methoden. Der promovierte 37-Jährige arbeitet langfristig mit Sportlern und ist überzeugt, dass man den Kopf genau so trainieren kann wie Schnellkraft und Kondition.

In diesen Tagen müsste der Seelendoktor eigentlich Schwerstarbeit verrichten. Der HSV gewinnt kein Spiel, ist Tabellenletzter und die Profis sind verunsichert. „Das Wichtigste ist Diskretion, ich bin nicht der verlängerte Arm des Trainers“, betont der gebürtige Saarländer, den der HSV von der Universität Bochum holte. Zuvor hatte Weidig bereits mit der Tischtennis-Nationalmannschaft gearbeitet.

Es ist kein Geheimnis, dass der letztjährige Trainer Armin Veh kein Fan von Mentaltraining war. Nach dem Tod von Robert Enke, der an Depressionen litt, haftet der Psychologie in Fußballerkreisen mehr denn je der Ruch des Krankseins an. Das wird sich auch kaum durch das mutige Outing von Markus Miller von Hannover 96 ändern. „Fußball ist eine Welt, in der sich die Psychologie noch nicht etabliert hat“, sagt Weidig. Laut einer „Bild“-Umfrage arbeiten lediglich neun von 36 Profi-Vereinen in den beiden höchsten deutschen Spielklassen regelmäßig mit einem Psychologen zusammen.

"Volkskrankheit" Burnout: Markus Miller ist kein Einzelfall

Dossier: Was die Seele quält

Seit Michael Oenning beim HSV das Ruder übernommen hat, ist es für Weidig leichter geworden. „Psychologie spielt im Sport grundsätzlich eine große Rolle, die aber außerhalb der Öffentlichkeit stattfindet“, sagt der Trainer. „Die Tatsache, dass wir hauptberuflich einen Psychologen beschäftigen, spricht für sich. Ich halte das für wichtig.“ Der Ex-Nürnberger ist offen, verschließt sich keinem Gespräch über die mentale Seite des harten Geschäftes.

„Mein Angebot ist eine Dienstleistung zur Leistungsoptimierung“, erklärt Weidig, der glaubt, dass in fünf bis zehn Jahren jeder Bundesligist ein bis zwei Mentaltrainer beschäftigt. Auch die Verantwortlichen können lernen. „Viele Trainer rufen negative Sätze aufs Spielfeld wie: ’Du bist so träge – du stehst so weit hinten.’ Spieler wissen vielfach nicht, wie sie das auf die Schnelle ändern können. Dabei reicht eine positive Information wie: ’Attackiere den Gegner früher, steh enger beim Gegner’“, erzählt Weidig aus der Praxis.

Wie kann ich mich auf und neben dem Platz zu einem Führungsspieler entwickeln? Das ist eine Frage, bei der Sportler ohne Ratgeber manchmal an ihre Grenzen stoßen. Wie verwandle ich in der 85. Minute den Elfmeter und denke nicht daran, ihn zu verschießen? Weidig gibt Athleten Strategien an die Hand, diese Situationen zu meistern. Er arbeitet individuell, nicht für jeden passt dasselbe Rezept.

So kämpfen viele junge Fußballer mit Einschlafproblemen vor wichtigen Partien, Versagensängste quälen sie. Weidig entwickelt gemeinsam Rituale und Entspannungsübungen, spricht über individuelle Ziele und den Leistungsdruck von innen und außen.

Manchmal zeichnet er das Verhalten eines Spielers auf dem Platz auf Video auf – gemeinsam wird es analysiert. Wie kann der Profi selbstbewusster auftreten? Wie mit Aggressionen umgehen und Misserfolg verarbeiten? Fragen, die systematisch abgearbeitet werden, ehe sie zum Hemmschuh einer Karriere werden.