Nach dem Artikel im Hamburger Abendblatt über die Investorenverträge nehmen die Diskussionen über Anstoß³ im Hamburger SV zu.
Hamburg. Noch bevor die erste Zeitung am gestrigen Mittwoch gedruckt wurde, schlug die bevorstehende Veröffentlichung der Investorenverträge innerhalb des HSV bereits hohe Wellen. Noch am Dienstagabend schrieb HSV-Vereinschef Bernd Hoffmann eine Rundmail an alle Aufsichtsräte und Vorstandskollegen, in denen er auf den am kommenden Tag erscheinenden Abendblatt-Artikel "Wahrheit über Anstoß³" hinwies. Und tatsächlich wurde gestern in Hamburg kaum ein Thema so kontrovers diskutiert wie die Chancen und Risiken für den HSV durch Anstoß³. Der Kern der umstrittenen Geschäftsidee: Klaus-Michael Kühne stellt 15 Millionen Euro zur Verfügung, erhält dafür im Gegenzug jeweils ein Drittel der Transferrechte der aktuellen HSV-Profis Dennis Aogo, Marcell Jansen und Paolo Guerrero. Außerdem soll der Hamburger Milliardär ebenfalls mit jeweils einem Drittel an den Spielern beteiligt werden, die durch einen Teil seiner Millionen finanziert werden.
Das alles war bereits seit der Vertragsunterzeichnung in der vergangenen Woche weitgehend bekannt. Neu ist unter anderem, dass der Verkauf der Aogo-Rechte in das abgelaufene Geschäftsjahr 2009/10 fließt. Hoffmann dementierte gegenüber dem Abendblatt, dass so ein eventuelles Millionenminus des bereits abgelaufenen Geschäftsjahrs ausgeglichen werden soll. Und auch Aufsichtsratschef Horst Becker hat weiterhin keine Bedenken: "Ich habe nach wie vor keine Probleme mit dem Kühne-Vertrag. Wir hätten auch ohne diesen Deal einen ausgeglichenen Haushalt für das vergangene Geschäftsjahr präsentiert." Etwas anders sieht dagegen Supporters-Chef Ralf Bednarek, der gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen den Antrag zur außerordentlichen Mitgliederversammlung gestellt hatte, die Sachlage: "Es wäre bedenklich, wenn der Verein mit Bilanztricks arbeiten müsste. Wir haben noch keinen Cent ausgegeben, brauchen aber offenbar trotzdem einen Investor, um Transfers tätigen zu können. Wo sind die Boateng-Millionen?"
Diese und andere Fragen wollten gestern Nachmittag die Mitglieder des Finanzausschusses im Aufsichtsrat bei einem Treffen klären - und natürlich hat die "Wahrheit über Anstoß³" auch bei Bernd Enge, Björn Floberg, Peter Becker und Jörg Debatin für Aufregung gesorgt. Neben den Finanzen scheint aber noch ein weiterer Vertragspassus aus der "Spielerinvestment - Vereinbarung 2009/10" unter den Mitgliedern des Aufsichtsrats für Diskussionen zu sorgen. In Paragraf 5 heißt es: "Im Todesfall oder im Invaliditätsfall des Spielers wird der HSV den Investor so behandeln, als habe er für den Spieler einen Netto-Transfererlös in Höhe von 7,5 Millionen Euro erzielen können, sodass dem Investor ... ein entsprechender Anteil zu zahlen ist." Im Klartext: Verletzen sich Aogo, Jansen oder Guerrero so schwer, dass sie ihre Karriere beenden müssen, muss der HSV Geldgeber Kühne 2,5 Millionen Euro überweisen. "Wir sind noch dabei, diese Passage genau zu prüfen. Leider sind die Versicherungsprämien für einen derartigen Fall unverschämt hoch", sagt Becker.
Als "unverschämt" bezeichnen auch viele HSV-Fans im Internet die Vertragspassage, nach der Kühne seine finanzielle Unterstützung kürzen würde, sofern "kein zentraler Mittelfeldspieler von internationaler Klasse gekauft wird". So setzten sich mehr als 400 HSV-Fans innerhalb weniger Stunden beim Abendblatt-Blog "Matz ab" mit den verschiedenen Facetten des Millionendeals auseinander. "Am absurdesten ist der Passus, wonach die Kühne-Gelder gekürzt werden können, falls kein zentraler Mittelfeldspieler von internationaler Klasse gekauft würde", schreibt beispielsweise Nutzer Settembrini. Nutzer Hansinator hält dagegen: "Dass Herr Kühne eine gewisse ,Sinnvollklausel' einbaut, ist doch logo." So sieht es auch - in der realen Welt - Aufsichtsratschef Becker: "Es bleibt dabei. Es gibt für Herrn Kühne kein Mitspracherecht im sportlichen Bereich." Bednarek - ebenfalls in der realen Welt - kritisiert dagegen: "Der Investor scheint ein größeres Mitspracherecht zu haben als bisher bekannt."
Die Meinungen über das in Deutschland einmalige Projekt dürften auch in den kommenden Tagen auseinandergehen - die tatsächliche "Wahrheit über Anstoß³" wird wohl erst am kommenden Dienstag auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung präsentiert werden. Und der E-Mail-Verkehr zwischen Mitgliedern des Aufsichtsrats und des Vorstands dürfte bis dahin nicht zum Erliegen kommen.