Nach Urs Siegenthalers Verpflichtung spricht der HSV-Boss über Fehler der Vergangeneheit und Kontakte zu Jürgen Klinsmann.
Abendblatt: Herr Hoffmann, was qualifiziert den Spielebeobachter des DFB für den Posten des HSV-Sportchefs?
Bernd Hoffmann: Urs Siegenthaler hat bewiesen, dass er über eine herausragende sportliche und strategische Kompetenz verfügt. Seine Verpflichtung ist eine Weichenstellung für den HSV.
Abendblatt: Aber wo sind seine weltweiten Kontakte im Transfergeschäft?
Hoffmann: Siegenthaler ist international exzellent vernetzt. Er hat in den vergangenen Jahren unzählige Spiele und Spieler gesehen. Ebenso wichtig ist uns, dass er eine Spielphilosophie entwickelt, die für den gesamten Verein gilt und auf der die Entwicklung des Kaders aufbaut.
Abendblatt: Das klingt sehr theoretisch. Was meinen Sie konkret?
Hoffmann: Die Analyse unserer Arbeit der vergangenen sechs Monate zeigt, dass wir genau hier ein Vakuum haben. Wir haben in der Vergangenheit zu sehr darauf reagiert, welche Spieler gerade aktuell auf dem Markt sind. Wir müssen dahin kommen zu agieren, jetzt schon zu sehen, welche Positionen bei uns etwa in zwei, drei Jahren vakant werden, um einen Spieler gezielt in diese Richtung zu entwickeln. Oder einen Spieler mit der notwendigen Qualität zu verpflichten.
Abendblatt: Im Klartext, Sie wollen jetzt schon den Nachfolger für Frank Rost aufbauen?
Hoffmann: Dies wird hoffentlich Wolfgang Hesl sein, der in den vergangenen Jahren viel von Frank gelernt und sich immer weiterentwickelt hat. Aber wir müssen jetzt schon den übernächsten Frank Rost aufbauen. Ein großes Talent mit 16, 17 Jahren, das das Zeug dazu hat, mal ein Spitzentorwart zu werden.
Abendblatt: Kann man wirklich so langfristig planen?
Hoffmann: Aber ja. Wir orientieren uns dort an berühmten Vorbildern. Schauen Sie sich ein Training von Zwölfjährigen beim FC Barcelona an. Da können Sie das Spielsystem der ersten Mannschaft erkennen. Barcelona scoutet Spieler positionsbezogen und bildet sie dann entsprechend aus. Da wollen wir hin. Oder denken Sie an die Bayern.
Abendblatt: Inwiefern?
Hoffmann: Dort stehen mit Lahm, Badstuber, Müller und Schweinsteiger vier Spieler aus der eigenen Jugend in der ersten Elf. Bei uns haben Spieler aus dem Nachwuchs letzte Saison 17 Minuten in der Bundesliga gespielt. Auf die Nachwuchsausbildung wird Urs Siegenthaler besonderes Augenmerk legen, aber diese Maßnahmen brauchen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Voraussetzung dafür ist jedoch eine klare und durchgängige Philosophie.
Abendblatt: Wie sieht die aus?
Hoffmann: So wie unsere erste Mannschaft jetzt nach der Vorstellung von Bruno Labbadia spielt. Schnell, offensiv, dominant. In einem funktionierenden System mit herausragenden Einzelspielern.
Abendblatt: Was passiert bei einem Trainerwechsel? Thomas Doll ließ offensiv spielen, Huub Stevens setzte auf Sicherheit.
Hoffmann: Anfang 2007 waren wir dem sportlichen Super-Gau, dem Abstieg, so nah, dass wir handeln mussten. Daher war es notwendig, mit Huub Stevens den Gegenentwurf zu Thomas Doll zu verpflichten und auf absolute Stabilität zu setzen. So etwas muss aber in Zukunft die absolute Ausnahme bleiben.
Abendblatt: Ad-hoc-Käufe wie im vergangenen Winter, als unter Martin Jol auf einen Schlag sechs neue Spieler verpflichtet wurden, soll es künftig unter Sportchef Siegenthaler auch nicht mehr geben?
Hoffmann: Exakt, so etwas müssen wir für die Zukunft ausschließen, das war ein Fehler. Wir sollten immer das Heft des Handelns in der Hand halten und im Winter nur dann Transfers machen, wenn sich eine herausragende Chance bietet. Wie jetzt bei Ruud van Nistelrooy.
Abendblatt: Zumindest um das Heft des Handels müssen Sie sich ja keine Sorge mehr machen. Mit Katja Kraus, die zur zweiten Vorsitzenden befördert wurde, können Sie künftig jede Personalentscheidung durchdrücken. Mit im Vorstand sitzt ja nur noch Oliver Scheel für die Mitgliederbelange.
Hoffmann: Mit Verlaub, das wäre in der früheren Vierer-Konstellation mit Dietmar Beiersdorfer auch schon möglich gewesen, da laut HSV Satzung bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorstandsvorsitzenden entscheidet. Aber bis auf drei, vier Ausnahmen, die nie eine zentrale Personalfrage betrafen, haben wir in den sieben Jahren alles einvernehmlich entschieden.
Abendblatt: Dennoch bleibt der Eindruck der Machtballung. Es gibt keinen Gegenspieler mehr im Vorstand.
Hoffmann: Bremen und Bayern würden sich königlich über diese Diskussion amüsieren. Wir können doch nur als Team erfolgreich sein, wenn alle im selben Boot in die gleiche Richtung rudern.
Abendblatt: Ist Katja Kraus aber nicht doch die eigentliche Super-Sportchefin?
Hoffmann: Katja Kraus koordiniert im Vorstand die sportlichen Themen. Sie hat als ehemalige Nationaltorhüterin hohe sportliche Kompetenz, darüber hinaus überragende Management-Fähigkeiten. Aber das ist hier nicht der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Wir haben nur das formalisiert, was wir in den vergangenen Monaten mit Erfolg begonnen haben.
Abendblatt: Dennoch wird für Sie das Leben leichter.
Hoffmann: Wir haben in diesem Team, gemeinsam mit dem Trainer, sehr kurze Entscheidungsprozesse. Und das ist gut so. Im Übrigen werden weder Katja Kraus noch ich uns zu den tagesaktuellen sportlichen Fragen äußern. Das macht allein Bruno Labbadia. Auch Urs Siegenthaler wird eher nach innen arbeiten.
Abendblatt: Mit Thorsten Weidig haben Sie zusätzlich noch einen Psychologen verpflichtet...
Hoffmann: Er ist künftig für die Bereiche Karriereplanung und Persönlichkeitsentwicklung verantwortlich. Die Spieler sind medizinisch perfekt versorgt, aber ihrer Persönlichkeitsentwicklung wird zu wenig Beachtung geschenkt. Und das trotz all der Einflussfaktoren: Denken Sie nur an einen Profi, der plötzlich zum Nationalspieler aufsteigt und dem Angebote von Real Madrid den Kopf verdrehen. Oder an ein Talent, das womöglich noch im Jugendinternat wohnt und jetzt vor 57 000 Fans aufspielen soll. Oder an einen Star auf der Zielgeraden seiner Karriere. Jeder benötigt Hilfestellungen.
Abendblatt: Jürgen Klinsmann hat ähnlich argumentiert. Auch ihn haben Sie angeblich konsultiert.
Hoffmann: Wir haben in den vergangenen Monaten mit zahlreichen Experten gesprochen. Dazu zählte auch Jürgen Klinsmann. Aus diesen Gesprächen, aber auch aus eigenen Analysen und Erfahrungen, haben wir dann unsere neue HSV-Strategie entwickelt.