Vor dem Uefa-Pokal-Rückspiel gegen Werder Bremen plagen Hamburg Sturmsorgen. Martin Jols Team erzielt zu wenig Tore und setzt sich dadurch häufig selbst unter Druck.

Hamburg. Der Grat ist schmal. Das weiß Martin Jol. Und das weiß jetzt auch die Mannschaft, nachdem sie durch das 1:1 gegen Hertha BSC am Sonntag bei nunmehr fünf Punkten Rückstand auf Tabellenführer Wolfsburg die wohl letzte Chance auf die Meisterschaft verspielt hat. „Ein Tor mehr, ein 2:0, und wir hätten dieses Spiel niemals abgegeben“, ärgerte sich Guy Demel und sprach unbewusst das größte Problem des HSV in dieser Saison an: Die Effizienz vor des Gegners Tor. „Wir machen zu wenig Tore, um ganz oben dabei zu sein“, fasste Trainer Martin Jol kurz und trefflich zusammen. Immerhin erzielte keines der besten zehn Teams der Bundesliga weniger Tore als der HSV (43 Treffer). Kleines Kuriosum vor dem dritten Nordderby binnen 16 Tagen am Donnerstag (20.45 Uhr), wenn Werder zum Halbfinalrückspiel im Uefa-Pokal in Hamburg antritt: Bremen schoss in der Liga mit 55 Treffern die drittmeisten Tore hinter Wolfsburg (66) und Bayern München (61) – ist aber als Tabellenzehnter fünf Ränge schlechter.

„Bis jetzt war auch alles gut, weil wir oben waren“, umschrieb Jol den schmalen Grat. „Wir haben knappe Spiele gewonnen. Bis auf Stuttgart (0:1, d. Red.) und jetzt Hertha. Das ging 1:1 aus, und plötzlich sprechen wir nicht mehr über den Meistertitel, sondern über den drohenden Platz sechs.“

Und über die Gründe für die verpassten Titelchancen. „Wenn wir in wichtigen Momenten das zweite Tor vergessen, schaffen wir es nicht nach ganz oben“, hatte Piotr Trochowski wiederholt kritisiert und Jol daraufhin die Frage nach fehlenden Spezialisten gestellt. „Unsere Angreifer machen viele Tore, aber eben auf drei Wettbewerbe verteilt. Hätte Wolfsburg nicht einen Spezialisten wie Grafite oder Stuttgart keinen Mario Gomez, wären sie Tabellenzehnter. Es wäre schön, wenn wir dafür zwei, drei Spezialisten mehr im Team hätten“, hofft Jol auf hochkarätige Neuzugänge im Sommer, zumal er mit Olic einen wichtigen Spieler an Bayern München verliert.

Petric vermisst einen Tempomacher

Zumindest einen „Spezialisten“ hat der HSV bereits in Mladen Petric. Sagt zumindest Jol über den Angreifer, der am Donnerstag nach zehn Tagen Pause (Fleischwunde am Schienbein) wohl ins Team zurückkehrt. „Es sieht gut aus“, so der Kroate, der gestern mit einem speziell angefertigten Karbon-Schienbeinschützer mittrainierte. Am Mittwoch werden die Fäden der mit acht Stichen genähten Wunde gezogen – anschließend soll es losgehen. „Ich glaube, dass es gehen wird“, sagte der „Spezialist“, der seinerseits die Trainer-These unterstützt: „Uns fehlt im Mittelfeld einer, der das Tempo bestimmt. Einer, wie es Niko Kovac in der kroatischen Nationalelf war.“ Einer wie Diego, der auf Bremer Seite nach seinen Rückenproblemen (siehe Bericht rechts) zurückkehrt? „Klar ist, uns fehlt eben ein Puncher im Mittelfeld“, stimmte Petric indirekt zu und meinte einen spielentscheidenden Akteur, „damit wir uns nach Führungen nicht immer zurückziehen, sondern auf ein zweites, drittes oder viertes Tor gehen.“

Denn, und das betonte Petric, nur nach Neuen zu rufen, das wäre zu einfach. „Wir machen ja den Fehler selbst. Wir ziehen uns zurück und machen nur noch das Nötigste, wenn wir führen.“ Und während Demel die mangelnde Kreativität in der Offensive als Resultat der hohen Belastungen und daraus resultierender mangelnder Konzentration sieht, glaubt Petric nicht an ein Kraftproblem. „Dass wir die Fitness haben, zeigt sich darin, dass wir immer kommen können, wenn wir müssen. Wie nach dem 1:1-Ausgleichstreffer gegen Hertha. Vorher haben wir ein Spiel aus der Hand gegeben, anschließend waren wir am Drücker.“

Ginge es also nach Petrics Theorie, besteht auch vor dem Rückspiel die Gefahr, dass sich der HSV nach dem 1:0 im Hinspiel zu früh zurücknimmt. Oder? „Nein, das ist ein neues Spiel. Wir werden das Spiel sofort in die Hand nehmen und auf Tore gehen“, verspricht der „Spezialist“. Schließlich würde ein einziger Treffer Bremen wieder auf Augenhöhe bringen. „Ein 1:0-Vorsprung ist gut – aber er ist auch ein sehr schmaler Grat.“ Und mit dem haben Petric und Co. zuletzt nicht die besten Erfahrungen gemacht.