Der Aufsichtsratsvorsitzende des HSV, Ernst-Otto Rieckhoff, tritt zurück und legt nach internen Querelen mit sofortiger Wirkung sein Amt nieder.
Hamburg. Er hatte lange mit sich gerungen, noch den gesamten Vormittag über den Rat von Bekannten, Freunden und Ratskollegen eingeholt. Dann stand sein Entschluss fest: Ernst-Otto Rieckhoff tritt sofort von seinem Amt als Aufsichtsratsvorsitzender des HSV zurück. Bis Januar bleibt der 60-Jährige zwar noch Kontrolleur. Allerdings wolle er anschließend nicht erneut für das Amt des Aufsichtsrats kandidieren, was er seinen Ratskollegen nur wenige Minuten vor der Öffentlichkeit mitteilte. "Ich habe mich in der Mitgliederversammlung am 20. Mai voller Überzeugung für eine Verkleinerung des Aufsichtsrats eingesetzt. Da dieser Antrag zwar eine Mehrheit, nicht aber die erforderliche Dreiviertelmehrheit erzielte, habe ich mich dazu entschlossen, im Januar nächsten Jahres nicht mehr für ein Mandat im Aufsichtsrat zu kandidieren", ließ Rieckhoff verbreiten.
Seine Entscheidung kam nicht völlig überraschend. Schließlich war es an jenem Sonntag in der Imtech-Arena bei der Mitgliederversammlung zu einem Eklat gekommen. Offenbar geplant, hatte der Chefkontrolleur dem gesamten Gremium den Rücktritt empfohlen, um den Weg für einen Neuanfang freizumachen. Dies stieß bei seinen Ratskollegen auf massiven Widerstand. Aufsichtsrat Jürgen Hunke warf Rieckhoff gar Machtgier vor.
+++ Rieckhoff: "Alle Aufsichtsräte zurücktreten!" +++
Für 580 HSV-Mitglieder wurde damit einmal mehr deutlich, wie gespalten das Gremium ist - dem Anschein nach in drei Lager. So wird der Aufsichtsrat häufig in die Fraktionen der Supporters (Björn Floberg, Manfred Ertel, Uli Klüver, Marek Erhardt und Jürgen Hunke), der Wirtschaftsweisen (Alexander Otto, Ian Karan und Jörg Debatin) und der Alt-Räte (Otto Rieckhoff, Horst Becker, Ronny Wulff und Eckard Westphalen) eingeteilt.
Rieckhoff war mit dem Ziel angetreten, die Grabenkämpfe zu beenden. Sein Start war jedoch schon wenig verheißungsvoll. Bereits in der unmittelbaren Nach-Hoffmann-Zeit, als die Verträge des früheren Vorstandsduos Katja Kraus und Bernd Hoffmann im März 2011 aufgelöst wurden, soll Rieckhoff versucht haben, die fragile Vereinslage für persönliche Ziele zu nutzen. In einem Abendblatt-Interview gab er damals auch zu, mit der Rolle des Vorstandsvorsitzenden geliebäugelt zu haben: "Als es im März drunter und drüber ging, war das mal ein zeitlich begrenztes Gedankenmodell." Mehrere Räte - auch aus dem Lager der Wirtschaftsweisen - haben seitdem zu Rieckhoff ein gespanntes Verhältnis.
Zudem gab es über die Aufarbeitung der Hoffmann-Ära höchst unterschiedliche Meinungen. Besonders der ehemalige Präsident Jürgen Hunke, der als Intimfeind Hoffmanns gilt, versuchte mit aller Macht, mögliche Fehlleistungen Hoffmanns aufzudecken, forderte entsprechende Gutachten ein. Inzwischen gilt der machtbewusste Hunke auch im Lager der Supporters zuweilen als beratungsresistent. Räte aus mutmaßlich anderen Lagern empfanden Hunkes Vorpreschen als völlig überzogen, kritisierten auch die Kosten der Gutachten. Debatin wiederum ist im ganzen Gremium mit seiner mitunter sehr impulsiven Art umstritten. Wiederholt kam es mit dem früheren UKE-Chef und anderen Ratsmitgliedern zu scharfen Konflikten. Debatins Mandat läuft wie bei Rieckhoff, Becker, Otto, Karan und Wulff im Januar aus.
Als Moderator im Rat gilt der stellvertretende Vorsitzende Alexander Otto, der in allen Fraktionen hohes Ansehen genießt. Der Unternehmer wäre wohl die Idealbesetzung für die Nachfolge Rieckhoffs. Schon im Januar 2011 galt er als Favorit für den Chefposten, sagte jedoch "aus persönlichen Gründen" ab. Nach Abendblatt-Informationen steht er auch diesmal höchstens für eine Interimslösung gemeinsam mit dem zweiten Stellvertreter Manfred Ertel zur Verfügung - mehr lässt sein enger beruflicher Zeitplan nicht zu.
Ähnlich wie Otto ecken auch der Supporters-Delegierte Floberg und Westphalen, der im Januar 2011 auch als Vorsitzender im Gespräch war, nur selten bei den Kollegen an. Im Vorstand wird besonders die Art des öffentlichkeitsscheuen Westphalen geschätzt, weil der Delegierte der Amateure intern oft nachfragt, sich extern aber nicht äußert. Während Antipathien gegenüber dem introvertiertem Klüver und dem gerade in den Rat zurückgekehrten Wulff nicht bekannt sind, gilt das Verhältnis zwischen Rieckhoff und seinem bisherigen Stellvertreter Ertel als belastet. Rieckhoffs Vorstoß am Sonntag kommentierte Ertel mit den Worten: "Ich bin entsetzt." Wahrscheinlich schon vor der nächsten turnusmäßigen Sitzung am 29. Mai wollen die Räte über Rieckhoffs Nachfolge beraten. In das triste Gesamtbild des Vereins passt eine weitere Nachricht: Aus Kostengründen wird der Verein die Frauenbundesliga-Mannschaft abmelden.