Dortmund. Borussia Dortmunds Geschäftsführer wendet sich in einem offenen Brief an die Fans. Bartra bedankt sich beim Trainer. Kommt jetzt Favre?
Es war ein Rauswurf mit Ankündigung: DFB-Pokal-Sieger Borussia Dortmund hat sich drei Tage nach dem Triumph von Berlin von Trainer Thomas Tuchel (43) getrennt. Tuchel selbst erklärte über einen kurz zuvor angelegten Twitter-Account das Ende der Zusammenarbeit mit dem BVB. „Ich bin dankbar für zwei schöne, ereignisreiche und aufregende Jahre. Schade, dass es nicht weitergeht.“ Weiter schrieb Tuchel: „Danke an die Fans, an die Mannschaft, an den Staff und an alle, die uns unterstützt haben. Wünsche dem @BVB alles Gute.“
In einer ersten Erklärung des Vereins hieß es, die Entscheidung sei nach einem Gespräch zwischen BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Michael Zorc, Tuchel und dessen Berater Olaf Meinking getroffen worden. Der Verein bedanke sich bei Tuchel für die erfolgreiche sportliche Arbeit. Zu den Hintergründen der Trennung, "die das Ergebnis eines längeren Prozesses sind und von allen Klubgremien getragen werden", wolle sich Borussia Dortmund "als Arbeitgeber" nicht äußern.
Tuchel hatte sich offenbar mit Watzke überworfen. Der Verein legte in seiner Erkärung aber "großen Wert auf die Feststellung, dass es sich bei der Ursache der Trennung keinesfalls um eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Personen handelt".
Watzke beklagt Vertrauensverlust
Das betonte später auch Watzke selbst, als er sich am Dienstagnachmittag in einem offenen Brief an die Fans und Mitglieder wandte. "Der BVB hatte zwei erfolgreiche Jahre, in denen die sportlichen Ziele erreicht wurden. Allerdings haben wir – Michael Zorc als Sportdirektor und ich – uns in dieser Zeit in der Zusammenarbeit mit dem Trainerteam auch aufgerieben."
Es gehe, schrieb der Geschäftsführer bei bvb.de, "immer auch um grundlegende Werte wie Vertrauen, Respekt, Team- und Kommunikationsfähigkeit, um Authentizität und Identifikation. Es geht um Verlässlichkeit und Loyalität". In der Konstellation mit Tuchel habe die Führung "keine Grundlage mehr für eine auf Vertrauen ausgelegte und perspektivisch erfolgreiche Zusammenarbeit gesehen". Die Konsequenz sei das Ende der Zusammenarbeit.
Watzke versicherte, nicht allein aus persönlichen Differenzen gehandelt zu haben: "Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass es bei der Entscheidung nicht um die Frage ging, ob man ein Bier miteinander trinken oder Skat miteinander spielen kann. Wenn wir die Dinge derart banalisieren würden, wären wir verantwortungslose und schlechte Entscheider." In diesem Zusammenhang erwähnte Watzke auch das "sehr spezielle Verhältnis" zu Tuchels Vorgänger Jürgen Klopp.
Streit um Reaktion auf Anschlag gegen Mannschaftsbus
Obwohl Tuchel erfolgreiche Arbeit geleistet hatte, wurde die eigentlich bis 2018 vertraglich fixierte Zusammenarbeit vorzeitig beendet. Entzündet hatte sich die Kontroverse zwischen Tuchel und Watzke auch an der Frage, ob die Champions-League-Partie gegen den AS Monaco nur einen Tag nach dem Sprengstoffanschlag auf den Dortmunder Mannschaftsbus hätte ausgetragen werden dürfen. Watzke hatte in einem brisanten Interview vor dem enorm wichtigen Spiel gegen 1899 Hoffenheim am 6. Mai einen "klaren Dissens" mit Tuchel offenbart. Darüber hinaus soll das angespannte Verhältnis von Tuchel zu Teilen der Mannschaft den Ausschlag für die Trennung gegeben haben.
Vieles bleibt allerdings auch jetzt unklar. War der Trainer intern derart unerträglich? Lügt er gar, wie Watzke andeutete? Oder liegt die Wahrheit ganz woanders? Konnte Watzke es schlicht nicht ertragen, wie glänzend Tuchel menschlich nach dem Bombenattentat vom 11. April dastand? War das Verhältnis zur Mannschaft irreparabel beschädigt?
Die Reaktionen auf die Ausbootung von Nuri Sahin für das Pokalfinale am Sonnabend wies klar darauf hin. Sahin hatte in Berlin trotz der Verletzung seines Mittelfeldkollegen Julian Weigl nicht einmal im Kader gestanden. Kapitän Marcel Schmelzer übte daraufhin harte Kritik an Tuchels Entscheidung: „Ich war geschockt. Nuri ist ein toller Fußballer, ein toller Mensch. Wir stehen hinter ihm.“
Tuchels sportliche Bilanz ist überragend
Es ist jedenfalls die Scheidung einer Ehe, die das Potenzial zur Traumbeziehung gehabt hätte. Borussia Dortmund hatte es mit Tuchel in der Champions League bis ins Viertelfinale geschafft, in der Bundesliga schloss man die Saison auf Platz drei ab, was die erneute Qualifikation für die europäische Königsklasse bedeutete. Der Pokalsieg über Eintracht Frankfurt war der vierte in der Dortmunder Vereinsgeschichte. Tuchels Punkteschnitt (2,12 inklusive DFB-Pokal/Europapokal) ist der beste der Vereinsgeschichte. Er hat in zwei Jahren kein Ligaheimspiel verloren. Sportliche Gründe für eine Trennung existieren nicht.
Doch: Es geht eben auch um das Menschliche. Tuchel hat sich – wie schon 2014 beim FSV Mainz 05 – zum zweiten Mal innerhalb des Vereins derart isoliert, dass die Trennung als einziger Ausweg blieb. Eine Fortsetzung wäre wohl ein Tanz am Rande des Vulkans gewesen. Die Erklärung, Tuchel sei kein "Typ Jürgen Klopp", greift zu kurz. Das hätte jeder beim BVB wissen müssen. Der einst von Tuchel in Mainz aus der Profimannschaft verbannte Torhüter Heinz Müller sprach von "Mobbing hoch zehn" und schimpfte Tuchel einen "Diktator".
Bartras Dank an Tuchel
Das ist sicherlich übertrieben. Eher ist Tuchel ein versessener Detailfresser mit unverrückbaren Vorstellungen, der wohl wahrlich ein Quälgeist sein kann. Dem BVB wunde das zu viel. Präsident Reinhard Rauball und Sportdirektor Michael Zorc stellten sich demonstrativ an Watzkes Seite.
In der Mannschaft hatte Tuchel aber durchaus Fürsprecher, wie erste Reaktionen zeigen. Der bei dem Attentat schwer verletzte Marc Bartra bedankte sich via Twitter: "Es war ein aufrichtiges Vergnügen, Thomas!"
Die Aktien von Borussia Dortmund haben am Dienstag kaum auf Tuchels Abschied reagiert. Zuletzt notierten die schon vorher schwächelnden Titel von Deutschlands einzigem börsennotiertem Fußballverein mit 0,72 Prozent im Minus bei 6,095 Euro. Für die Anleger war die Nachricht Experten zufolge keine große Überraschung.
Tuchel dürfte keine Probleme haben, einen neuen Verein zu finden. Im Frühjahr war halb Europa verliebt in den jungen, stürmischen, phasenweise berauschenden BVB-Stil. Dies ist in England aufmerksam registriert worden. Aus der Bundesliga soll Bayer Leverkusen lebhaft Interesse zeigen.
Kommt Favre? Oder Sousa?
Die Trennung lässt sich der BVB geschätzte 2,5 Millionen Euro Abfindung kosten. Angeblich steht Lucien Favre von OGC Nizza als Nachfolger bereit. Für den BVB stellt sich die Frage, ob der 59 Jahre alte Schweizer der richtige Nachfolger ist. Favre war bisher überall erfolgreich, das spricht eindeutig für ihn. Er gilt aber auch als eigenbrötlerisch.
Favre steht bei OGC Nizza noch bis zum 30. Juni 2019 unter Vertrag. In Südfrankreich herrscht Zuversicht, dass Favre bleibt. Laut der Zeitung „Nice-Matin“ gehe der Trend in diese Richtung. Für den ehemaligen Mönchengladbacher Trainer dürfte eine Ablösesumme in Millionenhöhe fällig werden.
Ein weiterer Kandidat könnte der frühere BVB-Spieler Paulo Sousa sein. Der portugiesische Trainer des AC Florenz gewann 1997 mit den Dortmundern als Spieler die Champions League und genießt im Revier noch große Anerkennung.