Ascona. Hummels, Schweinsteiger, Reus und Bellarabi bereiten Sorgen. Vor der Nominierungsfrist beriet sich der Bundestrainer mit dem Arzt.
Es regnet. Mal ein paar Nieseltropfen, mal ein kleiner Schauer, und mal gießt es auch wie aus Eimern. Am Tag nach dem Wolkenbruch-Spiel in Augsburg, das die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zu allem Überfluss auch noch mit 1:3 gegen die Slowakei verloren hat, kann man im sonst so sonnigen Ascona zwar nicht von einem erneuten Unwetter sprechen. Aber vielversprechend klingt die Prognose für die kommenden Tage bis zur Weiterreise des DFB-Teams nach Gelsenkirchen auch nicht. Dienstag: Regen. Mittwoch: Regen. Donnerstag: Regen. Und Freitag: Regen.
Von dunklen Wolken über dem Quartier der Nationalmannschaft kann man an diesem Montag allerdings auch ohne Google-Wetterdienst ganz trefflich fabulieren. Denn einen Tag bevor Joachim Löw der Uefa laut Artikel 44.02 des Reglements bis Mitternacht seine endgültige Liste mit 23 Spielern zukommen lassen muss, hat der Bundestrainer noch sehr viel mehr Sorgen, als ihm lieb ist. Besonders der Fitnesszustand seiner Leistungsträger bereitet Löw unerwarteten Kummer. Deswegen setzte sich der Coach am Montag mit DFB-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und dem Rest der medizinischen Abteilung zusammen, um „eine gemeinsame Standortbestimmung“ zu machen. „Die Mediziner entscheiden manchmal beim einen oder anderen Spieler mit“, gab Löw offen zu.
Operation EM-Titel: Löws Mannschaft in Ascona
Mats Hummels droht teilweise auszufallen
Die Frage, ob sich da ein echtes Gewitter zusammenbraut, soll allerdings erst im Laufe dieses Dienstags beantwortet werden. Denn klar ist bislang nur, dass „die Mannschaft“ doch sehr viel länger als ursprünglich angenommen auf Innenverteidiger Mats Hummels verzichten muss. Bereits am vergangenen Donnerstag hatte der Neu-Münchner Alarm geschlagen, dass sein „kleiner Muskelfaserriss“ (Löw) ihn möglicherweise die ersten beiden Vorrundenspiele gegen die Ukraine und Polen kosten könnte. Weil aber auch der Heilungsverlauf von Bastian Schweinsteigers rechtem Knie weiterhin im Ungefähren bleibt, hat der Bundestrainer nun ein echtes Dilemma. Denn beide Rekonvaleszenten dürfte er im Falle einer Verschlimmerung laut Uefa-Richtlinien nach dem ersten Gruppenspiel nicht mehr ersetzen (siehe Infokasten). Dies könnte auch deswegen zum Problem werden, weil Löw mit Marco Reus (Adduktorenprobleme) und Karim Bellarabi (leichte Zerrung) zwei weitere Profis hat, die über andauernde Wehwehchen klagen.
Nach dem medizinischen Gipfeltreffen im luxuriösen Hotel Giardino muss also entschieden werden, ob man guten Gewissens das Risiko eingehen kann, gleich mehrere ramponierte Spieler mit nach Frankreich zu nehmen. „Ich benötige zwei Mannschaften für dieses Turnier: eine Mannschaft bis zum Achtelfinale – und dann eine zweite Mannschaft“, hatte Löw der „Süddeutschen Zeitung“ bereits vor der Vorbereitung in Ascona angedeutet, dass er sich ähnlich wie bei der WM in Brasilien im Fall der Fälle eine Art Jobsharing vorstellen kann, um nach Ilkay Gündogan (Operation an der Kniescheibe) nicht auf noch einen Leistungsträger in Frankreich zu verzichten. „Aus unserer Perspektive gibt es bei dieser EM zwei sehr unterschiedlich Phasen. Die erste Phase ist geprägt von unseren Gruppengegnern: Ukraine, Polen, Nordirland“, erklärte Löw. „In der zweiten Turnierphase treffen wir dann vielleicht auf Belgien, Italien, auf Spanien – die spielen, und die wollen gewinnen. Und da gibt es folglich ein ganz anderes Spiel.“
Keiner der üblichen Verdächtigen überzeugte
Und spätestens in diesen ganz anderen Spielen will der Nationaltrainer dann auf seine Hoffnungs- und Leistungsträger wie Hummels und Schweinsteiger zurückgreifen können – sofern es denn möglich ist.
Im Hinblick auf die Entscheidung, welche vier Spieler Löw also bis Mitternacht nach Hause schickt, vereinfacht sich das Casting allerdings keineswegs. Denn der buchstäblich ins Wasser gefallene Test gegen die Slowakei brachte eben nicht den gewünschten Mehrwert an Erkenntnissen. Beim 1:3 in Augsburg konnte sich keiner der üblichen Verdächtigen (Joshua Kimmich, Julian Brandt, Julian Weigl, Leroy Sané, Sebastian Rudy, Emre Can, Julian Draxler, Karim Bellarabi, André Schürrle) nachdrücklich für einen endgültigen Kaderplatz empfehlen. Allerdings boten sich die äußeren Umstände auch eher für eine Bewerbung bei der Wasserballnationalmannschaft an. Im Wettschwimmen durfte sich immerhin Draxler, der eine sehr wechselhafte Bundesligasaison in Wolfsburg hinter sich hat, über gute Haltungsnoten freuen. Bayerns Youngster Kimmich konnte sich dagegen nicht für sein EM-Seepferdchen empfehlen.
Deutschland verliert Test gegen die Slowakei
Prognose könnte deutlich besser sein
Ganz unabhängig von der endgültigen Kadernominierung hat sich die Großwetterlage nach der unnötigen Pleite in Augsburg verschlechtert. „Wir haben noch viel zu tun in der Defensivarbeit. Wir können nicht gegen so eine Mannschaft wie die Slowakei die ganze Zeit hinterherrennen“, mäkelte Jerome Boateng nach der Partie. „Und Standards sollten wir auch noch mal trainieren, würde ich sagen.“
Schlechtes Wetter, viele Verletzte und ein ins Wasser gefallener Test – die Prognose für eitel Sonnenschein in Frankreich könnte zwölf Tage vor dem deutschen Auftaktspiel gegen die Ukraine deutlich besser sein. Doch es gibt auch ein paar Lichtstrahlen am Horizont: Denn erstens waren die Voraussetzungen bei der Vorbereitung auf die WM vor zwei Jahren auch nicht besser – und das Ende ist hinlänglich bekannt. Und zweitens: Für das deutsche EM-Quartier in Évian-les-Bains sind für die kommende Woche 24 Grad, blauer Himmel und Sonne satt vorhergesagt.