Die Debatten um den WM-Ausrichter 2022 halten an – und könnten für den Weltfußballverband noch böse Folgen haben. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Sao Paulo. Beim Kongress der Fifa in São Paulo gilt das Interesse nur am Rande der unmittelbar bevorstehenden Weltmeisterschaft auf brasilianischem Boden. Viel wichtiger erscheinen die Ambitionen Sepp Blatters, der zum fünften Mal Präsident des Fußball-Weltverbandes werden möchte, und vor allem der Fall Katar. Noch immer ist unklar, ob die WM 2022 tatsächlich in dem Wüstenstaat ausgetragen wird. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Kann Blatter Katar jetzt die WM wegnehmen?
Unmöglich. Der Kongress mit seinen 209 stimmberechtigten Nationalverbänden müsste eine solche Entscheidung fällen, nicht der Präsident. Bis Mitte Mai hätte jeder Nationalverband oder das Exekutivkomitee den Antrag stellen können, dass in São Paulo über eine Neuvergabe der WM 2022 abgestimmt wird – keiner hat es getan. Die nächste Möglichkeit, die Neuvergabe zu beschließen, gibt es beim Kongress 2015 in Zürich. Nötig ist bei der Abstimmung eine einfache Mehrheit. Kommt diese zustande, wird ein neuer Termin für die WM-Vergabe festgelegt – die künftig nicht mehr vom 25-köpfigen Exekutivkomitee, sondern vom Kongress durchgeführt wird.
Warum dauert das alles so lange?
Michael Garcia, Chefermittler der Fifa-Ethikkommission, reiste seit 2012 durch die Welt, um Funktionäre zu verhören. Am Montag hat er seinen Untersuchungsbericht zu den Vergaben der WM 2018 und 2022 fertiggestellt und eine Gesamtwürdigung der Vorgänge rund um die Abstimmung vorgenommen. Joachim Eckert, Vorsitzender der urteilenden Instanz, wird auf Grundlage von Garcias Bericht bis zum Herbst entscheiden, ob Strafen gegen Funktionäre verhängt werden. Gleichzeitig wird er eine Empfehlung dazu abgeben, ob die WM-Vergabe wiederholt werden soll. Eckerts Einschätzung soll öffentlich gemacht werden.
Ist jetzt bewiesen, dass Katar sich die WM gekauft hat?
Nein. Selbst die jüngsten Enthüllungen der „Sunday Times“ liefern keinen Beleg dafür, dass Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees (ExCo) vor der WM-Vergabe im Dezember 2010 bestochen wurden oder Mitglieder des katarischen Bewerberteams versuchten, Funktionäre zu bestechen. „Es wird Zeit, dass endlich Namen genannt werden. Aktuell ist es schwer, die Lage einzuschätzen“, sagte ExCo-Mitglied Michel D’Hooghe in São Paulo. Der Sohn des Belgiers hatte nach der WM-Vergabe einen Job als Arzt in Katar angetreten, deswegen wird D’Hooghe unterstellt, er habe im Gegenzug seine Stimme dem Emirat gegeben. Der Mann bezeichnet die Vorwürfe als „absurd“, für wen er stimmte, verrät er nicht. Der Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa, Michel Platini, gab zu, für Katar gestimmt zu haben. Sein Sohn hatte kurz nach der Wahl ebenfalls einen Job in dem Wüstenstaat erhalten, er arbeitet nun für einen Ableger des katarischen Staatsfonds QSI, der seit Anfang 2011 Millionen in den französischen Topclub Paris St. Germain pumpt. Die dubioseste Rolle bei Katars WM-Bewerbung spielte Mohamed Bin Hammam. Der schwerreiche Katarer überwies vor und nach der Abstimmung Millionen an Fußballfunktionäre, darunter das damalige ExCo-Mitglied Jack Warner. Bekam Warner das Geld für seine Stimme für Katar? Möglich ist bei allen Zahlungen auch, dass sich Bin Hammam Unterstützung für seine – am Ende erfolglose – Präsidentschaftskandidatur sichern wollte. Der Katarer wurde 2010 wegen Verstößen gegen den Ethikkodex lebenslang gesperrt.
Kann sich die Fifa eine Neuvergabe der WM 2022 überhaupt leisten?
Zuletzt wurde behauptet, der Fifa drohe im Fall einer Neuvergabe die Pleite. Katar würde den Verband auf Schadenersatzklage in Milliardenhöhe verklagen, und vor einem staatlichen Gericht sei die Beweislage vermutlich zu dünn. So weit wird es aller Voraussicht nach nicht kommen, denn Katars Erfolgschancen bei einer Zivilklage vor einem Schweizer Gericht lägen nahe null. Jeder Bewerber für die WM-Turniere 2018 und 2022 musste der Fifa vertraglich zusichern, sich an das Ethikreglement zu halten.