Trotz des 6:1 in Irland: Das Klima innerhalb der deutschen Nationalmannschaft hat sich verändert. Der Konkurrenzdruck gefährdet die Gemeinschaft.
Berlin/Hamburg. Ein 6:1 ist normalerweise ein Ergebnis, um in Euphorie zu verfallen, um die Vorzüge der Protagonisten zu bewundern und die Aussichten mit goldenen Farben zu skizzieren. Nach dem Kantersieg der deutschen Fußballnationalmannschaft beschäftigte sich Wolfgang Niersbach erst einmal mit der Vergangenheit. Als "irreal und surreal" wertete der DFB-Präsident die jüngste Kritik und wunderte sich vor dem vierten WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden in Berlin am Dienstag (20.45 Uhr): "Man hätte zwischendurch ja meinen können, dass wir in der Weltrangliste auf Platz 50 abgerutscht sind."
Das Gegenteil ist natürlich der Fall. Gegen das in allen Belangen überforderte Team von Giovanni Trapattoni bewies die DFB-Elf, warum sie weltweit zu den besten Nationalteams gehört. "Wir haben ein Zeichen an die Welt und an Europa gesetzt", sagte Doppeltorschütze Marco Reus mit einem Schuss Pathos. Mit Rang zwei im Fifa-Ranking ist zumindest tabellarisch der geringstmögliche Abstand zum Welt- und Europameister Spanien hergestellt. Doch in einer Fußballwelt, in der zweite oder dritte Plätze am Ende nichts zählen - siehe Michael Ballack, der seinen Stempel als "Unvollendeter" nicht mehr los wird -, könnte der letzte Schritt bis zum Erreichen des (Titel-)Olymps steiniger werden als erwartet.
Nachdem es Joachim Löw seit 2006 gelungen war, eine Mannschaft zu formen, die qualitativ so stark ist wie lange nicht, scheint es mit der Kuschel- und Wohlfühlatmosphäre beim DFB vorbei zu sein - was eben auch an dem gewachsenen Konkurrenzkampf liegt. "Jetzt ist ein bisschen Reibung da, aber das Team ist intakt", sagte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff und beschrieb die Zusammensetzung des Kaders so: "Wir haben jetzt zwei Blöcke mit den Spielern aus München und Dortmund, dazu zwei Spieler aus Madrid, zwei aus England und Miroslav Klose." Während sich früher die Stammelf von selbst aufstellte, wird die Rivalität heute offen ausgetragen. Toni Kroos, der sich bereits während der EM-Endrunde angriffslustig zeigte, äußerte in Dublin offen seine Unzufriedenheit über sein Reservistendasein. "Natürlich haben wir im Mittelfeld hohe Qualität und ein großes Angebot. Aber wer mich kennt, weiß, dass ich das Selbstbewusstsein habe, dass ich der Meinung bin, dass ich trotzdem irgendwo spielen sollte. Ich bin ja mit sehr guter Form angereist. Das konnte ich bestätigten. Nicht mehr und nicht weniger."
Joachim Löw steht vor der kniffligen Aufgabe, nicht nur Kroos, sondern auch eine ganze Reihe weiterer Nationalspieler bei Laune zu halten, sei es Lukas Podolski oder auch den in Irland verletzten, aber hoch talentierten Mario Götze. Wenn Mats Hummels wieder fit ist, wird es wohl Per Mertesacker genauso treffen wie Jerome Boateng. Mittelfristig wird auch Mario Gomez wieder zum Team stoßen und für weiteren Konkurrenzdruck sorgen.
Es wäre falsch, seismografisch alle Äußerungen der beteiligten Personen zu erfassen, aber wenn ein Bastian Schweinsteiger über den suboptimalen Teamgeist spricht, Löw diesem Eindruck widerspricht, der Vizekapitän aber auf seinen Ausführungen beharrt, bestätigt es nur den Gesamteindruck, dass für die Nationalmannschaft seit dem EM-Halbfinalaus gegen Italien eine neue, rauere Phase begonnen hat. Der Grund dafür ist klar: Lobeshymnen auf das deutsche Team gab es genug, jetzt geht es darum, endlich den Pokal in den Händen zu halten. Als Kapitän Philipp Lahm am Sonntag die flache Hierarchie beim DFB mit dem Hinweis verteidigte, dass es eine klare Struktur gebe und man sich auf Augenhöhe begegne, befeuerte er aber zugleich die Befürchtung vieler Experten, dass ohne herausragende Führungsfiguren das Hauen und Stechen innerhalb des Teams leichter möglich seien, flankiert von den Ratschlägen über den richtigen Weg ganz nach oben, siehe Uli Hoeneß.
Wer Löw in diesen Tagen beobachtete, musste den Eindruck gewinnen, dass der 52-Jährige nicht nur wegen einer Erkältung verschnupft war. Die sonst von ihm ausgehende Souveränität fehlt, mit seinen harten Äußerungen über die Linksverteidigerposition ist ihm ein seltener pädagogischer Schnitzer unterlaufen. Als er den kritisierten Marcel Schmelzer (Löw: "Wir müssen mit ihm weiterarbeiten, ich kann mir auch keine Alternativen schnitzen.") nach der Partie in Irland in den Arm nahm, duckte sich der Dortmunder wie ein scheues Reh. Später gab Schmelzer zu, dass ihm die Situation zugesetzt habe: "Natürlich war es das erste Mal, dass so was passiert ist. Aber ich habe viel Unterstützung von Freunden und Mitspielern aus Dortmund erhalten, das hat mir viel Kraft gegeben."
Und Löw? Der Bundestrainer versuchte, die diskutierten Themen von den Spielern fernzuhalten: "Ich habe eingefordert, dass wir uns nicht ablenken lassen wollen von irgendwelchen Dingen, die von außen an uns rangetragen werden." Was der Bundestrainer aber nicht unterschätzen sollte: Einiges wird von innen nach außen getragen, und auf Dauer könnten die kleinen Risse in der bisher so heilen Welt des DFB zu Instabilität führen.