Christian Seifert, Vorsitzender der DFL-Geschäftsführung, über das Gewalt-Problem im Fußball, Misstöne beim FC St. Pauli und den HSV.
Frankfurt. Der Mann hat viele Baustellen - und wirkt trotz Termindrucks beim Abendblatt-Termin sehr entspannt. Christian Seifert, Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL), spricht vor dem Saisonfinale über Ausschreitungen - aber auch über sein gespanntes Verhältnis zum Kiezklub.
Abendblatt: Herr Seifert, haben Sie dem FC St. Pauli schon zum Aufstieg in die Bundesliga gratuliert?
Christian Seifert: Nein, dies hat aber nichts mit dem FC St. Pauli zu tun. Wir gratulieren grundsätzlich nur dem Meister. Bei aller Euphorie über einen Aufstieg wissen wir, dass in anderen Städten gerade Tränen über den Abstieg fließen. Da finden wir Gratulationen zu einem Aufstieg eher unpassend. Wobei sich der Klub den Sprung in die Bundesliga redlich verdient hat.
Der FC St. Pauli steht wie kein anderer Verein gegen den Trend der Kommerzialisierung des Fußballs. Das kann Ihnen als DFL-Chef doch nicht gefallen.
Warum sollte mir das nicht gefallen? Jeder Klub muss den Weg gehen, der für ihn der richtige ist. Der FC St. Pauli ist sicherlich ein ganz besonderer Verein. Eine Herausforderung für den Klub wird es sicherlich sein, für sich den richtigen Umgang mit dem Wirtschaftsunternehmen Bundesliga, das wir nun mal auch sind, zu finden. Profifußball im Jahr 2010 heißt eben auch Respekt vor den Fernsehverträgen und den Sponsoren. Nur durch diese Einnahmen ist es einem Klub möglich, sich personell zu verstärken oder beispielsweise in ein Stadion zu investieren. Bei aller Andersartigkeit wird der FC St. Pauli nicht umhinkönnen, sich zum Kollektiv des Liga-Verbandes zu bekennen. Ansonsten werden sich vielleicht andere Liga-Mitglieder fragen, mit welchem Recht sich der Klub von den Vorteilen des Kollektivs bedient. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Auch wer gegen den Strom schwimmt, schwimmt im Fluss.
Besonders die mächtige Fan-Fraktion der Ultras sieht das anders, was etwa an den massiven Protestplakaten gegen den Sender Sport 1, früher DSF, zu sehen ist.
Ich muss von den Verantwortlichen der Klubs erwarten können, dass sie ihren Anhängern sehr deutlich erklären, warum geltende TV-Verträge so wichtig sind. Alternativ kann ein Klub von sich aus auch auf seinen Anteil an den Fernseheinnahmen verzichten. Gegen Fernsehverträge zu opponieren und sich gleichzeitig aus ihnen zu bedienen, das finde ich inkonsequent.
Aber auch Fans anderer Vereine kritisieren die totale Kommerzialisierung der Bundesliga.
Wir haben einen Rekordbesuch von 42 000 Fans pro Spiel, 13,6 Millionen Fans schauen sich jeden Spieltag die Bundesliga auf dem Bildschirm an. Die Bundesliga ist beliebt wie nie zuvor. Glauben Sie ernsthaft, dies wäre so, wenn die Kommerzialisierung als zu groß empfunden würde? Das Gegenteil ist richtig. Ohne die Einnahmen aus dem Sponsoring und dem TV würden wir auf sportlich niedrigem Niveau und international bedeutungslos vor uns herstolpern. Und dann würden längst nicht mehr so viele Fans kommen.
Finden Sie es denn richtig, dass ein Bundesliga-Trikot heute 70 Euro kostet, obwohl die Herstellungskosten bei einem Bruchteil liegen?
Niemand wird zum Kauf eines Trikots gezwungen. Das ist eine völlig freie Entscheidung. Und wie sehr die Bundesliga auf ihre Fans achtet, können Sie an den Eintrittspreisen erkennen. Sehenden Auges verschenkt die Bundesliga jedes Jahr Hunderte Millionen Euro möglicher Einnahmen, weil Ticketpreise und Dauerkartenquote bewusst niedrig gehalten werden, damit sich möglichst viele Fans das Vergnügen Bundesliga leisten können. Auch die Ultras, die für uns unverzichtbarer Bestandteil der Fankultur sind. Deshalb sieht es bei uns eben auch nicht so aus wie in manchen ausländischen Ligen, wo die Atmosphäre inzwischen der in der Business-Lounge einer Fluggesellschaft gleicht.
Zu den Bildern aus deutschen Stadien gehört aber auch eine latente Rückkehr zur Gewalt.
Zum Glück sind solche Ereignisse bei uns absolute Ausnahmen. Nur ein Bruchteil der insgesamt 17 Millionen Stadionbesucher sind gewaltbereit. Aber natürlich beobachten wir diese Probleme mit großer Sorge. Doch die Bundesliga kann gesellschaftliche Probleme nicht allein lösen. Offenbar gibt es in unserem Staat eine wachsende Zahl gewaltbereiter Jugendlicher und junger Erwachsener, die die Polizei als Stellvertreter des Staats angreifen wollen. Zu beobachten ist dieses Phänomen ja auch bei den Mai-Krawallen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass der Hass auf die Spieler nach schlechten Leistungen zugenommen hat?
Womöglich liegt es darin, dass manche Fans nur noch sehr wenige positive Dinge in ihrem Alltag erleben. Dazu gehört der Fußball. Wenn es dann dort auch noch schlecht läuft, reagieren sie umso gereizter. Aber ich will dies als Laie nicht tiefenpsychologisch erklären. Wir werden dafür bei der DFL einen wissenschaftlichen Beirat gründen, der uns in diesen Fragen beraten soll. Zudem finde ich sehr positiv, dass sich alle Seiten jetzt an einem runden Tisch in Berlin mit diesem Thema beschäftigt haben.
Sollte man alle Stehplätze abschaffen?
Nein, auf keinen Fall. Zwar geht statistisch gesehen am ehesten von diesen Bereichen Unruhe aus. Aber denken Sie nur an die gelbe Wand der Südtribüne in Dortmund. Oder an die großartige Stimmung auf Schalke. Stehplätze per se zu verdammen wäre ein Affront gegen den weitaus größten Teil der friedliebenden Fans auf den Stehplätzen. Ich hoffe auf die Selbstreinigungskräfte der Kurve. Denn wenn sich der Fan eines Tages nicht mehr sicher fühlen sollte, werden die Stadien schneller leer, als man gucken kann.
Auch nicht militante Fans beklagen das Söldnertum. HSV-Torwart Frank Rost kritisiert Mitspieler, die sich nach ein paar guten Spielen auf dem Weg zu einem internationalen Klub sehen.
Auch ich kann solche Äußerungen nicht nachvollziehen. Allenfalls der FC Barcelona, Real Madrid sowie die vier englischen Topklubs sind über den sechs Spitzenteams der Bundesliga anzusiedeln. Wer für einen Verein wie den HSV spielen darf, kickt für einen internationalen Topklub. Wer einen solch großartigen Verein als Durchgangsstation ansieht, leidet eher an Selbstüberschätzung als an einer Söldner-Einstellung.
Herr Seifert, kommen wir zum Thema TV-Verträge. Manager wie Heribert Bruchhagen von Eintracht Frankfurt machen sich öffentlich Sorgen um den hoch verschuldeten Pay-TV-Sender Sky.
Ich halte solche Äußerungen für wenig durchdacht und für unfair gegenüber unserem TV-Partner, der seine Zahlungsverpflichtungen bislang erfüllt.
Aber die Entwicklung der Abonnentenzahlen ist enttäuschend.
Klubs und DFL wussten bei Abschluss des TV-Vertrages mit Sky, dass wir mit einem Sender abschließen, der vor einer massiven Umstrukturierung steht. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Der deutsche TV-Markt ist nun mal schwierig und kein Wunschkonzert.
Was machen Sie, wenn Sky am Ende doch nicht mehr zahlen kann?
Diese Frage stellt sich derzeit nicht. Außerdem hat die DFL in der Vergangenheit bewiesen, dass wir auch in schwierigen Situationen handlungsfähig sind. Darauf kann sich die Liga verlassen.