Gewalt im Stadion: Rund 1,3 Millionen Arbeitsstunden leisten Polizeibeamte pro Saison, um bei Fußballspielen für Sicherheit zu sorgen.
Hamburg. Wenn Christian Bräuer zum Fußball geht, trägt er auf dem Kopf einen Helm mit Visier, am Oberkörper eine Schlagschutzweste und an den Beinen Schützer aus Hartkunststoff. Der 41 Jahre alte Hamburger ist seit 19 Jahren Polizist und als Gruppen- und Zugführer vor allem bei besonderen Gewaltlagen im Einsatz. Fußballspiele gehören dazu, rund 150 hat Bräuer im Dienst erlebt. "Früher", sagt der Hauptkommissar, "hat es mal eins auf die Nase gegeben, heute werden Leute, die am Boden liegen, weiter mit Stiefeln auf den Kopf getreten. Was wir inzwischen an Gewaltbereitschaft und Brutalität erleben, ist erschreckend."
Ausschreitungen bei Fußballspielen haben drastisch zugenommen. Sie lagen 2009 um rund 30 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. "Gewaltorientierte Hooligans sind sogar bei Spielen der Amateurligen alltäglich geworden", beklagt Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Rund 1,3 Millionen Arbeitsstunden leisten Polizeibeamte pro Saison, um die Sicherheit bei Fußballspielen, bei An- und Abfahrt, in Eisenbahnzügen und auf Bahnhöfen zu garantieren. Der personelle wie finanzielle Aufwand selbst bei Risiko-Begegnungen in unteren Spielklassen ist enorm. Ein Beispiel: Bei einem Drittligaspiel Union Berlins gegen Dynamo Dresden waren am 8. Mai 2008 etwa 1000 Polizisten vor Ort. 7461 Einsatzkräftestunden fielen an. Kosten: 292 774,08 Euro. Teile Ostberlins waren zwischen neun und 17 Uhr nur eingeschränkt passierbar.
Die Polizei hat keine Wahl. Sie hat den gesetzlichen Auftrag zur Gefahrenabwehr, sie soll den friedlichen Bürger und dessen Hab und Gut schützen. "Es kann nur über das Wann und Wie des Einschreitens diskutiert werden", sagt der Berliner Polizeidirektor Prof. Michael Knape, "jedoch nicht über das Ob." Der kommerzielle Fußballbetrieb, ergänzt GdP-Chef Konrad Freiberg, hat die Gewalt nicht erfunden, "sie hat soziale Ursachen. Es ist aber geradezu unanständig, dass Polizisten ihre Gesundheit riskieren müssen, weil die Politik diese Missstände nicht behebt."
Christian Bräuer ist einer derjenigen, die ihre Haut zu Markte tragen, wie es unter Polizisten heißt. Und wenn er in einen Zuschauerblock "rein muss, um Straftäter herauszuholen", sei das schon eine heikle und oft gefährliche Situation. "Wir schreiten aber nur sofort ein, wenn andere Leute akut gefährdet sind", sagt Bräuer. Über Beleidigungen wie "Scheiß Bulle" hört er meistens hinweg, "sie gehören zum Standard". Die Beamten seien trainiert und psychologisch geschult, sich nicht provozieren zu lassen, "einige Fans halten jedoch bereits die Anwesenheit der Polizei für eine Provokation". Es gebe Schöneres, sagt Bräuer, als am Wochenende bis zu zehn Stunden in schwerer Schutzkleidung herumzulaufen, darunter wie in der Sauna zu schwitzen, angepöbelt, bespuckt und manchmal geschlagen und getreten zu werden. Doch die Erfahrung hat gezeigt: Es geht beim Fußball nicht ohne Polizei.
Bräuer hatte bisher Glück. Ein paar blaue Flecken und Prellungen hat er erlitten. Mancher Kollege kam weniger glimpflich davon. Die Zahl der schwerverletzten Beamten bei Fußballspielen hat in den vergangenen Jahren um 25 Prozent zugenommen. Tendenz steigend.
"Uns wäre geholfen, wenn die Vereine ihre Fans noch stärker in die Pflicht nehmen", sagt Bräuer, "wer sich nicht vernünftig verhält, muss draußen bleiben." 14.000 potenziell gewaltbereite Fußballanhänger gibt es laut Polizeischätzungen in Deutschland, rund 600 in Hamburg beim HSV und FC St. Pauli. Bräuer: "Bei St. Pauli gibt es bei den Ultras hooliganähnliche Strukturen, die der Klub aber negiert." Dadurch werde die Zusammenarbeit zum Teil erschwert. Was er sich wünscht? "Dass die Vereine ihre Fanprojekte vorantreiben, verlässliche Partner sind und sich an Absprachen halten."
Lesen Sie morgen: St.-Pauli-Präsident Corny Littmann über die Pflichten der Vereine.