Hamburg. Tina Herrmann vom SV Eidelstedt tritt in Hongkong im Taekwondo an. Wie es zu ihrer ungewöhnlichen Erfolgsreise kam.
Dass ihr sportliches Herz noch „eine Rechnung offen hat“, klingt eigentlich viel zu martialisch für Tina Herrmann. Ihr zweiter Vorname Soon Hai, den sie von ihrer südkoreanischen Mutter bekam und der „stilles Meer“ bedeutet, passt viel besser zu ihr. Aber stille Wasser sind bekanntlich tief, und die 44-Jährige gleicht in diesem Kontext dem Marianengraben.
Es ist diese sensible Scharfsinnigkeit, die Herrmann bei der WM im Taekwondo in Hongkong (30. November bis 4. Dezember) auf der Matte benötigen wird. Dort tritt die gebürtige Bremerin für den SV Eidelstedt im Techniklauf an, kämpft in der Altersklasse U 50 primär mit sich selbst und der optimalen Ausführung.
Taekwondo: Tina Herrmann vom SV Eidelstedt tritt bei der Weltmeisterschaft an
Der olympische Vollkontakt „entspricht nicht meinem Wesen. Die Form hat etwas Meditatives, stellt eine Parallelwelt dar für das, was man im Leben zu erreichen versucht“, sagt Herrmann. Taekwondo sei nach innen schön. „Ich bin besonders bei mir und gebe das nach außen preis.“
Man merkt schnell, dass der Kampfsport weit mehr für die dreimalige Bremer Sportlerin des Jahres ist als nur Wettkampf. Herrmann wirkt sanft, enorm empathisch zugleich. „Aber sie hat auch eine gewisse Präsenz auf ihre Art und Weise. Tina kann durch ihr Einfühlungsvermögen Gruppen unheimlich gut zusammenbringen“, sagt Eidelstedts Abteilungsleiterin Alida Rigoll, die ihre Athleten schon viele Jahre kennt.
Hamburgerin ist die einzige Großmeisterin ihres Vereins
Vier- bis fünfmal in der Woche trainierte Herrmann im Vorwege der WM, zu der sie bereits am 22. November aufbrach, um den Jetlag zu verkraften. Ehrgeizig, aber auf eine angenehm subtile Art, ist sie auch. In diesem Jahr nahm die leidenschaftliche Geigenspielerin an so vielen Turnieren teil wie nie zuvor, war fürs Taekwondo in Bulgarien, Großbritannien, Dänemark, Österreich und nun Hongkong.
Zu ihrem Sport kam Herrmann im Alter von neun Jahren über ihre Mutter. Taekwondo ist in Südkorea, was Fußball in Deutschland ist. 2005 kam sie nach Hamburg, arbeitete dort unter anderem zeitweise auch als Trainerin. Inzwischen trägt Herrmann den siebten Dan, die dritthöchste Graduierung, ist die einzige Großmeisterin beim SV Eidelstedt.
Tina Herrmann: „Die mentale Stärke entscheidet bei der WM“
„Taekwondo ist seit jeher meine Leidenschaft. Ich liebe die Vielseitigkeit, finde es auch sehr ästhetisch. Nach all den Jahren weiß ich, dass ich nie damit aufhören werde“, sagt die Hamburgerin. Nur logisch, wenn sie mit Mitte 40 vor ihrer bislang größten sportlichen Herausforderung steht.
16 Formen gibt es im Taekwondo, acht werden bei der WM gelaufen. Erst direkt vor der jeweiligen K.-o.-Runde erfahren die Teilnehmer, welche sie präsentieren müssen. „Sich binnen Sekunden darauf einzustellen, sorgt für einen besonderen Nervenkitzel. Die mentale Stärke entscheidet“, sagt Herrmann.
Mit 44 Jahren erstmals zur Weltmeisterschaft
Aber was war das nun mit der Rechnung? In jungen Jahren hatte die Software-Entwicklerin die WM-Nominierung – damals im Dreier-Synchronteam – hauchdünn verpasst. Damals mit im Team: ihre heutige Trainerin Roya Afshar. Dass sie jetzt mit ihr nach Hongkong reist, schließt den Kreis.
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Daran war eigentlich nicht mehr zu denken. Zehn Jahre hatte Herrmann nach der Geburt ihres Sohnes ausgesetzt, fing erst vor drei Jahren in Eidelstedt wieder an und wurde als EM-Fünfte wieder fürs Nationalteam und die WM nominiert. Herrmann genoss stilecht. Ihr inneres Meer ruhte vor tiefer Freude.