Hamburg. Coach des abgeschlagenen Tabellenletzten der Oberliga Hamburg verabschiedet sich in der Kabine nach dem Abpfiff von seiner Mannschaft.
Es war nicht der Tag der Trainer bei den Herrenmannschaften des HSV. Nur wenige Stunden nach der Entlassung von Steffen Baumgart bei den Profis war auch der Trainer des am höchsten spielenden Teams des HSV e.V. nicht mehr im Amt. Allerdings aus freien Stücken. Nach dem 0:5 im Oberligaspiel beim Niendorfer TSV zog Stefan Gehrke (52) die Konsequenzen aus nur fünf Punkten in 18 Partien. Der Coach des abgeschlagenen Tabellenletzten nahm in der Mannschaftskabine seinen Hut.
Gehrke: „Ich ziehe die Konsequenzen“
„Ich habe meiner Mannschaft in der Kabine mitgeteilt, dass ich mein Amt niederlege. Vielleicht brauchen die Jungs ein neues Gesicht und neuen Input. Wir haben vor der Saison eine starke Mannschaft zusammengestellt. Es ist ein gutes und fittes Team. Aber wir haben es als Trainerteam nicht geschafft, die vielen individuellen Fehler abzustellen, die zu den vielen Niederlagen führten. Das müssen wir uns ankreiden. Deshalb habe ich nun meine Konsequenzen gezogen.“
Dieser Schritt Gehrkes ist nachvollziehbar aufgrund der tabellarischen Lage. Es ehrt ihn auch, nicht an seinem Stuhl zu kleben. Gleichwohl kommt die Entscheidung unerwartet. Schon in der vergangenen Saison knirschte es immer wieder zwischen Gehrke und einigen Akteuren seines Teams. Doch der Erfolg gab dem Trainer recht. Das Double aus Holsten-Pokalsieg und Wiederaufstieg war ein Sieg für Gehrke und seinen Co-Trainer Thomas Bohlen (60.) auf ganzer Linie.
Gehrke rieb sich mit seinen Spielern
HSV-Präsident Marcell Jansen (39), der in der dritten Mannschaft als Angreifer aufläuft, stützte Gehrke ebenso wie Innenverteidiger und Sportchef Michael Ulbricht (35). Der Hauptreibungspunkt: Gehrke sprach die Mentalitätsprobleme des Teams in sehr direkter Art unverblümt an. Der ehrgeizige Coach liebte den Klartext. Auch öffentlich. Das nahmen ihm einige Akteure übel. So pflegten Gehrke und der mittlerweile beim Oberliga-Konkurrenten SC Victoria auflaufende Mittelfeldtechniker Sepehr Nikroo (29) zeitweilig fast schon eine Art Nicht-Verhältnis.
In der neuen Saison schien Gehrkes Ende nach einem Umbruch im Sommer bald trotzdem nur eine Frage der Zeit zu sein, als Partie um Partie verloren ging. Das Team gab dabei Rätsel auf. Manchmal ergab es sich eine Halbzeit lang komplett charakterlos wie beim 0:3 beim WTSV Concordia. Dann spielte es wieder stark, nur um in der Schlussphase völlig einzubrechen wie beim 3:3 nach 3:0-Führung gegen den FC Türkiye. Die Leistungen schwankten, die Pleiten blieben.
Der HSV III stärkte Gehrke den Rücken
In genau dieser Phase erwarteten viele Beobachter das Greifen der üblichen Mechanismen der Branche: die Trainerentlassung als letzte Patrone. Doch für Jansen und Ulbricht war dies kein Thema. Ulbricht stärkte trotz kritischer Stimmen im HSV-III-Umfeld seinem Coach sogar öffentlich den Rücken, attestierte dem 52-Jährigen am 20. Oktober, er sitze „fest im Sattel“. Gehrke selbst zeigte keinerlei Ambitionen, sein Amt niederzulegen.
Vor zwei Wochen stieg schließlich der Namensgeber der Oberliga Hamburg, das Unternehmen Gamesright, als neuer großer Sponsor beim HSV III ein. Geld für Wintereinkäufe und eine damit verbundene Aufholjagd des Tabellenletzten in der Rückrunde schien nun da zu sein. Vor einer Woche folgte die nächste Neuigkeit: Michael Ulbricht vollzog den schon lange geplanten Rückzug als Sportchef.
Gehrkes Assistent Bohlen war plötzlich auch sein Chef
Sein Nachfolger wurde Co-Trainer Thomas Bohlen, der somit für Gehrke plötzlich Assistent und Chef zugleich war. Ulbricht und Bohlen betonten einmütig, diese ungewöhnliche Konstellation böte viele neue Möglichkeiten. „Ich sehe meine Doppelrolle nicht als Konflikt, sondern als Chance“, erklärte Bohlen. Es schien so, als seien beim HSV III alle Verantwortungsträger gewillt, mit Stefan Gehrke und Thomas Bohlen langfristig einen neuen, nachhaltigen HSV III aufzubauen. Einen kleinen Amateurfußball-SC-Freiburg nach dem Motto: Steigen wir mit den beiden ab, steigen wir mit ihnen halt auch wieder auf.
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Eben deshalb kommt Gehrkes plötzlicher Rückzug nun trotz der eindeutigen tabellarischen Lage quasi aus dem Nichts. Und die nächsten Fragen stellen sich gleich: Was wird nun aus Thomas Bohlen? Wird der neue sportliche Leiter mit Gehrke zusammen den HSV III verlassen? Oder sucht er den neuen Trainer aus? Und bleibt er auch Co-Trainer? In den kommenden Tagen wird der HSV III die nächsten Antworten in dieser bislang so verkorksten Saison geben müssen.