Hamburg. Olaf Jessen wird an diesem Freitag im Hamburger Rathaus geehrt. Warum seine jahrelange Arbeit ausgezeichnet wird.
Kurz vor Weihnachten lag plötzlich ein Brief der Bundesregierung im Briefkasten von Boxtrainer Olaf Jessen. Und Jessens erster Gedanke war kein wirklich positiver: „Oh, Scheiße, es geht um die Corona-Hilfen“, sei ihm durch den Kopf gegangen, wie er ein knappes Jahr später erzählt.
„Dann habe ich den Brief aufgemacht und gelesen, dass mir der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz verliehen hat.“ Dreimal habe er die Sätze gelesen und das Schreiben dann zu seiner Frau herübergeschoben. „Ich habe das einfach nicht verstanden“, sagt Jessen. Auch seine Frau habe den Brief mehrmals lesen müssen. „Dann haben wir uns beide angeguckt und geweint“, sagt Jessen.
Boxen: Hamburger erhält das Bundesverdienstkreuz
An diesem Freitag bekommt Jessen das Kreuz im Hamburger Rathaus nun endlich auch überreicht. Ganz glauben kann er es aber offenbar immer noch nicht: „Das ist ja eine Auszeichnung, das ist unfassbar“, sagt er: „Das ist für mich so unreal, dass dieser kleine Olaf dieses große Kreuz bekommt.“
Jessen wird für seine jahrelange Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausgezeichnet. „Ich freue mich darüber, dass der Mensch Olaf gewürdigt wird“, sagt er, „aber die Wertschätzung gilt allen Freunden und Mitarbeitern, ohne die es den Verein nicht geben würde.“ Der Verein, das ist die „Boxschool“, die Jessen seit 2010 direkt hinter dem S-Bahnhof Langenfelde betreibt.
Jessen will Kinder „von der Straße holen“
Boxtrainer ist er aber schon viel länger und hat sich über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Jessen sagt über sich selbst: „Ich bin ein streitbarer Typ.“ Ein Satz, auf den meistens noch ein „aber“ folgt, so auch beim 58-Jährigen: „Aber mir soll ja niemand den Hintern pudern. Es geht um die Sache, um die Kinder.“
Ihnen eine Perspektive zu bieten, die nichts mit Kriminalität und Gewalt zu tun hat, ist das erklärte Ziel der Boxschule. Der Verein ist ein Kooperationspartner der Schulbehörde und arbeitet eng mit der Beratungsstelle für Gewaltprävention zusammen. Jessen will Kinder und Jugendliche „von der Straße holen“ und mithilfe des Boxens Werte und Verhaltensweisen vermitteln, die verhindern sollen, dass die Kinder künftig verhaltensauffällig oder sogar gewalttätig werden.
Jessen: „Kein Kind ist böse“
In den zum Großteil aus Spenden finanzierten Kursen trainieren unter anderem Kinder, die zu Hause Erfahrungen mit häuslicher Gewalt, Alkoholismus oder auch sexuellen Übergriffen machen mussten. „Das sind dramatische Sachen, die du irgendwann mitbekommst“, sagt Jessen. Damit müsse man sehr sensibel mit umgehen und immer nach dem Grundsatz handeln: „Kein Kind ist böse. Wir schützen die Kinder.“
Aber nicht nur die Kinder, auch die Trainer, die mit schwierigen Situationen umgehen müssen, möchte Jessen schützen. Deshalb gibt es regelmäßige Treffen und Gesprächsangebote, um sich untereinander auszutauschen: „Wir arbeiten in einem sensiblen Bereich, mit schwierigen Themen. Aber jeder weiß, dass es ein Auffangbecken gibt.“
Boxschool: 50 Kurse für Hamburger Kinder
Jessen und sein Team, das aus 25 Mitarbeitern besteht, bieten aktuell rund 50 Kurse mit jeweils zehn bis 15 Kindern an. Die Kurse finden in den Schulen statt. Das sei wichtig, betont er: „Die Kinder gehen nicht aus ihren Vierteln raus“, sagt er: „Es gibt Straßen, da wissen die Kids: Wenn ich da rübergehe, bekomme ich auf die Schnauze.“ Wenn manchmal doch Kurse in der Boxschool in Stellingen stattfinden, hätten Kinder schon öfter gefragt, ob sie überhaupt noch in Hamburg seien, erzählt Jessen.
Im Normalfall trainieren die Kinder in Turnhallen. Doch weil die in Hamburg inzwischen rar gesät sind und sich zum Teil in einem schlechten Zustand befinden, weichen die Trainer auch manchmal auf Klassenräume aus. „Der Raum muss hergeben, dass man sich da zumindest ein bisschen bewegen kann“, sagt Jessen pragmatisch.
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Die Auszeichnung sieht er als Ansporn für die kommenden Jahre. „Ich möchte, dass es weitergeht. Ich lag oft genug am Boden und bin immer wieder aufgestanden“, sagt Jessen, „und das zahlt sich jetzt aus.“ Das Bundesverdienstkreuz soll helfen, noch mehr Aufmerksamkeit und vor allem Spendengelder zu generieren. Und auch die Kinder motivieren, mit dem Boxen weiterzumachen: „Die Auszeichnung gehört uns allen.“