Paris. Martina Navratilova und Boris Becker über die Bedeutung von Olympia-Tennis, verpasste Duelle und Vorfreude auf Rafael Nadal in Paris.
Für Tennis-Asse gibt es das ganze Jahr über so viel zu gewinnen. Ruhm und Titel, vor allem aber jede Menge Preisgeld. Olympisches Gold funkelt dazwischen natürlich genauso sehr. Ist es aber auch genauso bedeutend? Zwei, die es wissen müssen, weil sie dabei waren beziehungsweise hätten dabei sein sollen, als ihr Sport wieder olympisch wurde: Martina Navratilova und Boris Becker. Die 67 Jahre alte US-Amerikanerin (aber gebürtige Tschechoslowakin) siegte bei 18 Grand-Slam-Einzelturnieren, war Rivalin von Steffi Graf und 331 Wochen lang die Nummer eins der Weltrangliste. Der elf Jahre jüngere Leimener gewann sechsmal Grand-Slam-Turniere – bezeichnender Weise aber nie auf der Asche von Roland Garros, wo an diesem Samstag das olympische Tennisturnier beginnt.
Herr Becker, Sie gehörten zu den größten Spielern Ihrer Zeit. Für Sie wie für die aktuellen Spieler stellt sich die Frage: Ist abseits aller Erfolge bei Grand-Slam-Turnieren eine olympische Medaille noch mal etwas Besonderes?
Becker: Ich habe zum Glück eine – und zwar die Goldene.
Olympia: Als Boris Becker und Michael Stich 1992 Gold in Barcelona holten
Eben, 1992 holten Sie die mit Michael Stich im Doppel-Finale von Barcelona.
Becker: Besonders ist es allemal. Was uns Tennisspieler vielleicht von vielen anderen Sportlern unterschiedet: Wir betreiben unseren Sport durchgehend elf Monate lang im Jahr. Der Terminplan für die Spieler ist herausfordernd, du musst bei jedem wichtigen Termin topfit sein.
Navratilova: Um nicht zu sagen: Er ist brutal.
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Becker: Trotzdem will jeder Tennisprofi auch bei Olympia Großes leisten: Rafael Nadal gewann 2008 in Peking Gold im Einzel und 2016 in Rio im Doppel. Roger Federer holte sich den Doppel-Titel in Peking und gewann vier Jahre später Silber in London. Novak Djokovic lässt es sich im Alter von 36 Jahren nicht nehmen und will nach Peking-Bronze nun endlich den letzten noch fehlenden großen Titel holen. Das zeigt die Bedeutung von Olympischen Spielen.
Welche olympischen Erfahrungen haben Sie gesammelt?
Becker: Zunächst einmal keine guten. 1984 war ich beim Demonstrationswettbewerb im deutschen Team – aber dann verletzt. 1988, Tennis feierte sein Olympia-Comeback, war ich im deutschen Team – aber dann verletzt. 1992 konnte ich dann endlich dabei sein. Auf dem Sand von Barcelona war ich im Einzel aber nicht gut genug und schied im Achtelfinale gegen Fabrice Santoro aus. Zum Glück gab es Gold im Doppel mit Michael Stich. 1996 in Atlanta war ich wieder verletzt, und vor Sydney 2000 habe ich mich vom Tennis zurückgezogen.
Navratilova: Du hattest nicht das beste Timing, oder? (lacht)
Becker: Das kann man so sagen. Trotzdem: Türme ich all meine Titel und Trophäen auf, steht die Goldmedaille an der Spitze. Wenn man jung ist und Turniere gewinnt, stellt man sich die Trophäen in die Vitrine. Mit der Zeit orientierst du dich an Idolen, denen du nacheifern, die du kopieren willst. Du lernst, gezielt gewinnen zu wollen. Je älter ist wurde, umso wichtiger wurde mir diese Goldmedaille.
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Frau Navratilova, Sie hätten 1988 in Seoul dabei sein können.
Navratilova: Das stimmt, aber ich hatte ehrlich gesagt nach den US Open nicht mehr die Kraft, den langen Flug nach Korea auf mich zu nehmen. New York verlief für mich nicht gut, ich schied als Titelverteidigerin im Viertelfinale gegen Zina Garrison aus, am Ende gewann Steffi Graf gegen Gabriela Sabatini. Und im Doppel sind Pam Shriver und ich im Halbfinale an Gigi Fernandez und Robin White gescheitert. Ich war komplett fertig, für mich ergab sich kein Sinn, noch die Olympischen Spiele mitzumachen. Später stellte sich sogar noch heraus, dass ich da schon einen Burn-out hatte, ohne es zu wissen.
Warum waren Sie dann 1992 nicht in Spanien?
Navratilova: Das ist eine komplizierte Geschichte. Ich hatte Verträge, die es mir nicht ermöglichten, in Barcelona zu starten. Wobei: Ich hätte am Ende vermutlich eh gegen Steffi verloren.
Becker: Ich hätte dich trotzdem gerne dort gesehen.
Navratilova: Neben Silber im Einzel wäre ja sogar Gold im Doppel möglich gewesen. Sehr schade also. Der Traum von Olympia hat sich nach meinem Karriereende und der Rückkehr erst 2004 erfüllt.
Im Alter von 47 Jahren.
Becker: Alter ist doch nur eine Zahl.
Navratilova: Ich war trotzdem absolut elektrisiert von der Atmosphäre. Ich bin zur Eröffnungsfeier gegangen, hatte eine wundervolle Zeit in Griechenland – am Ende fehlte leider nur eine Medaille. Aber es gab ja auch Wichtigeres.
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Was denn?
Navratilova: All diese anderen Athletinnen und Athleten zu treffen. Zu sehen, wie unterschiedlich Sportlerkörper aussehen können (lacht). Wir haben ein Quiz daraus gemacht: Na, welchen Sport macht der, welchen die wohl? Es war großartig, einmal Teil der Olympischen Spiele gewesen zu sein.
Herr Becker, Sie werden in Paris als Experte für Eurosport arbeiten. Worauf freuen Sie sich?
Becker: Genauso sehr aufs Tennis wie auf alle anderen Disziplinen. Ich bin ein Fan aller Sportarten. Und die besten Athleten der Welt treffen sich bei Olympischen Spielen alle in der Mensa. Egal, ob es die Riesen beim Basket- und Volleyball sind oder die zierlichen Athletinnen im Turnen – sie sind alle auf ihrem Gebiet die Besten. Und sie kommen alle wegen Olympia zusammen. Das macht für einen Sportliebhaber, wie ich es bin, sehr viel von der ganzen Atmosphäre aus. Olympia ist einfach das größte Spektakel.
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Eines, das längst durchkommerzialisiert ist. In Paris werden Olympiasieger in der Leichtathletik 50.000 Dollar vom Weltverband bekommen. Was halten Sie davon?
Navratilova: Das sollte in allen Sportarten so sein, ich finde das großartig. Alle verdienen Geld an Olympia – warum nicht die Athleten? Klar, in manchen Ländern gibt es Prämien, teilweise Renten für Olympiasiege, das ist großartig. Aber so eine Summe jetzt für Platz eins in Paris zu bekommen, ist für manche Teilnehmer einfach ein unvorstellbares Geld. Heutzutage ein Sportler auf Weltniveau zu sein, ist ein Vollzeitjob.
Becker: Es war ja die Idee von Sebastian Coe, dem Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes. Zum Glück erkennen einige Menschen, wie viel Zeit und Kraft die Athleten investieren, um auf dieses Level zu kommen. Das ist nichts anderes als ein Vollprofi – ob das in der Leichtathletik, im Schwimmen oder in jeder anderen olympischen Sportart ist. Bei so viel Geld im Umlauf sollten die Sportler nicht zu kurz kommen.
Am Samstag geht es los. Was ist das Besondere an einem olympischen Sandturnier, gespielt wird ja in Roland Garros?
Becker: Martina und ich haben beide so gespielt, um den Punkt zu machen. Das ist es, was du auf allen Belägen abgesehen vom Sand machst: Dort spielst du, um den Punkt nicht zu verlieren. Riskant und aggressiv zu spielen, wie wir es taten, ist wahnsinnig schwierig auf Sand. Das verändert deine Herangehensweise. Aber keine Sorge, wir werden ein großartiges Tennisturnier erleben. Gibt es einen Spieler, Martina, der Dich besonders interessiert?
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Navratilova: Da muss ich ja schon Carlos Alcaraz sagen. Er ist so ein kompletter Spieler, der Dinge mit dem Schläger und dem Ball macht, die man vorher nicht auf dem Tennisplatz gesehen hat. So Unglaubliches Novak Djokovic in seiner Karriere auch gleistet hat, hebt Carlos Alcaraz nun alles noch mal auf ein anderes Level. Seine Geschwindigkeit, hui. Und dann kann er unglaublich gut improvisieren. Ich liebe es, ihn spielen zu sehen.
Becker: Es waren ja wirklich mehrere Namen in der Verlosung, wer das Erbe der drei Großen – Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic – würde antreten können. Wir haben Jannik Sinner, wir haben Alexander Zverev – aber wirklich übernommen hat das Ruder Carlos Alcaraz. Das Wimbledon-Finale 2023, als er Novak Djokovic in fünf Sätzen schlug, es hin und her ging, war eines der besten Spiele, das ich je gesehen habe. Bei den Damen ist Iga Swiatek die beste Spielerin der letzten Jahre, aber mir gefällt auch die Art und Weise, wie Ons Jabeur, Aryna Sabalenka oder Coco Gauff spielen. Sie alle heben das Niveau des Damentennis noch mal – und zwar jede auf ihre Art.
Jannik Sinner hat als ein Goldanwärter seine Teilnahme absagen müssen. Haben Sie einen Favoriten, Herr Becker?
Becker: Wenn ich Jannik spielen sehe, erinnert er mich an mein junges Ich. Er ist zielstrebig und hat immer die richtige Mentalität – egal ob er gewinnt oder verliert. Und rothaarig ist er auch (lacht). Die Favoritenfrage habe ich aber schon vorher davon abhängig gemacht, wer das Finale bei den French Open in Roland Garros gespielt hat: also Carlos Alcaraz und Alexander Zverev. Ich glaube zwar, dass für Sascha der Gewinn eines Grand-Slam-Titels Priorität hat, da er in Tokio schon Olympiasieger geworden ist. Aber er wird auch so mit breiter Brust in Paris antreten.
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Alle Fans werden aber in Paris auf einen schauen: Rafael Nadal, der am Samstag gleich im Doppel an der Seite von Carlos Alcaraz antritt. Wird es sein großer Abschied vom Welttennis?
Navratilova: Ich wünsche mir für Rafa, dass er selbst entscheiden kann, ab wann er nicht mehr spielen möchte. Sein Körper hat ihn zuletzt einige Male im Stich gelassen. Eigentlich war es ja schon ein Wunder, dass er uns so lange begeistern konnte. Als er noch nicht 30 war, dachte ich, wie lange er es wohl machen würde angesichts seiner erstaunlich physischen Spielweise. Ich freue mich sehr darauf, ihn in Paris zu sehen. Er ist er ultimative Wettkampftyp, der ultimative Profi, das ultimative Vorbild.
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Becker: Ich glaube, die Olympischen Spiele in Roland Garros werden jetzt ein Bonus für ihn sein. Bei den French Open ist er in der ersten Runde gegen Alexander Zverev ausgeschieden. Das ist jetzt noch mal Rafas großer Moment. Er hat seine Siege oft durch harte Arbeit, nie auf leichte Weise erzielt. Roger war dagegen der Künstler, selbst Novak kommt am Ende seiner Karriere schneller zu Punkten. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle. Egal wie viele Kilometer er auf dem Sand abgerissen, wie oft er die French Open gewonnen, wie viel Preisgeld er eingefahren hat: Er liebt das Duell in Roland Garros. Ich wünsche ihm nur, dass er einen Ersatz dafür findet, wenn er eines Tages nicht mehr auf dem Platz steht. So lange wollen wir ihn aber noch genießen.
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