Hamburg. Die Hamburger Olympia-Ruderer Torben Johannesen und Benedict Eggeling sprechen über die deutsche Außenseiter-Rolle und notwendige Reformen.
Der Ort des Gesprächs könnte passender kaum sein. Vor den Olympischen Spielen in Paris treffen wir Torben Johannesen (29) und Benedict Eggeling (25) in der Ratzeburger Ruderakademie. Auf diesem historischen Grund entstand der Mythos Deutschland-Achter. Karl Adam (1912-1976), Mitbegründer der Ruderakademie, drillte hier „seine Burschen“, wie er die Athleten nannte, bis zur Erschöpfung. 1960 holte sein Achter bei den Olympischen Spielen in Rom Gold, er wiederholte 1968 diesen Triumph in Mexiko.
64 Jahre nach dem Sieg auf dem Lago Albano hofft das Flaggschiff des Deutschen Ruderverbands (DRV) in Paris (26. Juli bis 11. August) wieder auf eine Medaille. Doch angesichts mehrerer Rückschläge nach der Silber-Fahrt bei den Spielen 2021 in Tokio startet die neuformierte deutsche Mannschaft als Außenseiter.
Herr Eggeling, wir sind etwas verwirrt, bitte helfen Sie uns. Sie sind geboren im hessischen Eschwege, waren drei Jahre in einem englischen Internat in der Nähe von London, haben dann in Mannheim studiert, promovieren gerade in Münster, wohnen in Dortmund, starten aber für den RC Favorite Hammonia, kurz Fari. Wie passt das alles zusammen?
Benedict Eggeling: Während meiner Schulzeit war ich öfter in Hamburg, weil meine Geschwister dort damals gewohnt haben. Nach meinem Abitur in England bin ich dann für ein Jahr nach Hamburg gezogen. Dort habe ich zuerst beim Alster RV Hanseat trainiert. Unter Trainer Nils Meyer, dem ich immer dankbar sein werde, habe ich mich dann in Richtung Leistungssport entwickelt. Da bot mir dann die Fari als größerer Club noch bessere Bedingungen.
Bis es Sie dann nach Mannheim zum BWL-Studium verschlug…
Eggeling: Aber gewohnt habe ich dort nur ein Semester, da ich gemerkt habe, dass ich das Studium auch aus der Ferne machen kann. Also bin ich wieder nach Hamburg gezogen.
Deutschland-Achter: Der Hesse Eggeling wurde in Hamburg zum Leistungssportler
Und dann folgte der Wechsel ins Ruderleistungszentrum Dortmund.
Eggeling: Richtig, dort wohne ich nun auch. Wenn ich in Hamburg bin, trainiere ich weiter bei der Fari, hauptsächlich im Kraftraum.
Und Münster?
Eggeling: Da bin ich eigentlich nie. Meine Promotion im Bereich Sportmanagement schreibe ich kumulativ, also mit anderen Doktoranden in einer Gruppe. Das funktioniert digital sehr gut, auch dank der Kooperationsbereitschaft meiner Professoren. Lehraufträge muss ich zum Glück nicht wahrnehmen, finanziell unterstützt werde ich von der Wilo-Foundation, der Stiftung des Sponsors des Deutschland-Achters.
Johannesen: In Rio Ersatz, in Tokio ohne Zuschauer
Für Sie, Herr Johannesen, werden es die dritten Olympischen Spiele. In Rio waren Sie als Ersatzmann dabei, in Tokio haben Sie Silber mit dem Achter gewonnen. Und nun kommt Paris…
Torben Johannesen: In Rio war ich 21 Jahre alt und glücklich, dass ich den Sprung überhaupt geschafft habe. Beim Finale stand ich am Rand und habe mir gesagt: Bei nächsten Mal will ich auch in diesem Boot sitzen. In Tokio hatten wir immer diese Angst vor einer Ansteckung mit Corona. Gefühlt haben wir uns jeden Tag getestet. Das war im Kopf überhaupt nicht angenehm, zumal es von außen immer den Negativgedanken gab: Warum machen die diese Spiele in Zeiten von Corona? In Paris können wir uns auf das konzentrieren, um was es geht. Auf unseren Wettkampf. Und im Gegensatz zu Tokio werden Zuschauer dabei sein, darunter auch Verwandte und Freunde. Deshalb freue ich mich total auf die Spiele.
Was motiviert Sie nach so vielen Jahren im Leistungssport?
Johannesen: Dieses Tägliche ans Limit gehen, als Team zusammenfinden. Du bist irgendwie als Ruderer auch Individualsportler, aber trotzdem steht der Teamgedanke immer im Vordergrund. Das ist für mich das Schönste am Sport.
Diesen Teamgedanken wollten Sie bei Olympischen Spielen unbedingt einmal zusammen mit Ihrem Bruder Eric ausleben, der 2016 im Silber-Boot saß.
Johannesen: Klar, wir haben es zweimal versucht. Aber wie gesagt, 2016 war ich nur Ersatz, für die Spiele in Tokio wurde er nicht mehr nominiert. Dieser Traum bleibt uns verwehrt.
Das Aus für Schlagmann Hannes Ocik, Silbermedaillengewinner bei den Spielen in Tokio und Rio, hat große Wellen geschlagen. Das Trainerteam hatte ihn im April zurückgeholt, ein paar Wochen später kam für ihn nach einem enttäuschenden Weltcup in Luzern das Aus. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Neuer Schlagmann „physisch unheimlich stark“
Eggeling: Letztendlich ist jeder von uns ersetzbar, aber das war nicht unsere Entscheidung. Und wenn das Trainerteam sagt, dass einer besser in die Mannschaft passt als der andere, dann müssen wir als Team die nächsten Schritte gehen.
Johannesen: Der Verband hat ganz klar Stellung bezogen und da können wir als Sportler auch nur akzeptieren, was Verband und Trainerteam sagen. Aber Hannes war nicht der Allein-Schuldige an dem schwachen Abschneiden in Luzern. Es hätte jeden von uns treffen können.
Jetzt heißt der Schlagmann wieder Mattes Schönherr, mit dem der Achter die Olympia-Qualifikation bei der WM 2023 geschafft hat.
Johannesen: Mattes ist physisch unfassbar stark, bringt eine sehr gute Schlagdynamik mit, was dem Team gerade jetzt sehr entgegenkommt. Also ist die Umstellung nicht so groß.
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Die Messtechnik wird immer ausgefeilter. Warum setzt das Trainer-Team nicht einfach die Ruderer mit den besten Werten in den Achter?
Eggeling: Nach wir vor kann man nicht alles messen, etwa unsere Körperbewegungen auf den Rollsitzen. Und das Thema Masseverschiebung spielt eine große Rolle für die Bootsgeschwindigkeit. Je geschlossener sich die Mannschaft bewegt, um so schneller wird das Boot. Deshalb fahren wir ja auch Rennen im Zweier im Kampf um einen Platz im Achter. Dort sieht man, wie gut wir ein Boot bewegen können. Und dies fließt dann genau wie die Messdaten in die Frage der Achterbesetzung ein.
Der Deutschland-Achter ist ein Mythos. Das Boot ist fast immer mit der Mission gestartet, Gold zu holen. Kann die Außenseiter-Rolle in Paris helfen? Die Briten werden kaum zu schlagen sein.
Johannesen: Die Erwartungshaltung, Gold zu holen, ist dieses Mal einfach nicht da. Das sorgt für eine gewisse Freiheit im Kopf. Wir müssen einfach in jedes Rennen gehen, als wenn es das Letzte wäre. Alles aus uns rausholen. Dann ist eine Medaille machbar.
Der Druck ist geringer, die Erwartungen auch
Eggeling: Ja, der Druck auf uns ist geringer. Aber letztendlich fahren wir nicht, um andere Leute zu befriedigen, sondern um das Bestmögliche sportlich herauszuholen. Wir haben auf jeden Fall den Anspruch, um eine Medaille mitzufahren. Ich denke, dass das an einem sehr guten Tag auch realistisch ist. Ich rechne mit einem sehr engen Rennen um die Podiumsplätze, da können ein oder zwei Sekunden den Ausschlag geben.
Sie sind mit 29 Jahren jetzt der Älteste im Team. Wie hat sich Ihre Rolle verändert?
Johannesen: Ich versuche, meine Erfahrungen weiterzugeben, auch mein technisches Verständnis aus all den Jahren. Aber das ist ein Geben und Nehmen. Manches haben mir die jüngeren Sportler voraus. Weil sie keine Vergleichswerte aus so vielen Jahren haben, hinterfragen sie nicht alles. Sondern machen einfach. Das hat auch was Gutes.
Mit Frederik Breuer hat nun ein Ruderer mit gerade 22 Jahren den Sprung in den Achter geschafft.
Johannesen: Freddy bringt aus Kalifornien, wo er studiert, diesen amerikanischen Spirit mit. Jeden Tag aufs Neues alles geben. Und sich gegenseitig pushen, wenn alle müde sind. Das hilft uns, aus einem Loch wieder rauszukommen. Er tut der Mannschaft gut.
Johannesen: Ich will 2028 in Los Angeles noch dabei sein
Bei den Spielen in Los Angeles 2028 wären Sie 33. Peilen Sie diese Spiele noch an?
Johannesen: Definitiv. Aber natürlich warte ich zunächst Paris ab.
Ihr Bruder ist jetzt U23-Trainer. Ist die Trainerkarriere auch für Sie ein Weg? Oder wollen Sie nach Abschluss Ihres Lehramtsstudiums doch Lehrer werden?
Johannesen: Ich denke eher Lehrer. Mit den Strukturen des Deutschen Ruderverbands kann ich mich nicht identifizieren. Da passe ich als Trainer nicht rein.
„Der Verband denkt viel zu langsam um“
Als der Verband 2022 immer stärker in die Krise rutschte, wurde ein Expertenrat gegründet – und ein paar Wochen später wieder aufgelöst. Sie hatten wie anderen Athleten diesen Rat als „Farce“ bezeichnet.
Johannesen: Weil im Rat auch Leute saßen, die im Verband in der Verantwortung standen. Die hätten sich also quasi selbst kontrolliert. Ich habe über dieses Thema oft mit unserem Verbandsvorsitzenden Moritz Petri, gesprochen. Wenn du einen solchen Verband umstrukturieren willst, ist das wie das Drehen eines Tankers. Es dauert unfassbar lange, bis alle Institutionen mitspielen, um irgendwas zu verändern. Da geht so viel Zeit verloren. Zeit, die wir in diesem Olympischen Zyklus, der ja nur drei Jahre dauerte, nicht hatten. Es ist einfach ermüdend, wenn du siehst, wie langsam sich die Räder drehen, bis sich wirklich was bewegt. Und noch wie vor wird die Stimme der Sportlerinnen und Sportler viel zu wenig gehört.
Was müsste sich ändern?
Johannesen: Ich glaube, wir müssen uns trainingswissenschaftlich neu aufstellen. Bei den Trainingsinhalten sind andere Nationen weiter als wir. Und wir müssen viel mehr miteinander kommunizieren. Es muss mehr darauf Rücksicht genommen werden, was wir Sportler denken. Klar müssen die Entscheidungen oben getroffen werden, aber man sollte unseren Rat stärker berücksichtigen. Mit Dr. Kay Winkert haben wir einen überragenden Sportwissenschaftler im Team. Seine Expertise sollte mehr Gewicht haben. Das ist aus meiner Sicht alles kein Hexenwerk. Aber wenn ich hier in Ratzeburg die Fortschritte des Doppelzweiers mit Jonas Gelsen und Marc Weber sehe, die nach dem Frankfurter Konzept trainieren, frage ich mich, warum die physisch so enorm zugelegt haben. Offenbar trainieren die anders als nach dem Konzept des Deutschen Ruderverbands im Männer-Skull- (jeweils ein Ruder in jeder Hand, die Red.) und im Männer-Riemenbereich (nur ein Ruder in beiden Händen, die Red.). Warum haben sie sich so krass entwickelt? Deshalb sollte man mehr miteinander arbeiten und schauen, was andere vielleicht besser machen.
Johannesen fordert einen zentralen Stützpunkt in Deutschland
Dabei würde eine Zentralisierung helfen.
Johannesen: In der Tat. Der Verband kann nicht weiter auf mehreren Hochzeiten tanzen und drei oder vier Stützpunkte gleichermaßen gut finanziell ausstatten. Es sollte wie bei den anderen Nationen einen zentralen Stützpunkt geben, wo sich die gesamte Kompetenz bündelt.
Herr Eggeling, von Ihrer Position ganz hinten im Boot als Bugmann könnte die Versuchung groß sein, sich doch einmal kurz umzudrehen, um zu schauen, ob ein Konkurrent gerade davon fährt…
Eggeling: Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Die Konzentration gilt allein dem Boot, wir haben quasi Scheuklappen auf. Für den Blick auf das Feld haben wir unseren Steuermann Jonas Wiesen.
Der Steuermann spricht über ein Headset, das mit Lautsprechern im Boot verbunden ist, zu Euch. Schreit der die ganze Zeit, um Euch anzutreiben?
Eggeling: Nein, in der Startphase bleibt er eher ruhig, es wäre ja auch nicht gut, die anfängliche Nervosität im Boot weiter anzufachen. Bei den Zwischenspurts und im Endspurt wird er dann aber auch energisch.
Taktisch wird jede Rennsituation im Training simuliert
Wie groß ist die Gefahr, dass man am Anfang überdreht und nach 1500 Meter keine Kraft mehr hat?
Eggeling: Natürlich müssen wir darauf achten, das wir zu Rennbeginn nicht zu viele Körner lassen. Aber es wäre völlig falsch, auf die Bremse zu treten. Dann ziehen die anderen Boote weg. Taktisch simulieren wir im Training jede Situation, die es im Rennen geben kann.
Herr Johannesen, Sie sind jetzt Vater einer kleinen Tochter, sehen Ihre Familie durch Trainingslager und Wettkämpfe oft wochenlang kaum. Gab es Momente, wo Sie gedacht haben, der Preis, den ich zahle, ist zu hoch.
Johannesens Frau lebt den olympischen Traum mit
Johannesen: Ja, auf jeden Fall. Vor allem, wenn die Erfolge ausbleiben. Wenn die Erfolge da sind, dann kann man wenigstens sagen: Okay, das lohnt sich alles noch. Aber klar gab es Momente, wo ich überlegt habe: Stehen Aufwand und Ertrag noch in einem richtigen Verhältnis?
Jetzt beantworten Sie mit einem klaren Ja.
Johannesen: Absolut. Aber nur, weil meine Frau meinen Olympischen Traum mitlebt. Sie steht immer hinter mir, sie hat auch in Phasen, wo es im Achter nicht lief, gesagt: Wir schaffen das, wir sind ein Team. Das hat meine Frau und mich noch enger zusammengeschweißt.