Hamburg. Nein! Aber eine ziemlich gute – auch ohne Infantino-Superlative. Deutschland ist ausgeschieden, hat aber gewonnen. Ein Hoch auf uns.

Noch hat es Aleksander Čeferin nicht getan, noch hat der Uefa-Präsident nicht den Infantino gemacht. Auch nach den beiden Halbfinalspielen zwischen Spanien und Frankreich sowie England und den Niederlanden und vor dem EM-Endspiel an diesem Sonntag ist der Slowene der Versuchung noch nicht erlegen, die EURO 2024 als beste Europameisterschaft aller Zeiten zu betiteln.

Wenn Čeferin Gianni Infantino wäre (was er Gott sei Dank nicht ist), dann hätte er ziemlich sicher schon vor dem ersten Anstoß dieser EM gesagt, dass es das beste Turnier aller Zeiten werden würde. Und dann hätte er spätestens jetzt, wenn sich die meisten schon vor dem Finale um ein Fazit bemühen, diese Einschätzung noch einmal wiederholt: die beste EM aller Zeiten.

Die Heim-EM war eine sehr gute Europameisterschaft

Um es kurz zu machen: Es war nicht die beste EM aller Zeiten – aber eine ziemlich gute. Die Stimmung in den Stadien war genauso herausragend wie die Stimmung auf den Fanfesten und in den Städten. Es gab viele tolle Tore, unterhaltsame Spiele, keine gravierenden Zwischenfälle, dafür aber ganz viele schöne Momente und Begegnungen, die auch nach dem letzten Abpfiff dieser EM in den Köpfen bleiben werden.

Die Schotten, die auf dem Platz auf die Mütze bekamen und ansonsten Feier-Europameister wurden, wird keiner so schnell vergessen. Genauso wenig wie die sensationellen Georgier, die überragenden Albaner, die hüpfenden Holländer und die plötzlich hemmungslosen Schweizer. Jamal und Yamal, Bellinghams Fallrückzieher und ein Torhüter namens Mamardashvili.

St. Paulis Ex-Trainer fand auch kritische Worte

Und auch wir Deutschen haben einen ziemlich guten Job gemacht. Als Gastgeber – und auch unsere Nationalmannschaft. Es gibt zwar einen sehr jungen und unerfahrenen Trainer, der gerade den FC St. Pauli verlassen hat und nun auf der Insel sein Glück versucht, der bemängelte, dass die DFB-Auswahl „kein überragendes Turnier“ gespielt und gleich „gegen die erste Topnation verloren“ habe. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass eben keine Nation so stark gegen die sehr starken Spanier gespielt hat wie Deutschland.

Doch eine Fußball-Nationalmannschaft ist auch immer mehr als nur ihre Spiele auf dem Platz. Sie muss ein zerrissenes Land nicht vereinen und sie muss auch nicht politisch den Ton angeben (und diesen dann wie in Katar nicht einmal treffen). Aber sie muss, sollte und hat auch ein Gemeinschaftsgefühl kreiert, das über ein 1:0 oder ein 0:1 hinausgeht.

In der 119. Minute wurde der EM-Stecker gezogen

Am vergangenen Freitag hatten Millionen von Fans der Nationalmannschaft das subjektive Gefühl, dass ihnen der EM-Stecker durch das bittere Aus in der 119. Minute im Viertelfinale gezogen wurde. Und gleichzeitig war die Mehrheit dieser Anhänger auch glücklich, stolz und zufrieden mit der Leistung ihrer Mannschaft und vor allem ihres Trainers.

Während Julian Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick selbst in der Wüste das Glatteis fand und in Katar immer wieder beim Versuch ausrutschte, Politik und Fußball nicht zu sehr zu vermischen, schaffte es Nagelsmann ganz hervorragend, dem Fußball bei dieser Heim-EM eben doch diese gesellschaftliche Bedeutung zu geben, die er auch hat, sie aber gleichzeitig nicht zu überfrachten. Seine Rede an die Nation nach dem Ausscheiden war ehrlich und natürlich. Ein Hoch auf uns.

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Doch was bleibt von dieser EM, von der starken Mannschaftsleistung, von Nagelsmann?

Es bleibt dieses Gefühl, dass trotz hoher Sommermärchenerwartungen die Menschen auch bei Dauerregen auf ein tolles, schönes, entspanntes und gemeinsames Turniererlebnis zurückblicken. Irgendwo wurde nach dem ersten Halbfinale, in dem der Spanier Marc Cucurella vom Münchner Publikum wegen seines mutmaßlichen Handspiels gegen Deutschland ausgepfiffen wurde, gefragt, ob wir „ein peinlicher Gastgeber“ seien.

Nun, das Pfeifen war peinlich. Auch der ausgefallene Zug der Niederländer vor ihrem Spiel gegen England. Oder das Gebaren von Türkei-Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach der Wolfsgrußdebatte. Doch aus diesen Einzelfällen abzuleiten, dass Deutschland bei dieser EM ein peinlicher Gastgeber war, wirkt eher peinlich.

EM vermissen und sich mit HSV und St. Pauli ablenken

Die EURO 2024 war nicht besser als die wunderbare EURO 2004 in Portugal und nicht schöner als die EURO 2012, als in der Ukraine noch kein Krieg herrschte. Sie war nicht die beste Europameisterschaft aller Zeiten.

Aber sie war eine richtig gute, schöne, entspannte EM. Spätestens ab Montag werde ich sie vermissen – und mich dann ein wenig mit dem HSV und dem FC St. Pauli ablenken.